"DNA wird als Technologie nie veralten. Man wird sie immer lesen können", sagt der DNA-Speicher-Pionier Nick Goldman.
EMBL

Es war kaum mehr ein Scherz, als der Bioinformatiker Nick Goldman 2011 im Gespräch mit Kollegen auf die Idee kam, das Problem der immer größeren Datenmengen zu lösen, indem man Informationen in DNA-Form abspeichert. Zwei Jahre später berichteten die Forscher im Fachblatt Nature, dass sie eine Methode gefunden hatten, um digitale Daten – darunter Martin Luther Kings "I have a dream"-Rede und sämtliche Shakespeare-Sonette – in synthetisch hergestellten DNA-Molekülen zu speichern und die Originaldateien fehlerfrei wiederherzustellen. Dabei übersetzt eine Software den üblichen Binärcode (bestehend aus 0 und 1) in den vierteiligen Code von A, T, G und C – die vier Basen, aus denen DNA besteht. Aus diesem Code wird tatsächliche DNA gebaut, die mithilfe eines DNA-Sequenzierers wieder ausgelesen werden kann.

STANDARD: Die Speicherdichte von Festplatten hat sich seit den 1950er-Jahren hundertmillionenfach vergrößert – und sie steigt weiterhin. Warum brauchen wir ein neues Speichermedium?

Goldman: Die gegenwärtigen Speichermedien werden besser, das stimmt, aber das ist nicht genug. Denn die Menge der Daten weltweit wächst noch schneller. Irgendwann wird der Punkt erreicht sein, an dem wir mehr Daten haben als Speicherplatz.

STANDARD: Wann wird das der Fall sein?

Goldman: Die zeitlichen Prognosen gehen auseinander, in zehn bis 40 Jahren wird das jedenfalls ein großes Problem sein. Ein anderer Grund, warum wir neue Speichermedien brauchen, ist: Auch die großen Datenzentren der Welt werden ihr Wachstum nicht unbegrenzt fortführen können. Daher plädiere ich für DNA als Datenspeicher: DNA ist sicher und extrem preiswert. Und vor allem: Sie wird als Technologie nie veralten. DNA wird man immer lesen können.

STANDARD: Wie funktioniert die DNA-Datenspeicherung?

Goldman: Wir verändern das Molekül nicht, wir verwenden es bloß für einen anderen Zweck als in lebenden Zellen. Die DNA besteht aus vier Bausteinen, und deren Abfolge kann jede beliebige Information repräsentieren. Im Grunde ist das wie bei den Nullen und Einsen der Computer, nur dass wir hier eben vier "Buchstaben" zur Verfügung haben. Ich habe ein Computerprogramm geschrieben, das digitale Information in die Sprache der DNA übersetzt. Wir können diese Sequenzen schreiben, weil DNA physisch einfach zu synthetisieren ist. Und wir können sie auch lesen, die entsprechenden Automaten gibt es ebenfalls schon. Das ist alles, was wir brauchen.

STANDARD: Wie speichern Sie die Information – in Zellen?

Goldman: Nein, wir verwenden keine lebenden Zellen. Es ist reine DNA, nur das Molekül. Speichern wir die Information nur für ein paar Tage, belassen wir die DNA in einer wässrigen Lösung, weil das im Labor praktischer ist. Für längere Zeiträume kommt die DNA in den Gefriertrockner – wie bei der Herstellung von Löskaffee – und dann in den Kühlschrank.

STANDARD: Könnten Mutationen keine Probleme erzeugen?

Goldman: Mutationen entstehen zum allergrößten Teil nur in lebenden Zellen, wenn sich das genetische Material verdoppelt. Die einzige Fehlerquelle, die es bei unserer Technologie gibt, ist die Übersetzung, also das Schreiben und Lesen. Hier verwenden wir Korrekturcodes, um auf Nummer sicher zu gehen, das funktioniert so ähnlich wie bei der Datenübertragung von Handys. UV-Licht könnte auch Probleme bereiten, darum müssen wir unsere Proben im Dunkeln aufbewahren.

STANDARD: Wie groß ist die Speicherdichte von DNA im Vergleich zu Festplatten?

Goldman: Mindestens hunderttausendfach besser. Wenn man ein handelsübliches Proberöhrchen aus dem Labor nimmt – das ist etwa so groß wie zwei Glieder des kleinen Fingers – und dieses mit reiner DNA befüllt, dann hat man bereits Petabytes an Information. Das ist millionenfach mehr, als auf einer CD Platz hat. Ein anderes Beispiel: Würde man die auf der ganzen Welt verfügbare digitale Information auf DNA speichern, dann hätte diese in einem großen Auto Platz.

Nick Goldman beim World Economic Forum 2015.
World Economic Forum

STANDARD: Welche Arten von Daten haben Sie auf diese Weise schon gespeichert?

Goldman: Alles Mögliche: Fotos, PDF-Files, Musik, Bitcoins – im Grunde ist es egal, man kann alles damit speichern. Kürzlich hat uns die BBC gebeten, ein Gespräch der DNA-Pioniere James Watson und Francis Crick in Form von DNA zu speichern. In der Audiodatei hört man die beiden, wie sie über ihre große Entdeckung, die DNA-Doppelhelix, diskutieren. Diese Aufnahme gibt es jetzt auch im DNA-Format.

STANDARD: Wie sieht es mit der Datensicherheit aus?

Goldman: Klar, wenn jemand in unser Labor einbricht und Proben mitnimmt, dann haben wir eine physische Bedrohung – wie überall, wenn etwas gestohlen wird. Aber ansonsten gibt es keine Schwachstelle. Man kann unser System nicht hacken, der Kühlschrank ist nicht mit dem Internet verbunden, und die Proben sind es auch nicht.

STANDARD: Wie lange wird es dauern, bis DNA-Speicher auf dem Markt sind?

Goldman: Ich würde sagen: etwa zehn Jahre. Bei der DNA-Synthese gibt es noch einigen Verbesserungsbedarf. Vor allem, was die Verkleinerung und Arbeitsgeschwindigkeit der Geräte anlangt.

STANDARD: Wann entstand die Idee, DNA als Speichermedium einzusetzen?

Goldman: Gesprochen hat man darüber schon in den 60ern. Erste Experimente gab es um die Jahrtausendwende. Zu dieser Zeit waren die Kapazitäten noch sehr begrenzt, mehr als ein paar Sätze konnte man damals nicht speichern. Der große Umschwung kam erst vor ein paar Jahren durch die Beiträge meiner Arbeitsgruppe sowie von Kollegen aus Boston. Wir hatten erkannt, dass man die Technologie der Genomforschung relativ einfach für unsere Zwecke einsetzen – und damit die Effizienz millionenfach verbessern kann.

STANDARD: Wie lautete der erste Satz, der in die Sprache der DNA übersetzt wurde?

Goldman: Da gibt es zwei aus dem Jahr 1999, ich weiß nicht, welcher der Erste war. Der eine wurde in Nature publiziert und lautet: "June6 Invasion Normandy". Der andere war Teil des ersten transgenen Kunstwerks, bestehend aus lebenden Bakterien. Der Satz stammt aus der Genesis und lautet übersetzt: "Die Menschen sollen herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels und über alles Lebendige, was auf Erden kriecht." (Robert Czepel, 12.4.2018)

Nick Goldman ist Mathematiker und Molekularbiologe und leitet am European Bioinformatics Institute, Cambridge, eine Forschungsgruppe. Am 12. April hält er in Wien bei der Technologie- und Innovationskonferenz NextM 2018 Conference einen Vortrag zum Thema "DNA Storage".