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Komponist Jóhann Jóhannsson noch als Elektroniker bei einem Gastspiel in Japan 2007.
Foto: Reuters/Nakao

Wien – Dass in der Klassik geschulte Musiker versuchen, sich mit elektronischen Sounds auseinanderzusetzen, ist nicht ganz neu. Als Beispiele seien etwa Neoklassik-Superstar Max Richter (Three Worlds), der Isländer Ólafur Arnalds (Broadchurch) oder die junge britische Komponistin Mica Levi (Under the Skin) genannt. Sie produziert unter dem Pseudonym Micachu zwischendurch auch herrlich spinnerte Popmusik. Clublastiger wird es dann beim Berliner Nils Frahm (All Melody), der mit bearbeiteten Klavieren mitunter zu wohlklingenden Sitzdisko-Tracks im Stile des DJ-Gottes Paul Kalkbrenner gelangt (Berlin Calling).

Wer sich in den früheren Traum jedes progressiven Musiklehrers und das boomende Genre einhören will: Auf Boomkat, der als Onlinehandel getarnten besten Zeitschrift für Grenzlandmusik, wird man unter "Modern Classical / Ambient" für Wochen fündig.

Radio-Session bei KEXP in Seattle im Jahr 2017.
KEXP

Wie auch die meisten genannten Kollegen ist der im Februar mit nur 48 Jahren verstorbene autodidaktische Komponist Jóhann Jóhannsson ursprünglich vom Pop gekommen. Er spielte daheim in Reykjavík den handelsüblichen Indie-Kram. Davon gelangweilt ließ er elektronische, vor allem auch die Beschäftigung mit Minimal- und Dronemusik folgen. Diese erweiterte er bald um ein klassisches Orchesterinstrumentarium, zerlegte die Aufnahmen im Studio in Mikrostrukturen und setzte sie im Sinne eines "Weniger ist mehr" neu zusammen.

Ruf des Kinos

Nach Arbeiten fürs Theater sowie Kollaborationen mit Avantgardegrößen wie Pan Sonic, Can-Drummer Jaki Liebezeit, Stephen O'Malley oder auch Poptragöde Marc Almond folgten diese vor allem der Textur vertrauenden, atmosphärisch sehr gern auch düster gehaltenen Kompositionen dem Ruf des Kinos. Zuletzt etwa erschien von Jóhannsson der Soundtrack für die Stephen-Hawking-Bio The Theory of Everything mit oft an der Grenze zum Kitsch flirrenden Tracks. Bedrohlich in den Bässen wummernde, bei entsprechender Stimmung beklemmende Dröhnland-Sounds machten schließlich auch die Filme Sicario sowie Arrival von Regisseur Denis Villeneuve zum Ereignis.

Jóhann Jóhannssons Soundtrack zu "Arrival".
JohannJohannssonVEVO

Es gibt ein Leben nach dem Tod: Noch vor seinem Ableben konnte Jóhannsson die Überarbeitung seiner frühen Theaterarbeit Englabörn beenden, die jetzt bei der Deutschen Grammophon erschienen ist. Inklusive Remixes etwa von Ryuichi Sakamoto zeigen diese kammermusikalischen Stücke von 2002, dass im Geiste Arvo Pärts, Eric Saties, von Brian Enos Ambientansatz und ein wenig Computernostalgie mit den Mitteln der Reduktion unglaubliche Intensität erreichbar ist. (Christian Schachinger, 3.4.2018)