Thomas Szekeres, Ärztekammerpräsident, warnt vor einer Zerschlagung der AUVA: "Es handelt sich hier um unverzichtbare Leistungen."

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Christian Fialka, Präsident der Gesellschaft für Unfallchirurgie: Übernimmt die AUVA keine Behandlungen bei Freizeitunfällen mehr, müsse jemand anderer einspringen.

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Peter Kolba, Klubobmann der Liste Pilz: "Diese Art von Diskussion muss Angst bei Patienten und Mitarbeitern auslösen."

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Die SPÖ argwöhnt, die türkis-blauen Sparpläne rund um die AUVA seien "nur der erste Schritt im schwarz-blauen Masterplan zur Zerstörung des Gesundheitswesens und der Sozialpartnerschaft".

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Wien – Trotz aller Proteste bleibt die Sozialministerin hart: Am Montag pochte Beate Hartinger-Klein (FPÖ) erneut auf eine Senkung der Unfallversicherungsbeiträge von 1,3 auf 0,8 Prozent, die die Arbeitgeber entrichten. Bis Mai erwartet sich das blaue Regierungsmitglied "einen klaren Fahrplan". Dazu richtete Hartinger-Klein per Aussendung noch eine Botschaft an die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, kurz AUVA genannt: "Es kann nicht sein, dass die Betriebe, die eine Arbeitsunfallversicherung zahlen, die Behandlung von Freizeitunfällen, die mittlerweile 80 Prozent der Behandlungen in Unfallkrankenhäuser ausmachen, weiter so mitfinanzieren."

Noch diese Woche, verkündete die Ministerin weiter, werden weitere Verhandlungen geführt – und zwar mit der Gesellschaft für Unfallchirurgie und dem Koalitionspartner ÖVP. Von dort kam Rückendeckung. Die im Regierungsprogramm vorgesehen Pläne würden trotz aller Proteste umgesetzt, sagte VP-Klubchef August Wöginger in den "Salzburger Nachrichten".

Zuvor hatte die Spitze der Ärztekammer gemeinsam mit Unfallchirurgen vor einem "Kahlschlag" bei der Unfallversorgung gewarnt.

Steuerzahler gefragt

Dazu stellte Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekammer, klar: Bei Einsparungen beziehungsweise Leistungsreduktionen der AUVA würden "am Ende des Tages" wohl die Steuerzahler zur Kasse gebeten – entweder über den Bund, die Länder oder eben über höhere Sozialversicherungsbeiträge. Denn wenn man, wie von Hartinger-Klein begehrt, der AUVA Einsparungen in der Höhe von einer halben Milliarde Euro abverlange, entspreche das fast 40 Prozent des Gesamtbudgets der Unfallversicherung.

Ähnlich dazu Christian Fialka, Präsident der Gesellschaft für Unfallchirurgie: Was es heute an unfallchirurgischem Angebot im Land gebe, sei eine Notwendigkeit. Sämtliche Szenarien, etwa die AUVA nur noch Arbeitsunfälle übernehmen zu lassen, führten jedoch zu einem Nullsummenspiel, da ja dann andere dafür einspringen müssten. Jährlich zählt die Unfallversicherung 370.000 Patienten, streng genommen gelten nur 40.000 Fälle als reine Arbeitsunfälle.

Immerhin zeigte sich Szekeres über die jüngste Zusicherung von Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) am Wochenende erleichtert, dass keines der Unfallspitäler geschlossen werden solle. Aber: "Es fehlt die Information, wie es mit den Einrichtungen weitergeht. Jetzt als Regierung eine Einrichtung dafür zu strafen, dass sie die Leistung erbringt, zu der sie gesetzlich verpflichtet ist, wirkt ziemlich seltsam."

Beidseitiger Gesprächsbedarf

Gesprächsbedarf räumten die Ärztevertreter durchaus ein – etwa bei den von Hartinger-Klein angesprochenen Freizeitunfällen. Hier gäbe es eine Querfinanzierung über die Kassen, hieß es – und das bekäme die AUVA gar nicht abgegolten.

Eine weitere Querfinanzierung laufe über einen Beitrag, den die AUVA an die Kassen zahlen muss, erklärt Thomas Czypionka im STANDARD-Gespräch. Der IHS-Gesundheitsökonom weist darauf hin, dass die AUVA einen Pauschalbeitrag an Versicherungsträger für die Versorgung von Arbeitsunfällen bei niedergelassenen Ärzten zahle. Diese werden von den Krankenkassen finanziert. Die Pauschale sei in den vergangenen Jahren nicht angepasst worden, obwohl die Anzahl der Arbeitsunfälle stetig sinkt – im Übrigen ein Verdienst der AUVA, wie Czypionka ausführt. Dabei sieht der Ökonom durchaus Einsparungsmöglichkeiten, doch er rät dringend davon ab, die Auflösung als einziges Ziel zu nennen.

Zunächst müsse definiert werden, welche Leistungen eine Unfallversicherung in Zukunft anbieten soll. Erst dann kann eruiert werden, welcher Träger die Aufgaben übernehmen kann, denn: "Operationen müssen weiter durchgeführt werden. Die Kosten fallen ja nicht weg." Eine Trennung von Freizeit- und Arbeitsunfällen wäre auf medizinischer Ebene nicht sinnvoll. "Ob sich jemand beim Sturz von einem Gerüst einen Knöchel bricht oder beim Skifahren, ist für die Versorgung irrelevant." Ganz im Gegenteil, bei beiden Unfällen sei Expertise gefragt, die durch eine höhere Fallzahl steige. Deswegen sei es hier wichtig, Synergien zu nutzen.

SPÖ sieht rot

Proteste gegen die Einschnitte bei der Unfallversicherung gab es auch von der SPÖ und der Liste Pilz, Unterstützung kam von der Industrie. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher warnte: "Die Kurz/Strache-Regierung hat kein soziales Gewissen, sondern verfolgt ein brutales Kürzungs- und Zerschlagungsprogramm, bei dem die Menschen auf der Strecke bleiben." Die Pläne seien "nur der erste Schritt im schwarz-blauen Masterplan zur Zerstörung des Gesundheitswesens und der Sozialpartnerschaft".

Für die Liste Pilz laufen die türkis-blauen Überlegungen zur Zukunft der AUVA in einer "unverantwortlichen" Form ab. "Diese Art von Diskussion muss Angst bei Patienten und Mitarbeitern auslösen", sagte Klubobmann Peter Kolba. Er vermutet ein Machtspiel zwischen den SPÖ- und den ÖVP-dominierten Sozialpartnern sowie Lobbying für private Träger.

Allgemeine Verunsicherung

Die Liste Pilz sei definitiv gegen eine Zerschlagung der AUVA, stellte Kolba klar – allerdings müsse etwa die problematische Doppelrolle bei Unfallrenten diskutiert werden.

Zustimmung für ihr Vorhaben bekam Hartinger-Klein von der Industriellenvereinigung. Generalsekretär Christoph Neumayer erachtet eine Systemreform für notwendig – und zwar nicht nur, was die Arbeitgeberbeiträge für die AUVA betrifft: "Die Industrie unterstützt daher die geplante Modernisierung der Selbstverwaltung im Sinne eines Verwaltungsratsmodells mit effizienten Verantwortungs- und Entscheidungsstrukturen."

Das sperrige Thema ist auch bereits in der Zivilgesellschaft angekommen. Eine seit Freitag laufende Online-Petition unter dem Titel "Die AUVA darf nicht zerschlagen werden" hat bereits zehntausende Unterstützer. Stand Montagnachmittag: knapp 55.000 Unterschriften. (Marie-Theres Egyed, Nina Weißensteiner, 9.4.2018)