Die Baubranche in Österreich entwickelt sich dank guter Konjunkturlage und steigender Bevölkerungszahlen gut. Bauarbeiter sind gefragt.

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Wien – Die Bauwirtschaft in Österreich läuft exzellent. In einigen Stadtteilen Wiens gibt es kaum eine Ecke, an der nicht ein neues Wohnhaus hochgezogen wird und wo sich nicht ein Kran an den nächsten reiht. Eine Folge dieser Entwicklung ist, dass Baufirmen ständig neue Maurer, Eisenbieger und Zimmerer suchen.

Die gute Konjunktur und der große Bedarf an Arbeitern hat auch eine Schattenseite. Beschwerden über Sozialdumping, unregelmäßige Entlohnung und den Einsatz von Scheinfirmen werden wieder lauter. Aktuell beschäftigt laut Recherchen des STANDARD ein großer mutmaßlicher Betrugsfall auf Wiener Baustellen Richter, Staatsanwälte, die Finanzpolizei, Anwälte, die Arbeiterkammer und die Gebietskrankenkasse.

Um die Geschichte zu erzählen, kann man sich das große Ganze ansehen. Oder man beginnt bei Bogdan.

Der 38-jährige gebürtige Bosnier, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung sehen möchte, arbeitet seit vielen Jahren als Fassadenbauer in Wien. Er ist stinkwütend, wie er sagt, denn sein früherer Arbeitgeber schuldet ihm Geld, über 4000 Euro. Bogdan hat zwei Kinder, eine Frau, da könne er diesen Ärger erst recht nicht gebrauchen. Bogdans Erzählung beginnt im vergangenen Juli, als ihn eine Baufirma namens PDL angestellt hat. Zuerst war alles in Ordnung, er bekam seinen Lohn regelmäßig. Im August und September blieb das Geld aus.

Klage gegen die Scheinfirma

Bogdan ist nicht der einzig Betroffene: 21 ehemalige Arbeitnehmer der PDL geben an, für ihre Tätigkeit nicht ordnungsgemäß entlohnt worden zu sein. Die Männer wandten sich an die Arbeiterkammer (AK) – die ihre Angaben überprüft hat und für korrekt befand. Die AK hat vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien Klage auf Auszahlung der Löhne gegen die PDL erhoben. Doch es sieht so aus, als würde von der Firma kein Cent fließen: Die PDL ist im September 2017 von der Finanz zur Scheinfirma erklärt worden. Die PDL meldete auch Insolvenz an.

Eine Scheinfirma ist laut Gesetz ein Unternehmen, das darauf aus ist, Abgaben und Löhne zu hinterziehen. Das Modell ist simpel, erzählen Insider von der Finanz. Strohmänner gründen ein Unternehmen und melden Arbeitnehmer bei der Sozialversicherung an. Damit sind die Beschäftigten sozialversichert. Sie können davon ausgehen, einen ordentlichen Arbeitgeber gefunden zu haben.

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Doch die Beiträge an die Gebietskrankenkasse werden von der Scheinfirma nie entrichtet, ebenso wenig Steuern. Dafür kann die Scheinfirma ihre Dienste österreichischen Auftraggebern billig anbieten, wovon diese also massiv profitieren. Damit wird der Wettbewerb am Markt verzerrt. Nach ein paar Monaten, wenn die Sozialversicherung beginnt, Druck wegen ihrer Beiträge zu machen, beantragt die Firma Insolvenz.

Die Hintermänner bereichern sich. Für Löhne der Arbeitnehmer muss in vielen Fällen der staatliche Insolvenz-Entgelt-Fonds aufkommen. Fliegt die Sache auf, tauchen die Strohmänner-Geschäftsführer häufig ab.

80 Beschuldigte

Bogdan und seine Kollegen dürften Opfer in einem solchen System geworden sein.

Laut STANDARD-Recherchen ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) aktuell in einer umfangreichen Causa auf Baustellen wegen schweren Betrugs, Sozialbetrugs und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Um die 80 Beschuldigte gibt es in dem Verfahren, von 60 Scheinfirmen ist die Rede, die zum Teil für einen Euro hin und her verkauft wurden. Eine davon ist die PDL. Die Schadenssumme wird auf 26 Millionen Euro geschätzt, mehrere Personen sitzen in U-Haft. Bogdan und seine Kollegen wurden soeben von der Polizei befragt.

Die Mehrzahl der Verdächtigen stammt aus Ex-Jugoslawien. Bogdan und seine Kollegen sagen aber, dass sie de facto gar nicht für die PDL gearbeitet haben. Ihre Anweisungen sollen sie von Vertretern eines österreichischen Unternehmens erhalten haben: von der oberösterreichischen Sareno. Die Sareno ist einer der großen Fassadenbauer am Markt, sie gehört zum bekannten großen Kran- und Baukonzern Felbermayr.

"Das passt, das passt nicht"

"Die Sareno-Leute haben uns auf der Baustelle gesagt, was zu tun ist", erläutert Bogdan dem STANDARD, er könne das mit einem Whatsapp-Chat belegen. Ein Kollege von ihm bestätigt die Angaben. "Auch unsere Arbeit kontrollierte die Sareno. Sie haben gesagt, das passt, das passt nicht." Baumaterial sei nur nach Rücksprache mit Sareno eingekauft worden, Arbeitskleidung kam von den Oberösterreichern. Bogdan und seine Kollegen erzählen auch, dass sie immer wieder bei kleineren Firmen angestellt waren, tatsächlich aber für die Sareno gearbeitet hätten. Lange lief das ohne Probleme – bis zum Herbst.

Das Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz schreibt seit 1. 1. 2016 vor, dass der Auftraggeber haftbar gemacht werden kann, wenn er wusste oder hätten wissen müssen, dass er sich einer Scheinfirma bedient. Die AK hat im Namen der Arbeitnehmer daher auch die Sareno auf die offenen Lohnforderungen geklagt und ein zweites, kleineres Wiener Unternehmen, das ebenfalls Mitarbeiter über die PDL beschäftigt haben soll. Das dürfte das erste Verfahren laut dem jungen Gesetz sein, das gerichtlich entschieden wird.

Nicht haftbar

Gegenüber dem STANDARD heißt es von der Sareno, dass sich das Unternehmen immer korrekt verhalten habe. Man habe die selbstbeauftragen Subunternehmer kontrolliert und korrekt ausbezahlt. Die klagenden Arbeitnehmer kenne man gar nicht. Woher dann die Arbeitskleidung bei den Betroffenen stammt? Man habe die Kleidung verkauft, dies ließe sich mit Rechnungen belegen.

Für die Lohnforderungen der Arbeitnehmer sei man keinesfalls haftbar. Der Auftrag an die Scheinfirma PDL stamme nicht von der Sareno, sondern von einer dritten Firma, der Setro. Die Sareno hat die Setro beauftragt – und diese dann die PDL. AK-Juristin Andrea Ebner-Pfeifer sieht das anders: Baufirmen schalten gerne Subunternehmen dazwischen, um einer möglichen Auftraggeberhaftung zu entgehen, sagt sie. "Es ist offensichtlich, dass diese Strategie hier verfolgt wurde." Tatsache ist, dass auch die Setro inzwischen insolvent ist. Vermögenswerte hat die Firma keine.

Eine unter Experten diskutierte Variante, um solche Vorgänge zu verhindern, wäre, auf Baustellen eine Haftung für Generalunternehmer einzuführen. Dieser würde sich dann zweimal überlegen, wen er einsetzt, so das Argument. Zwischengeschaltete Unternehmen würden eine Haftung nicht mehr verhindern. Die Bauindustrie lehnt das ab.

Stornierte Versicherung

Die Behörden interessieren sich auch für die Sareno: Geschäftsführer Leopold Fischer bestätigt eine Hausdurchsuchung beim Unternehmen. Auch er sei als Beschuldigter geführt worden, dies habe er bereits erfolgreich juristisch bekämpft. Die Sareno werde im Verfahren der Staatsanwaltschaft als Beschuldigter geführt, wogegen man aber auch Einspruch erheben werde. Im Fokus der Staatsanwaltschaft steht auch die Setro.

Bogdan und seine Kollegen haben derweil andere Sorgen. Weil sie bei einer Scheinfirma beschäftigt waren, wurde ihre Versicherung von der Wiener Gebietskrankenkasse rückwirkend storniert. Im schlimmsten Fall könnte die Kasse ärztliche Behandlungskosten einfordern. Die AK verlangt von der Kasse nun einen Bescheid in der Causa – um ihn juristisch bekämpfen zu können. (András Szigetvari, 6.4.2018)