Ob es ein Kopftuchverbot in der Volksschule geben soll, wurde lange debattiert, nun soll es kommen.
Foto: APA/Schneider

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat am Mittwoch eine entsprechende Initiative von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache aufgenommen und will nun auch ein Kopftuchverbot an Kindergärten und Volksschulen. Im Ö1-"Morgenjournal" kündigte Kurz eine Gesetzesinitiative an, die bereits heute, Mittwoch, im Ministerrat eingeleitet werden soll.

Der Kanzler will konkret ein Kinderschutzgesetz, das von Bildungsminister Heinz Faßmann, Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß (beide ÖVP) und Integrationsministerin Karin Kneissl (FPÖ) ausgearbeitet werden soll. Teile davon werden nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit umsetzbar sein, womit die Regierung Unterstützung von SPÖ oder Neos benötigt. Begründet wird vom Kanzler sein Vorhaben damit, dass man jeder Entwicklung von Parallel-Gesellschaften entgegenwirken wolle. Alle Mädchen sollten die gleichen Entwicklungschancen haben.

Für

Vizekanzler Heinz-Christian Strache hat sich mit seinem Wunsch für ein Kopftuchverbot in Kindergärten und Volksschulen durchgesetzt. Die Argumentationslinie des FPÖ-Chefs: Mädchen müssten "in ihrer Entwicklung bis zum zehnten Lebensjahr geschützt" werden, um sich "frei entwickeln und integrieren" zu können. Der Freiheitliche bildet, was diesen Vorstoß betrifft, eine ungewöhnliche Allianz mit zahlreichen liberalen Denkern und Feministinnen. So vertritt etwa die Frontfrau der deutschen Frauenbewegung, Alice Schwarzer, eine ähnliche Position: Durch das Kopftuch in der Schule würden "Mädchen als die 'Anderen' sozial ausgrenzt und körperlich einengt", schreibt sie in einem Leitartikel der feministischen Zeitschrift Emma. Auch in der Sozialdemokratie gibt es Stimmen, die diesen Eingriff des Staates gutheißen. So hat sich im Februar die neu bestellte Wiener Landesparteisekretärin Barbara Novak dafür ausgesprochen. Sie werde "als Frauenrechtlerin und Feministin weiter gegen das Kopftuch auftreten", versicherte sie.

"Konservativ-religiöses Welt- und Frauenbild"

Was spricht also für ein Verbot, dass Mädchen ihr Haar verhüllen? So ziemlich alles, findet Soziologe und Integrationsexperte Kenan Güngör. "Es geht um die spielerische, offene und erprobende Selbstentfaltungsfähigkeit der Kinder, die dadurch in diesem Alter eingeschränkt wird", sagt er. Kinder würden in ein "sehr konservativ-religiöses und traditionelles Welt- und Frauenbild eingepresst". Denn eines steht für ihn außer Streit: "Wichtig ist festzuhalten, dass Kinder kein Bedürfnis haben, ein Kopftuch zu tragen. Das Bedürfnis haben deren streng religiöse Eltern. Es geht hier um eine Abwägung zwischen dem Erziehungsrecht und dem Kindswohl. Hier sollte Letzteres höher eingestuft werden."

Noch ein Kontext stört den Soziologen massiv: Der Mainstream der streng religiösen Muslime sei der Meinung, dass "durch das Kopftuch die Männer vor den sexuellen Reizen der Frau geschützt werden sollen". Ein Ansatz, der aus mehreren Gesichtspunkten hochproblematisch sei. Güngör: "Männer werden als das lustgetriebene Geschlecht gesehen, die nicht in der Lage sind, mit Frauen und Mädchen in einen normalen, nichtsexualisierten Kontakt zu treten. Mädchen und Frauen müssen den Preis dafür bezahlen, indem sie sich verhüllen und zurücknehmend verhalten". Kinder als " sexualisierte Objekte zu rezipieren", die man zu verhüllen habe, sei besonders problematisch. "Das missfällt auch den moderaten Muslimen, die hier noch viel deutlicher ihrer Stimme erheben müssten", sagt Güngör.

Im Bildungsministerium von Heinz Faßmann (ÖVP) haben die Rechtsexperten geprüft und sind laut "Krone" zum Schluss gekommen, dass ein Kopftuchverbot sehr wohl rechtlich möglich wäre.

Wider

Für die Frauenbeauftragte der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Carla Amina Baghajati, ist die Debatte über ein Kopftuchverbot in Kindergarten wie Volksschule vor allem eines: kontraproduktiv. "Wir haben einen sehr gut funktionierenden innermuslimischen Dialog", sagt sie. Statt auf Verbote zu setzen, gehe es viel mehr um Erkenntnisprozesse und Aufklärung. Das Tuch sollte in Kindergarten und Volksschule auch "gar nicht Thema sein", sagt Baghajati, denn dafür brauche es nach gängiger islamischer Auslegung erst die "geistige und körperliche Reife".

Bedenken kommen nicht nur aus der Community, auch Grundsätzliches kann dem Vorhaben des Vizekanzlers im Weg stehen. Ein Verbot könnte gegen die Grundrechte verstoßen. Davor warnt Manfred Nowak, Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenrechte. "Es ist ein Eingriff in die Religionsfreiheit und in die Privatheit der Kinder, aber auch der Eltern. Was ich anziehe, ist außerdem ein Teil meiner Meinungsäußerung", zählt er die Problemfelder auf.

"Massiver Einschnitt"

Ein Verbot auszusprechen sei "ein massiver Einschnitt". Das ginge zwar, aber dafür müsste der Staat starke Argumente vorbringen. "Womit soll er aber argumentieren? Mit der nationalen Sicherheit?", fragt sich Nowak. Oder sei der Druck so groß, dass "Kinder ohne Verbot Schaden nehmen und man daher zum stärksten Mittel, dem Verbot, greifen muss?" Der Staat komme rasch in Erklärungsnotstand.

Auch andere Rechtsexperten äußern schwere Bedenken in Sachen Kopftuchverbot: In Kindergärten habe der Bund diesbezüglich ohnehin nichts mitzureden, das sei Ländersache, sagt Verfassungsjurist Heinz Mayer. Darüber hinaus bezweifelt auch er, dass deshalb in die Religionsfreiheit eingegriffen werden dürfe.

Maria Wittmann-Tiwald, Vorsitzende der Fachgruppe Grundrechte in der Richtervereinigung, setzt sich seit langem für ein Verbot religiöser Symbole in Gerichtssälen ein – und kann das auch rechtlich sauber argumentieren: "Seinen Richter kann man sich nicht aussuchen. Durch einen Eingriff in die Religionsfreiheit wird hier ein anderes Grundrecht gestärkt, nämlich das auf ein neutrales Gericht", sagt sie. Auf Kindergärten und Volksschulen treffe das aber alles nicht zu. Wittmann-Tiwald hält es dennoch nicht für unmöglich, eine "fundierte Argumentation" zu finden. Das müsse ausjudiziert werden.

Klassische laizistische Staaten wie Frankreich hätten es leichter, ein Kopftuchverbot durchzusetzen, sagt Menschenrechtsexperte Nowak. Dort werde keine Religion im öffentlichen Bereich geduldet. "Bei uns hängen die Kreuze an der Wand, es gibt das Konkordat, in den meisten Schulen gibt es Religions- statt Ethikunterricht. Das wird schnell scheinheilig."

Jurist Nowak fürchtet auch, dass mit diesem Verbot die Debatte nicht beendet sein wird: "Sind dann die Universitäten als Nächstes an der Reihe?" (Peter Mayr, Katharina Mittelstaedt, APA, 3.4.2018)