Foto: Michael Luger
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Wien – "Ich bin ein Medium", sagt Maria Elisabeth. "Jeder Mensch kann eines sein, wenn er möchte." Ungefähr neunzig Zuhörer sind gekommen, um den Vortrag von Maria Elisabeth auf der Esoterikmesse in der Wiener Stadthalle zu hören. Die Besucher sitzen im größten der vier Vortragssäle in mehreren Reihen hintereinander. Der Andrang ist groß. Manche lehnen an der Wand, weil keine Plätze mehr frei waren. Im Programm angekündigt wurden Jenseitskontakte inklusive Durchsagen der Verstorbenen.

DER STANDARD war mit Kamera auf der "Spiritualität und Heilen"-Messe unterwegs. Wir haben Besucher, Aussteller und Veranstalter nach ihren Eindrücken gefragt.
DER STANDARD

Medium Maria Elisabeth hat die Augen geschlossen. Trotzdem sieht sie jemanden: eine Frau, zwischen 60 und 65 Jahre alt, mit grauen Haaren, sagt sie. "Sie steht ungefähr hier." Elisabeth deutet auf die vordere rechte Hälfte des Publikums. Die Leute recken die Köpfe, um gut sehen zu können. Manche müssen sich das Lachen verkneifen. Andere warten gespannt, was als nächstes passieren wird.

Eine Besucherin nickt zögerlich auf die Frage hin, ob sie die beschriebene Frau kenne. Sie dachte, es könne ihre Oma sein, erzählt sie dem STANDARD später. Elisabeth erkundigt sich, was sie von der Verstorbenen wissen wolle. "Soll ich mein Haus verkaufen?", fragt die Besucherin. Elisabeth hält die Augen geschlossen, während sie mit dem Jenseits in Kontakt steht. "Ja", entgegnet sie.

Reden mit Toten

Sie wisse noch nicht genau, ob sie das Haus wirklich verkaufen werde, sagt die über 80-jährige Stefanie, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, nach dem Vortrag zum STANDARD. Sie glaube nicht, dass es sich wirklich um ihre Oma gehandelt habe, mit der sie kommuniziert haben soll: "Das Alter und die Frisur haben nicht gestimmt." Es sei so gewesen, wie wenn sie in einem Restaurant bestelle, aber nicht das bekomme, was sie wollte. Dass es aber grundsätzlich Menschen gibt, die mit Verstorbenen kommunizieren können, davon ist sie überzeugt.

Seit 22 Jahren arbeitet die Münchnerin Maria Elisabeth als Medium. Im Rahmen dieser Tätigkeit bietet sie Workshops und Beratungen an. In drei aufeinander aufbauenden Seminaren kann man zuerst Kontakt zu Verstorbenen aufnehmen, in weiteren Schritten selbst zum Medium ausgebildet werden. Kostenpunkt: 3760 Euro exklusive Mehrwertsteuer. Über 12.000 Menschen haben ihre Angebote laut eigenen Angaben bereits genützt.

Von Handlesen über Kartenlegen bis zu Aura-Fotografie reicht die Palette auf der "Spiritualität und Heilen"-Messe in der Wiener Stadthalle.
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Veranstalter sieht keinen "Esoterik-Boom"

Das Publikum in Wien sei "absolut angenehm" und "spiritualitätsmäßig sehr aufgeschlossen", sagt Franz Prohaska. Prohaska ist Geschäftsführer der "Eso-Team Messe- und Kongress GmbH". Zweimal jährlich – einmal im Frühling und einmal im Herbst – veranstalten er und sein Team die Esoterikmesse in Wien. Dazwischen sind sie in mehreren deutschen Städten unterwegs, in einer Woche ist etwa Nürnberg an der Reihe. In der Esoszene sind sie eine fixe Größe. Seit 27 Jahren sind sie mit ihrer Messe bereits in der Bundeshauptstadt vertreten.

Obwohl viele von einem Esoterik-Boom sprechen, entspricht das nicht unbedingt Prohaskas Wahrnehmung. Die Schätzung des Trendforschers Eike Wenzel, dass das jährliche Umsatzvolumen der Esoterikbranche in Deutschland bei 20 Milliarden Euro liegt und damit doppelt so groß wie das der Brauereiwirtschaft ist, hält Prohaska für zu hoch gegriffen. Die Wirtschaftskammer hat für die Branche keine Umsatzzahlen. Auch die Bundesstelle für Sektenfragen kann keine Schätzungen abgeben. Das hängt auch damit zusammen, dass die Branche schwer überschaubar ist: Von persönlichen Dienstleistungen, wie sie etwa Human- und Tierenergetikern anbieten bis zu Büchern und Zubehör fällt vieles in die Sparte.

"Vor 15 Jahren hätte man hier gar nicht gehen können", sagt Veranstalter Prohaska und meint damit die vielen Besucher, die sich damals durch die schmalen Gänge quetschten. Heute komme mehr das "interessierte Publikum". Im Schnitt rechnen sie mit 3.000 bis 3.500 Besuchern pro Wochenende.

Britta Katoch bietet an ihrem Stand Handlesen, Kartenlegen und Pendeln an.
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Ratschläge von Handlesern

An die 70 Aussteller sind dieses Mal in der Wiener Stadthalle vertreten. Die Stände drängen sich dicht aneinander. Viele sind mit bunten Tüchern behangen. Manche haben kleine Zelte aufgebaut, in die die Besucher einzeln eintreten. Die Vielfalt ist groß: Die Palette reicht von Raucherentwöhnung, über "smoothe Haarentfernung" oder bunten Steinen, die "Raum-Harmonie" herstellen sollen bis zu schamanischer Reinigung, einem Kräuterbauern sowie Hand- und Kartenlesekunst oder Aura-Fotografie.

Britta Katoch hat ihren Stand in Gold eingekleidet. An den Wänden hängen samtige Tücher, über die Verkaufstische wurden mit goldenen Pailetten besetzte Unterlagen gelegt. In der Ecke steht ein roter Tisch mit zwei Stühlen. Vor dem Stand hat sich eine stattliche Traube gebildet. Katoch gilt als Szenegröße in Österreich. So kann sie bereits allerlei Prominenz unter ihren Kunden verbuchen: Sowohl Toni Polster als auch Erwin Pröll oder Viktor Klima ließen sich auf einem Foto mit Katoch verewigen.

Pater Gottfried von der Pfarre Wien-Reindorf spendet Messebesuchern Segen.
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Katjas Handflächen liegen offen vor Britta Katoch. Mit einer Lupe analysiert die Leserin die feinen Linien der Hände ihrer Kunden. Für 50 Euro ist das kleine Paket zu haben, bei dem nach dem Handlesen entweder noch Kartenlegen oder Pendeln hinzukommt. Katja hat sich für Pendeln entschieden. Ob sie von der Perfomance Katochs überzeugt sei? "Etwas", sagt die 16-Jährige, die eine Metalltechnik-Lehre macht. Eine sie "beschäftigende Frage" habe sich für die Burgenländerin jedenfalls geklärt. Sie hätte Probleme mit einem Löwen, Wassermann oder Schützen, habe Katoch ihr gesagt. "Und da weiß ich genau, wer gemeint ist", sagt die Burgenländerin.

Auch Thomas will einen Blick in seine Zukunft riskieren, allerdings nicht bei Frau Katoch. Vor einem kleinen blauen Zelt wartet er bei einer Branchenkollegin auf Einlass. "Ich will wissen, wie’s in meiner Beziehung weiter geht", sagt der 38-Jährige. Als er der Wahrsagerin gegenüber sitzt, liegen 36 Karten vor ihm. Er muss sie mischen, bevor sie aufgedeckt werden und etwas über seine Zukunft Preis geben sollen. Er solle "nichts tun und die Frau gehen lassen", wird er später als Ratschlag bekommen.

Zwischen Esoterik und Energetik

Viele, die bei der Messe ausstellen, bezeichnen sich selbst als Esoteriker, andere als Energetiker. Die meisten hängen noch Titel wie "Lebens-" oder "Sozialberater" daran. Messeveranstalter Prohaska kann zwischen Energetik und Esoterik keinen klaren Unterschied benennen. "Viele Energetiker wollen sich abgrenzen", sagt Prohaska. "Das kann ich aber nicht nachvollziehen." Damit ist er einer Meinung mit Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen. "Es gibt überhaupt keinen Unterschied", sagt die Expertin. "Energetik ist Esoterik mit Gewerbeschein."

Bei der offiziellen Berufsgruppenvertretung der Energetiker bei der Wirtschaftskammer hat man dazu keine eindeutige Meinung. "Beide Oberbegriffe stehen für die Arbeit am und für Menschen", schreibt der Wiener Berufsgruppensprecher Charly Lechner auf der Website der Fachgruppe. Auf der esoterischen Seite des Feldes stehe oft der "dunkle geheimnisvolle Glaube an die Macht der Mythen", während auf der "energethischen" Seite das "pragmatische Wissen um mentale Kräfte, um Energieströme und das Machbare" stünde.

Offiziell heißt die Veranstaltung nicht "Eso-Messe", wie sie hier überall genannt wird, sondern "Spiritualität und Heilen 2018". Das Thema Spiritualität sei heutzutage breit gefächert, sagt Prohaska. Von gesunder Ernährung über Heilsteine und Handlesen falle vieles darunter. Es ist sogar ein katholischer Kaplan aus dem 15. Bezirk zu Gast, der die Besucher quasi im Vorbeigehen segnet. Die Kriterien für die Aussteller legt Prohaska nicht fix fest. Gesucht werden sie per Ausschreibung. Er wolle nur keine Scientology-Vertreter und keine schwarze Magie, sagt Prohaska.

Der Besucherandrang am ersten Tag der Messe war zu Beginn überschaubar, steigerte sich jedoch am späten Nachmittag.
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Esoterik mit rechtem Anstrich

Am anderen Ende des Saals hinter den einzelnen Ständen wird eine üppige Auswahl an Büchern angeboten. Über einige Meter sind verschiedene Ratgeber und Sachbücher aus dem Esoterikbereich drapiert. Die Bücherauswahl stammt vom deutschen "Artha Buchdienst", einer kleinen Versandbuchhandlung, die den Stand betreut und dafür laut Angaben des Veranstalters Miete bezahlt.

Zwischen den meist harmlosen esoterischen Ratgebern finden sich auch Bücher von Verschwörungstheoretikern, die mit kruden Thesen zu Weltregierung, Manipulation und Geschichte auffallen. So werden etwa mehrere Bücher des unter Pseudonym schreibenden Autors Jan van Helsing (bürgerlich Jan Udo Holey) angeboten. Der deutsche Verfassungsschutz stuft Van Helsing in seinem Bericht von 2004 als "rechtsextremistischen Esoteriker" ein, der antisemitische Verschwörungstheorien verbreite. Laut dem Bericht hat Van Helsing explizit dazu beigetragen, dass antisemitische Verschwörungstheorien auf Resonanz in der ansonsten eher unpolitischen Esoterikszene stoßen.

Die Besucher konnten eine große Anzahl an Ölen, Cremes und Düften erwerben.
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Außerdem sind mehrere Bücher zu finden, die der Staatsverweigererszene zuzuordnen sind. Es werden etwa das Buch "Geheimsache Staatsabgehörigkeit. Freiheit für die Deutschen" von Max von Frei angeboten, sowie Bücher, die im deutschen Kopp-Verlag, der viele rechtspopulistische Titel führt, erscheinen. Auch das Buch "Wenn das die Menschheit wüsste" von Daniel Prinz ist am Stand zu finden. Prinz will unter anderem aufgedeckt haben, dass die deutsche Bevölkerung bis 2025 um zwei Drittel reduziert werden soll, wie Impfungen, Chemtrails und das "Krebsgeschäft" Teil der "Reduzierungs-Agenda" für "nutzlose Esser" sein sollen oder was die "wahren Absichten der Migrantenflutung Europas" seien.

Der dort anwesende Vertreter des Buchhandels möchte seinen Namen gegenüber dem STANDARD nicht nennen. Er sagt nur so viel: Die Wahrheit, so wie die Mehrheit der Menschen das glaube, gebe es nicht. Wissen könne er nur, was er selber gesehen oder miterlebt habe. Ob das auch auf bewiesene Fakten zutreffe, etwa aus der jüngeren Zeitgeschichte? "Wenn ich es nicht selbst erlebt habe, kann ich dazu nichts sagen." Er wiederholt damit exakt das Mantra, das Staatsverweigerer immer wieder preisgeben, auch, wenn es um die Frage des Holocaust geht. Alles, was nicht verboten sei, werde auf dem Stand verkauft, sagt der Vertreter.

Am Büchertisch werden auch Bücher des Verschwörungstheoretikers Jan van Helsing alias Jan Udo Holey verkauft.
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Das ist auch das Kriterium, an dem sich der Veranstalter orientiert. "Ich kann mich nicht über die Gesetzeslage heben", sagt Prohaska zum STANDARD, als er mit den Vorwürfen, Bücher aus der rechtsextremen Verschwörerszene zu dulden, konfrontiert wird. Auf den Einwand hin, dass das Verbotsgesetz nicht das einzige Kriterium sein müsse und man sich entscheiden könne, wem man zu Aufmerksamkeit verhilft, reagiert Prohaska aufgebracht und bereut zu diesem Zeitpunkt bereits "den STANDARD überhaupt reingelassen zu haben." In ein rechtes Licht möchte er die Messe nicht gerückt sehen. Journalisten würden immer das Negative herauspicken, sagt er.

"Wedrussische Heilung" und "Anastasia"

Damit ist er einer Meinung mit Jana Iger, einer "wedrussischen Heilerin" (Selbstbezeichnung), die mehrere Vorträge auf der Messe hält sowie gemeinsam mit ihrem Mann einen Stand betreut. In ihren Vorträgen setzt sich Iger mit der "Wirkung von Parasiten auf Körper, Geist und Seele" sowie Ernährungsfragen auseinander. Am Stand werden neben Steinen und Behelfen, die Elektrosmog abwehren sollen, auch "Anastasia"-Bücher des russischen Autors Wladimir Megre angeboten, dessen Bücher in einem der Hare-Krishna-Sekte nahestehenden Verlag erscheinen. Laut einem Bericht der schweizerischen Fachstelle für Sektenfragen Info-Sekta stellt die Anastasia-Lehre "einen Mix aus Naturreligion, Esoterik, Verschwörungstheorien und Geschichtsrevisionismus" dar. Bei Megre falle insbesondere ein "expliziter Antisemitismus" auf.

Mit dem STANDARD will Iger nicht sprechen, da sie mit "Systemmedien schlechte Erfahrungen gemacht hat." Ihr Mann ergänzt, dass man sich nur mehr mit "alternativen Medien" unterhalte.

Die Bundesstelle für Sektenfragen beobachtet einen Trend der immer stärkeren Verknüpfung der Esoterikszene mit der verschwörungstheoretischen Szene, berichtet Expertin Ulrike Schiesser. Auch Ideologien der Staatsverweigerer seien häufig anzutreffen. "Ebenso gibt es einen Anstieg der Bezüge auf deutschnationale oder russische Bewegungen, wie etwa der Anastasia-Bewegung", sagt Schiesser. Diese Ideen würden unter anderem an der Sehnsucht nach Natürlichkeit, nach Selbstversorgung und dem Rückzug aus der Gesellschaft anknüpfen, die von manchen als verdorben und krank machend gesehen werde. Der Bio-Gedanke werde dann als Reinheitsgedanke interpretiert.

"Dabei ist sicher nicht die ganze Szene offen für rechtes Gedankengut", ergänzt Schiesser. Aber es gebe für diese Entwicklungen zu wenig Sensibilität und zu viel Naivität. "Manche schauen zu wenig kritisch hin." (Vanessa Gaigg, Video: Michael Luger, 8.4.2018)