Testen Sie sich selbst: Welche der vier abgebildeten Versionen des Buchstabens ist die richtige?
Illustr.: Johns Hopkins University

Baltimore/Wien – Allein in diesem Artikel kommt der Buchstabe in kleingeschriebener Form über 70-mal vor. Und Sie haben ihn heute wahrscheinlich schon 100- oder 1000-fach in anderen Texten, Nachrichten oder E-Mails gelesen. Immerhin hat das G in deutschen Texten eine durchschnittliche Häufigkeit von etwas über drei Prozent und rangiert damit bei der Buchstabenhäufigkeit auf Platz 13.

Dennoch haben die meisten Menschen erhebliche Probleme, von vier verschiedenen Varianten eines gedruckten "g" die richtige zu identifizieren. Und die wenigsten können den Druckbuchstaben zeichnen, ohne ihn abzuschreiben, wie der US-amerikanische Kognitionsforscher Michael McCloskey von der Johns Hopkins University in den USA herausgefunden hat.

"Wir glauben, dass wir wissen, wie etwas aussieht, wenn wir etwas immer betrachten und besonders: wenn wir beim Lesen auf seine Form achten müssen", sagt McCloskey. "Aber unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass dies nicht immer der Fall ist."

Video: Der schwer fassbare Buchstabe "g".
Johns Hopkins University

Die zwei Versionen des gedruckten "g"

Für seine Studie im "Journal of Experimental Psychology" gaben McCloskey und sein Team 38 Versuchspersonen drei Aufgaben. Zuerst sollten die Probanden jene Buchstaben nennen, die es in zwei unterschiedlichen Varianten bei der Unterlänge gibt, also dem Teil unter der Grundlinie. Nur zwei Personen nannten das "g", das es auch ohne geschlossene Schleife gibt. Und nur eine Testperson konnte beide Versionen auch richtig schreiben.

Die zweite Aufgabe bestand darin, dass 16 Probanden einen Text still lesen und nur alle 14 Wörter mit "g" laut aussprechen sollten. Dann sollten sie den Buchstaben genau so schreiben, wie sie ihn gerade 14-mal gesehen hatten. Die Hälfte der Testpersonen schrieb ein offenes g mit der offenen Schleife, die andere Hälfte versuchte, ein richtiges gedrucktes "g" zu schreiben, was aber nur einer einzigen Testperson gelang.

Video: Finden Sie das richtige "g"?
Johns Hopkins University

18 von 25 lagen daneben

Schließlich wurden 25 Studienteilnehmer gebeten, aus vier Buchstabenvarianten (siehe Bild links) die korrekte Form auszuwählen. Nur sieben lagen richtig. "Obwohl sie den Buchstaben lesen können, wissen viele nicht, wie der Buchstabe genau aussieht", sagt Koautorin Gali Ellenblum. Das gilt freilich nur für wenige Buchstaben. Warum also ist ausgerechnet das kleine g davon betroffen?

Im Gegensatz zu den meisten anderen Buchstaben hat das "g" zwei verschiedene Versionen. Eine lernen wir schon als Kinder in der Schule: die mit der Schleife an der Unterseite des Buchstabens oder in der offenen Form, die einem Angelhaken ähnelt. Das gedruckte "g" besitzt dagegen eine geschlossene Schleife.

Das häufige Sehen einer Form scheint demnach nicht unbedingt zu genügen, um sie sich wirklich im Detail zu merken. "Wir vermuten, dass wir die Formen der Buchstaben vor allem dadurch lernen, dass wir sie in der Schule wiederholt schreiben", sagt McCloskey. "Das gedruckte g schreiben wir aber nie." Für ihn reicht die Bedeutung dieser Ergebnisse aber noch weiter: Sie werfen auch ein Licht darauf, unter welchen Bedingungen wir akkurates und abrufbares Wissen tatsächlich erwerben. (Klaus Taschwer, 6.4.2018)