Paris/Wien – Was haben Tiger, Löwen, Elefanten, Giraffen, Eisbären, Pandas und Gorillas gemeinsam? Eine ganze Menge, zum Beispiel sind sie allesamt imposante Landsäugetiere und zählen zu den unter Menschen beliebtesten Wildtieren überhaupt. Und obwohl ihnen – und auch ihrem Schutz – vergleichsweise große Aufmerksamkeit zuteilwird, sind sie in ihren Beständen gefährdet.

Ein internationales Forscherteam will nun eine überraschende weitere Gemeinsamkeit identifiziert haben: Diesen und anderen ikonischen Arten könnte ihr eigener Erfolg zunehmend zum Verhängnis werden. Sie sind demnach in der Popkultur, in Medien und Werbung derart omnipräsent, dass die Allgemeinheit ihre tatsächliche Seltenheit und Bedrohungslage völlig unterschätzt.

Tierisch gute Sujets wie dieses schaden populären Wildtieren mehr, als man meinen könnte, sagen Forscher: Sie erwecken den Eindruck, diese Spezies seien weit verbreitet und ungefährdet.
Foto: Zoo Portraits

Zweischneidiges Charisma

In ihrer Studie im Fachblatt "Plos Biology" wollten die Biologen um Franck Courchamp von der Universität Paris-Süd zunächst einmal herausfinden, welche Spezies die Liste der "charismatischsten Tiere" anführen. So werden in der Naturschutzbiologie Arten bezeichnet, die sich aufgrund ihrer großen Popularität als Aushängeschilder für den Tierschutz besonders gut eignen.

Um ein Ranking der beliebtesten Wildtiere zu erstellen, führten Courchamp und Kollegen eine Onlineumfrage mit mehr als 4500 Teilnehmern durch und befragten zusätzlich Volksschulkinder in Frankreich, Spanien und Großbritannien. Zudem analysierten sie die Webauftritte von Zoos in hundert Großstädten weltweit sowie die Werbeplakate von Animationsfilmen in der Annahme, dass sie auf die Präferenzen ihrer Besucher und Seher abgestimmt sind.

Fatale Fehleinschätzung

Das Ergebnis: Tiger, Löwen und Elefanten rangieren auf den ersten drei Plätzen, dicht gefolgt von Giraffen, Leoparden, Pandas, Geparden und Eisbären. Obwohl der Schutz dieser Arten dank ihrer Prominenz mehr Anstrengung erfahre als der von "weniger charismatischen" Tieren, sei deren Fortbestand keineswegs gesichert, so die Autoren: Sie alle gelten als gefährdet oder gar akut vom Aussterben bedroht – ausgerechnet durch ihren Verehrer: den Menschen.

Wie kann das sein? Auf der Suche nach Antworten stieß das Forscherteam auf einen unerwarteten Faktor: Trotz der großen Präsenz dieser Tiere wissen die meisten Menschen schlicht nicht um deren missliche Lage – oder womöglich gerade deshalb? In ihren Befragungen wollten die Forscher daher auch wissen, welche Tiere die Studienteilnehmer für bedroht hielten. Diese Frage stellten sie zusätzlich auch 69 Studenten der University of California in Los Angeles.

Virtuelle Populationen

Das Resultat: "Es mangelt am Bewusstsein in der Öffentlichkeit: Im Durchschnitt lag jede zweite befragte Person bei der Bewertung des Bedrohungsstatus dieser Tiere falsch", schreiben die Forscher. Die mögliche Ursache dafür sehen sie in der Häufigkeit, in der uns diese Arten im täglichen Leben begegnen – im Fernsehen, auf Werbeplakaten, in Zoos, als Spielzeug. Sie vermuten, dass diese "virtuellen Populationen" ein völlig falsches Bild von den echten Wildtierbeständen zeichnen.

Diese Hypothese versuchen Courchamp und Kollegen auch mit einigen Zahlen zu untermauern: Ein einwöchiger Versuch mit 42 französischen Probanden zeigte unter anderem, dass diese im Durchschnitt 4,4-mal täglich dem Bildnis eines Löwen begegneten. Hochgerechnet auf ein ganzes Jahr hieße das, zwei- bis dreimal so viele "virtuelle" Löwen zu sehen, wie heute in ganz Westafrika leben.

Informationskampagne erwünscht

Noch ein Beispiel: Das seit den 1960er-Jahren beliebte Babyspielzeug "Sophie, die Giraffe" ging in Frankreich im Jahr 2010 an die 800.000-mal über den Ladentisch – der gesamte Bestand von Giraffen in freier Wildbahn liegt bei knapp über 100.000 Exemplaren. Dass die öffentliche Wahrnehmung eher die virtuellen Populationen widerspiegelt als die echten, wäre gut möglich, so die Autoren: Die meisten Menschen begegnen Wildtieren nur in Form von Abbildungen oder Produkten.

"Unternehmen, die Giraffen, Geparden oder Eisbären zu Marketingzwecken verwenden, könnten unwissentlich das Gefühl erzeugen, diese Tiere müssten nicht besser geschützt werden", sagte Courchamp. Er schlägt daher vor, die kommerzielle Nutzung bedrohter Wildtiere mit Informationen über den Bedrohungsstatus zu verbinden – und auch einen Teil der Einnahmen in den Tierschutz zu investieren. Sonst könnte Sophie irgendwann das Einzige sein, was der Welt von der Giraffe bleibt. (David Rennert, 13.4.2018)