Wien – Josef Bierbichler ist als Spross einer Wirtsdynastie mit dem Fluch des Erbens direkt in Berührung gekommen. Der herkulisch-elegante Schauspieler war dazu berufen, das seit dem 18. Jahrhundert in Familienbesitz befindliche Restaurant Der Fischmeister am Starnberger See zu führen. Über diese familiäre Last, aber vor allem die sich in ihr widerspiegelnde deutsche Zeitgeschichte schrieb er 2011 einen Roman. In Mittelreich verknüpft Bierbichler eine über drei Generationen reichende bayerische Familiengeschichte mit den in zwei Weltkriege gemündeten Verwerfungen deutscher Historie.

Josef Bierbichler als hemdsärmeliger Seewirt in der abgründigen Adaption seines eigenen Romans: "Zwei Herren im Anzug".
Foto: Filmladen

Nach Motiven des Romans, der in einer Bühnenfassung auch an den Münchner Kammerspielen zu sehen war, hat Bierbichler nun auch einen Film gedreht. Einen wunderschönen, abgründigen, gewagten, künstlerisch stellenweise überspannten Heimatfilm der allerkritischsten Art: Zwei Herren im Anzug.

Verfluchtes Erbe

Er führt von der naiven Kampflust junger Männer im Ersten Weltkrieg bis in die 1970er-Jahre, als der letzte Seewirtsohn Semi (Simon Donatz) am Tag von Mutters Beerdigung mit seinem Vater Pankraz (Bierbichler) endlich Tacheles redet. Nach dem Totenmahl lassen sich Vater und Sohn nieder, um die gemeinsame und doch so trennende Familiengeschichte in schmerzvollen Rückblenden aufzuarbeiten. Dabei spielen Bierbichler und Donatz (auch im echten Leben Vater und Sohn) jeweils Vater und Sohn aufeinanderfolgender Generationen.

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In der Rückblende zwingt der patriarchalisch regierende Seewirt seinen der Musik zugetanen, jüngeren Sohn Pankraz (diesmal: Simon Donatz) zur Hofübernahme, da dessen kriegsversehrter Bruder als geisteskrank gilt. Pankraz nimmt das "verfluchte Erbe" an. Er kehrt traumatisiert von der Ostfront zurück – ohne der Verpflichtung zu entgehen, an der Seite seiner Frau Theres (Martina Gedeck) ein ganz normales Leben zu führen. Schuldgefühle machen es ihm unmöglich, eine Beziehung zu seinem eigenen Sohn aufzubauen. Als dieser als Zwölfjähriger im Internat sexuell missbraucht wird, steht ihm der Vater nicht bei.

Pankraz als traumatisierter Kriegsrückkehrer (Sepp Bierbichler) mit seiner Frau (Martina Gedeck).
Foto: Filmladen

So haben "Verdrängung" und "Feigheit" Auswirkung von einem Menschenleben auf das nächste. Die beiden Worte hallen dem ausladenden Familienpanorama am Ende als Conclusio etwas schwerfällig nach. Doch auf literarisierte Dialogsprache setzt Zwei Herren im Anzug von Anfang an. Auch visuell bricht der Film aus Realitätsschranken aus, mit surrealen Bildern von Himmelsfahrten oder applaudierenden Lohengrinmädchen in der Wiese. Und über allem wachen die Engel der Geschichte. Bei Bierbichler sind es die zwei titelgebenden Herren im Anzug, die Poesie von Heiner Müller oder George Tabori im Mund führen.

Eine frühe Schlüsselszene dieses Bewältigungsfilms ist das Fellini-hafte Faschingsfest nach dem Krieg, bei dem eine geile Hitlerin (Catrin Striebeck) um Zustimmung buhlt ("Wir sind noch lange nicht alle abgetreten") und Pankraz im götterdämmernden Sturm zum Fliegenden Holländer wird: "Ihr Welten, endet euren Lauf! / Ew'ge Vernichtung, nimm mich auf"! Das schwarze Loch der Erinnerung wird nicht vergehen. Im Kopf dröhnen die diffusen Bilder von dem, was 1944 in Polen war, weiter. (Margarete Affenzeller, 3.4.2018)