Verhandlungen auf Naschmarktniveau: Das warf Klaus Klaushofer (rechts) der Pharmaindustrie vor. Martin Munte (links) verteidigte sie.

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Internist Klaus Klaushofer: "Besser als Zwangsmaßnahmen wären selbst auferlegte Regeln. Da bräuchten wir einen modifizierten Ethikkodex der Pharmaindustrie, der sich mit der Preisgestaltung beschäftigt."

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Pharmig-Präsident Martin Munte: "Der Preis eines Medikaments enthält auch einen Anteil an Forschungs- und Entwicklungskosten für viele Wirkstoffe, die es nicht bis zur Marktreife geschafft haben."

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STANDARD: Die Preise für neue Arzneimittel sind hoch. Explodieren die Kosten?

Klaus Klaushofer: Die Krankenkassen geben rund 20 Prozent ihres Budgets für Arzneimittel aus. Diese Ausgaben sind in den vergangenen acht Jahren um rund 25 Prozent gestiegen. Dazu kommen noch Ausgaben in den Spitälern und von Privaten. Als Arzt bin ich sehr dafür, dass Patientinnen und Patienten die geeignetsten Arzneimittel bekommen. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass unser solidarisches System finanzierbar bleibt.

Martin Munte: Auch die Pharmaindustrie sieht sich als Teil des Solidarsystems. Wir haben ein großes Interesse, das System gemeinsam mit den Partnern im Gesundheitswesen im Sinne der Patientinnen und Patienten weiterzuentwickeln. Aus unserer Sicht gibt es keine Kostenexplosion. Die Ausgaben liegen seit Jahren konstant zwischen zwölf und 13 Prozent des Gesundheitsbudgets. Um diese Kosten stabil zu halten, haben wir einen Vertrag mit dem Hauptverband abgeschlossen. Seit 2008 haben wir im Zuge dessen bereits mehr als 300 Millionen Euro an Solidarbeiträgen an die Krankenkassen geleistet.

STANDARD: Wie hoch waren die Ausgaben zuletzt?

Munte: Entsprechend der vorläufigen Gebarung des Hauptverbands liegt die Steigerung bei 3,8 Prozent für 2017. Je nach tatsächlicher Höhe werden wir die Krankenkassen über den Rahmenpharmavertrag heuer mit bis zu 60 Millionen Euro unterstützen. Rechnet man alle Preis- und Rabattmodelle der einzelnen Unternehmen dazu, können wir sogar von einem Null- oder sogar Minuswachstum bei den Ausgaben der Krankenkassen sprechen.

Klaushofer: Diese Preismodelle, bei denen Firmen den Krankenkassen für einzelne Medikamente Rabatte gewähren, schätze ich gar nicht. Das ist völlig intransparent, und hier laufen Verhandlungen auf Naschmarktniveau. Das ist auch ein Problem in ganz Europa. Man kann die Preise nicht seriös vergleichen. Wir möchten, dass die Ärzte wissen, was die von ihnen verordneten Medikamente kosten.

STANDARD: Gibt es überhaupt einen fairen Preis für ein Medikament?

Klaushofer: Kürzlich kam ein Medikament gegen Hepatitis C auf den Markt. Das war sehr teuer, aber auch wirksam. Bei einem solchen Medikament hat der Anbieter eine wirkliche Monopolstellung und kann die Sozialversicherung mit dem Preis erpressen. In diesem Fall konnte die Firma ihre Investitionskosten bereits in einem Jahr wieder hereinspielen. Das gibt es vermutlich in keinem anderen Wirtschaftszweig. Mittlerweile haben sich die Preise für die Hepatitis C Behandlung durch Konkurrenz schon etwas reduziert.

STANDARD: Die hohen Kosten waren also verkraftbar?

Munte: Ein Kompliment an den Hauptverband: Das hat er bei Hepatitis C sehr gut geschafft. In meinen Augen war die Kommunikation der Firma nicht optimal. Daraus sollten wir lernen. Wir würden uns gerne mit den Gesundheitsbehörden und Sozialversicherungen zusammensetzen und eine Art "Horizon Scan" machen. Also gemeinsam schauen, welche Innovationen gerade in der Entwicklung sind, und welche planbaren Kosten auf das System zukommen werden.

STANDARD: Arzneimittel können lebenswichtig sein. Darf so ein Produkt dem freien Markt überlassen werden?

Klaushofer: Medikamente kann man nicht einfach kaufen wie Wurstsemmeln. Wenn ich Lungenkrebs habe, will ich eine passende Chemo- oder Immuntherapie. Von zehn Patienten sprechen jedoch nur ein bis zwei darauf an. Da stellt sich schon die Frage, ob die hohen Kosten angesichts der nicht vorhersehbaren Ansprechrate berechtigt sind. Wenn die Produktionskosten den hohen Preis rechtfertigen würden, dann hätte ich ja nichts dagegen einzuwenden. Wenn es aber darum geht, Unternehmensgewinne zu maximieren, dann muss es Regulationsmechanismen geben. Besser als Zwangsmaßnahmen wären selbst auferlegte Regeln. Da bräuchten wir einen modifizierten Ethikkodex der Pharmaindustrie, der sich mit der Preisgestaltung beschäftigt.

Munte: Der Preis eines Medikaments enthält auch einen Anteil an Forschungs- und Entwicklungskosten für viele Wirkstoffe, die es nicht bis zur Marktreife geschafft haben. Im Rahmen der Verhandlungen mit dem Hauptverband wird neben anderen Kriterien auch der Nutzen bewertet. Auf dieser Basis wird ein angemessener Preis verhandelt. Aus unserer Sicht wird hier der Innovationsgrad oft herabgestuft und mit ungeeigneten Alternativen verglichen. Das ist mit ein Grund, warum wir den österreichischen Patienten nicht immer alle Medikamente sofort zur Verfügung stellen können.

STANDARD: Lässt sich der Nutzen eines Medikaments eindeutig feststellen?

Munte: Vielfach hängt es vom Einzelfall ab. Gerade bei Krebs, wie zum Beispiel beim Myelom, wird die Therapie oft nach drei oder vier Zyklen beendet. Damit wird unter Umständen der Therapieerfolg nicht ausgeschöpft. Das darf nicht aus ökonomischen Gründen passieren.

Klaushofer: Weil Sie das Myelom ansprechen. Da wurde ein altes Präparat, früher unter dem Namen Contergan bekannt, gering modifiziert und unter einem neuen Namen zu einem viel höheren Preis auf den Markt gebracht. Das ist ein häufiger Schmäh. Die Industrie nützt auch Ergebnisse aus der Grundlagenforschung von Universitäten und öffentlich geförderten Einrichtungen. Auch für die klinischen Prüfungen braucht die Pharmaindustrie die öffentlichen Spitäler, damit sie an die Patienten herankommt.

Munte: Wir bezahlen für die klinische Infrastruktur Honorare und Aufwendungen. Es liegt auch an den öffentlichen Förderstellen, dass sie sich einen Teil der späteren Erlöse vertraglich sichern. Man kann der Industrie nicht vorwerfen, dass sie ein Produkt übernimmt und vermarktet.

STANDARD: Was halten Sie davon, teure Medikamente nur zu bezahlen, wenn sie wirken?

Klaushofer: Solche sogenannten "Pay for performance"-Regelungen lehne ich persönlich ab. Wir haben das bei einzelnen Produkten ausprobiert. Aber solche Modelle sind rechtlich gar nicht einfach zu regeln und brauchen viel Dokumentation. Es gibt auch international keinen echten Nachweis, dass damit Kosten gespart werden können.

Munte: In einigen Ländern gibt es durchaus gute Erfahrung mit solchen Modellen. Die Dokumentation kann zum Beispiel über ein Register laufen. Natürlich muss man dabei auf den Datenschutz achten. Es wäre aber wichtig, dass wir bei der Verabreichung flexibler werden. Wenn Patienten zwei- bis dreimal pro Woche in eine Ambulanz müssen, ist das belastend. Man könnte es schaffen, dass sie nur noch einmal kommen müssen oder zuhause betreut werden können. Dazu müssten aber alle im System mithelfen und kooperieren.

STANDARD: Wie gut ist die Versorgung mit Medikamenten in Österreich?

Klaushofer: Mir kommt vor, wir als Sozialversicherung haben immer den schwarzen Peter, obwohl wir sicherstellen, dass die neuesten Medikamente, die echten Innovationen, rasch verfügbar sind. Im Gegensatz zu manchen anderen Ländern – wie etwa den USA – bekommt bei uns jeder die Therapie, die er braucht, unabhängig vom Einkommen. Aber bei älteren Produkten passiert es uns schon, dass Firmen unseren kleinen Markt nicht mehr beliefern wollen.

Munte: Ich denke, dass wir im internationalen Vergleich gut dastehen. Wir haben in Österreich den Erstattungskodex mit klaren Regeln, welche Medikamente von den Kassen bezahlt werden. Bei den Medikamenten, die die Patienten im Spital bekommen, ist es leider nicht so einfach. Da gibt es zu viele verschiedene Ansprechpartner.

STANDARD: Es gibt ein Medikament gegen eine seltene Muskelerkrankung, das pro Jahr angeblich 450.000 Euro pro Patient kostet. Ist das bezahlbar?

Klaushofer: Als Mediziner will ich, dass jeder Patient die für ihn medizinisch notwendige Therapie bekommt. Was ich allerdings nicht möchte, ist, dass mir die Politik, die Pharmaindustrie oder die Medien diktieren, wie ich meine Patienten behandeln soll. Hilfreich sind evidenzbasierte fachliche Bewertungen. Es gibt immer mehr Medikamente für seltene genetische Erkrankungen. Wenn damit Kinder aus der Intensivstation kommen und sich halbwegs normal entwickeln können, gibt es einen eindeutigen Nutzen, für den die Solidargemeinschaft bezahlen soll. Im gegenständlichen Fall handelt es sich um ein Medikament, das nur in spezialisierten Zentren verabreicht werden kann. Die Indikation muss von kompetenten Fachärzten gestellt werden. Ein öffentliches Theater halte ich für ethisch problematisch und hilft den Patienten nicht. Da trägt die Pharmaindustrie eine Verantwortung.

Munte: Die Beeinflussung von Patienten widerspricht unserem Ethikkodex. Wenn das jemand macht, ist das ein Überschreiten der roten Linie. Sollten wir im Branchenverband so etwas sehen, würden wir uns mit den Verantwortlichen auseinandersetzen. Wir sollten hier den Dialog zwischen Finanziers, Ärzteschaft und Industrie suchen, um zu verhindern, dass solche Fälle emotional in den Medien diskutiert werden. Wir wollen ja alle nicht, dass Patienten verunsichert werden. (Andrea Fried, CURE, 17.4.2018)