Österreichs Mittelstürmer Matthias Sindelar (rechts) im Zweikampf mit dem deutschen Mittelläufer Ludwig Goldbrunner. Im Hintergrund Hakenkreuz-Symbole an den Tribünen.

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Den ÖFB gab es seit 28. März de facto nicht mehr. Ein Programmheft fürs "Versöhnungsspiel" gab er aber noch heraus. Auf dem Cover lief da aber schon das deutsche Team ein und verdeckte so die elf "Ostmärker".

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Es war Sonntag und das Wetter so, wie man es sich für Anfang April wünschen konnte: heiter bis wolkig, wechselhaft, aber trocken. Als Fußballwetter ideal. Und das war gut so, denn es galt ja, diesen 3. April 1938 in ganz Österreich zu einem wahren Fußballfest zu machen. Salzburg matchte sich mit einer Stadtauswahl von München (und verlor 1:3), Klagenfurt empfing Breslau (1:5), Innsbruck Berlin (0:3), Linz Dresden (3:6).

Alles Interesse aber richtete sich auf Wien. Im Prater empfing das österreichische Nationalteam – der Schatten des vor ein paar Jahren noch europamächtigen Wunderteams – Deutschland zu einem Ländermatch. Oder zu keinem Ländermatch. Denn das war der Sinn der Angelegenheit: dass es in einer Woche keine zwei Länder mehr geben sollte. Am nächsten Sonntag sollte darüber in einer längst schon entschiedenen Volksabstimmung entschieden werden.

Einen ÖFB gab es ohnehin nicht mehr. Am 28. März ist der heimische Fußballverband, die politische Faktizität nachvollziehend, aus der Fifa ausgetreten. Darum scheint das österreichische 2:0 auch in keiner Länderspielstatistik auf. Österreichs letzte offizielle Partie war das 1:2 am 24. Oktober des Vorjahres in Prag, das zum Europacup der Nationen gezählt hatte. Aus dem verabschiedete sich das Team, das diesen Bewerb 1932 gewonnen hatte, nun auch ohne Sang und Klang.

Österreich, das sich in den 1920er- und 1930er-Jahren zu einer formidablen Fußballnation gemausert hatte, sollte an diesem 3. April 1938 also seinen Abschied feiern aus dem calcio danubiano. Ein letztes Mal durften die Wiener Ballesterer als Nationalteam – da und dort eh schon "Gaumannschaft" genannt – einlaufen. Als kleiner Teil der großen Propaganda. Die hat Hitler an diesem Tag nach Graz geführt, weshalb es dort kein Match gegeben hat. Nur die Führerrede.

Das Wiener Stadion war ausverkauft. 60.000 sind gekommen zum "Versöhnungsspiel", das als "Anschlussspiel" in den Legendenschatz Eingang fand, den Österreich nach dem nun bald schon vom Zaun gebrochenen Krieg gern erzählte über sich.

Widerborstigkeiten

Kleine Gesten der Widerborstigkeit hätten der mittlerweile 35-jährige Matthias Sindelar und seine Teamkollegen gesetzt. Eine lange erste Hälfte habe man den offenbar ausgegebenen Befehl, nicht zu gewinnen, ostentativ ausgeführt mit abschlusslosen Tänzchen im deutschen Strafraum. Als dem Sindelar dann die Tanz' zu viel wurden, habe er vor der Ehrentribüne überbordend gejubelt, ehe Freund Karl Sesta, der Verteidiger, aus 50 Metern den deutschen Goalie Hans Jakob überhob.

Selbst die Dressenwahl – Sindelar habe das ausdrücklich gewünscht – galt in den Legenden als Akt des nunmehr unerwünschten und somit widerständigen austriakischen Patriotismus. Der sich freilich auch als eine Demütigung interpretieren ließ.

Immerhin war das rot-weiß-rote Spielgewand die Auswärtsdress, während die nach Wien gereisten Deutschen im höheren Propagandasinn schon jetzt keine Gäste mehr waren oder sein wollten, weshalb sie also in ihren weiß-schwarzen Heimdressen spielen durften. Und Weiß-Schwarz war auch für die Österreicher die Heimdress, bis – viel, viel später – dem Teamchef Hans Krankl das patriotische Herz überging. Heute wird daheim tatsächlich in Rot-Weiß-Rot gespielt.

Der Berliner Schiedsrichter Alfred Birlem pfiff die Partie, die also weniger ein Länderspiel war als ein Abgesang darauf, um 16.10 Uhr an, und in weiterer Folge entwickelte sie sich – so man einen Blick hinter das Pathos der Berichterstattung wagen darf – zu einem vorderhand faden, wenig funkensprühenden Abtasten. Nur zeitweilig, so schrieb es jedenfalls das "Sport-Tagblatt", kam "das zum Aufleuchten, was man so 'Wiener Schule' nennt".

"Binder, erwache!"

Matthias Sindelar und sein Linksverbinder Franz "Bimbo" Binder schwächelten ärgerlich. An Letzterem entzündete sich sogar eine kleine ironische Publikumsvolte. Das grausliche Lied der Nazis wurde flugs zum Sprechchor: "Binder, erwache!"

Das tat er selbst in der 62. Minute nicht. Da ließ der Rapidler zwar von halblinks einen seiner gefürchteten Weitschüsse von der Strafraumgrenze los. Der aber traf die lange Stange. Von dort sprang der Ball zum Austrianer Josef Stroh, der bediente Klubkollegen Sindelar. Und der den Goalie Jakob. Kein Glückstreffer, aber doch einer, bei dem das Glück beim Schopf gepackt wurde.

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Wenig anders acht Minuten später. Da legte sich der Rechtsverteidiger Karl Sesta – "Blader" nannte ihn der zärtliche Volksmund – den Ball ungefähr bei der Mittelauflage zum Freistoß zurecht. Hans Jakob von Jahn Regensburg unterschätzte die Schussgewalt des gelernten Schmieds. Er sprintete zwar noch zurück, aber der Ball senkte sich unhaltbar für ihn ins Tor.

Die beiden Goals der Österreicher, grafisch aufbereitet für die Leser des "Sport-Montag" am Tag danach.
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Der Wiener Fußball verabschiedete sich mit einem 2:0 aus der Weltgeschichte. Der kleine, fußballferne Maxi dachte sich die nun kommende Sache als schlichte Addition. Wiener Scheiberln + körperbetonte deutsche Geradlinigkeit = Weltherrschaft.

Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten ließ denn auch das Stadion wissen: "Ich weiß die Stellung des deutschösterreichischen Fußballsports, die weltberühmte Wiener Fußballkunst zu schätzen und erkläre, wir wären große Ochsen, wenn wir ihn zerstören würden." Die Ochsen zerstörten freilich weit mehr als nur die Wiener Fußballkunst.

Wahlwerbung

Der "Völkische Beobachter", das nazistische Kampfblatt, sah "eine rechte Werbung für die großdeutsche Vereinigung". Das Spiel "dürfte auch die ihm gestellte Aufgabe im Rahmen des Wahlkampfes voll erfüllt haben".

Am darauffolgenden Sonntag, dem 10. April, stimmten 99,75 Prozent der Österreicher für das Ochsenjoch. Da hatte die Verfolgung längst begonnen. Schon am 1. April waren die ersten 151 "Prominenten" nach Dachau transportiert worden. (Wolfgang Weisgram, 3.4.2018)