Der 29-jährige Mönch Dayroyo Boulos schreibt das aramäische Vaterunser auf Schafsleder und verschenkt es.

Foto: Lissy Kaufmann

"Wir brauchen Menschen, die Aramäisch sprechen", sagt er.

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Als Elieser Ben Jehuda Ende des 19. Jahrhunderts den Plan schmiedete, die hebräische Sprache wiederaufleben zu lassen und ein Wörterbuch für das moderne Hebräisch zu entwickeln, hielten ihn viele für verrückt. Hebräisch war damals als gesprochene Sprache ausgestorben, galt als heilige Sprache, in ihr wurde die Thora geschrieben und gebetet. Doch Ben Jehuda hatte einen Traum. Und der hat sich erfüllt: Mittlerweile bekommt jeder jüdische Neueinwanderer in Israel einen Hebräischkurs vom Staat bezahlt.

In Israel hat heute Schadi Challul in einem Dorf in Galiläa einen ähnlichen Traum. Er will Aramäisch, die Sprache Jesu, wieder zum Leben erwecken, denn auch das Aramäische ist zur Liturgiesprache verkümmert. Challul, dessen Muttersprache Arabisch ist, ärgert das. "Wir sind maronitische Christen und damit Aramäer. Wir sind Nachfahren jener Christen, die Jesus gefolgt sind. Warum haben wir seine Sprache vernachlässigt? Wir sollten stolz sein."

"Shlomo"

Vor gut zehn Jahren begann er, Aramäisch zu lernen. Erst bei dem maronitischen Priester hier im Dorf Gush Halav, später bei einem Priester aus der Türkei. Challul kaufte sich Bücher, suchte nach Lernmaterial im Internet. Er setzte durch, dass in der Volksschule im Dorf wieder Aramäisch angeboten wird.

"Shlomo", begrüßt er an diesem Abend seine Bekannte Niwin Elias. Das ist Aramäisch und heißt Hallo. Niwin Elias ist seit einigen Monaten seine Schülerin. Einmal pro Woche unterrichtet Challul. "Für mehr habe ich keine Zeit", sagt er und schnappt sich im Wohnzimmer von Niwin Elias ein dickes, schwarzes Buch mit der Aufschrift "Shimo": ein Gebetsbuch der syrisch-orthodoxen Kirche.

Diese hat Aramäisch als Liturgiesprache behalten, genauso wie die maronitische und die syrisch-katholische Kirche. Challul beginnt aus dem Buch vorzulesen. Es klingt wie eine Mischung aus Hebräisch und Arabisch. "Aramäisch ist hier nie ganz verschwunden. Seit Schadi uns unterrichtet, fühlen wir uns dieser Sprache stärker verbunden", sagt die 34-jährige Niwin Elias.

Islamische Expansion

Aramäisch, eine semitische Sprache, entwickelte sich gegen Ende des Neubabylonischen Reiches (626 bis 539 vor Christus) zur Lingua franca der Region, erklärt Sprachenforscher Steven Fassberg von der Hebräischen Universität in Jerusalem: "Zweifellos muss also auch Jesus Aramäisch gesprochen haben. Als Jude aus dem Norden konnte er sicherlich auch Hebräisch, das wurde in der Gegend noch bis ins Jahr 200 gesprochen." Mit der islamischen Expansion breitete sich aber Arabisch in der Region aus und verdrängte die anderen Sprachen.

Drei Dörfer Syriens

Und doch ist Aramäisch noch nicht ganz ausgestorben: Es zählt zu den ältesten noch gesprochenen Sprachen. Denn in einigen kleinen, abgelegenen christlichen und jüdischen Dörfern bewahrten die Einwohner die Sprache. In Syrien kennt Fassberg drei Dörfer.

Doch immer weniger beherrschen die Sprache: Juden, die noch Aramäisch gesprochen haben, sind nach Israel eingewandert und haben Hebräisch gelernt. Zudem treiben Kriege und Unruhen die Christen aus der Region. Heute lebt die größte Gemeinde an Aramäisch sprechenden Christen in Europa, vor allem in Schweden. Fassberg schätzt, dass es weltweit noch einige Hunderttausend Sprecher gibt.

"Ich bin Aramäer", sagt Challul stolz. Dass Menschen ihn einen christlichen Araber oder einen arabischen Israeli nennen, macht ihn wütend: "Wir sehen es als einen Fehler an, dass der Staat Israel uns nach seiner Gründung als Araber registriert hat." Challul hat erreicht, dass Christen mit entsprechenden Vorfahren seit 2014 in ihrem Ausweis "Aramäisch" eintragen lassen können.

Kämpfender Mönch

Als Nächstes möchte Challul ein Dorf in Galiläa bauen, in dem nur noch Aramäisch gesprochen wird. Dafür ist er sogar der rechtsnationalen Partei Unser Haus Israel beigetreten, deren Vorsitzender Verteidigungsminister Avigdor Lieberman ist.

All das kommt in Israel nicht bei allen gut an. Andere arabische Israelis sehen es als Verrat, weiß auch Dayroyo Boulos. Der 29-jährige Mönch lebt im syrisch-orthodoxen Markuskloster in der Altstadt Jerusalems. Als Mönch muss er fließend Aramäisch sprechen – und auch er will die Sprache bewahren. "Aber es gibt auch Christen hier, die finden das gar nicht gut. Sie sagen: Wir sind Araber, wir sind Palästinenser, das ist nicht unsere Sprache. Wir aber sagen: Wir sind aramäisch, wir sprechen noch immer in der Sprache Jesu und wollen sie wiederaufleben lassen." (Lissy Kaufmann aus Gush Halav, 3.4.2018)