Johann Sebastian Bach, wie ihn Elias Gottlob Haussmann sah.

Foto: APA

Wien – Es mag am Karfreitag verstärkt an geistliche Musik und dabei an Johann Sebastian Bach gedacht werden. Johannes-Passion, h-Moll-Messe, Weihnachtsoratorium und an die 200 erhaltene Kantaten sind Monumente einer rätselhaft inspirierten, gottesfürchtigen Kunst, an deren Spitze die Erzählung vom Leiden und Sterben Christi stehen mag, die Matthäus-Passion. Wie jede imposante Kunst transzendiert allerdings auch Bachs OEuvre jene Alltagsfunktion, welche das barocke Genie, etwa als Thomaskantor zu Leipzig, bedienen musste.

Die Universalaura Bachs, dessen Wiederentdeckung auf Felix Mendelssohn Bartholdy zurückgeht (Aufführung der Matthäus-Passion 1829), lässt sich schon an Kollegenreaktionen ablesen: "Es mag sein, dass ein Komponist nicht an Gott glaubt – an Bach glauben sie alle!", so der Klassiker der Moderne, Mauricio Kagel, aus dessen Feder eine Sankt-Bach-Passion stammt. Kagel mag an Beethoven gedacht haben ("Bach sollte nicht Bach, sondern Meer heißen") oder an Schumann ("Wir sind Stümper gegen ihn!").

Unablässige Bewegung

Er mag auch Alban Berg im Sinn gehabt haben, der in seinem Violinkonzert einen Bach-Choral integriert und auch das "B-A-C-H-Motiv" zum Einsatz bringt, zu dem eine Fülle an kompositorischen Verarbeitungen existieren. Werbemusik wird Kagel hingegen nicht im Sinn gehabt haben. Doch auch in Spots hat Vater Bach vorbeigeschaut. Seine fröhlich dahintänzelnde Badinerie (aus der Orchestersuite Nr. 2) oder die erhaben-melancholische Air (Orchestersuite Nr. 3) kamen zur Anregung von Kauflust zum Einsatz. Bach konnte ja "Hits" schreiben.

Das Kölner Ensemble Musiqua Antiqua interpretiert Bachs "Kunst der Fuge".
carlofarina

Wenn es um die Tiefenwirkung seiner Musik geht (wie überhaupt jedweder Musik), ist allerdings das Überschreiten des Dreiminutenformats zu empfehlen. Erst das Erfahren der kontrapunktischen Linearität und der eleganten Eloquenz gegenseitig sich anstachelnder Stimmen, die etwa die Kunst der Fuge bietet, vermittelt das Wesen einer auf unablässige Bewegung angelegten drängenden Stilistik. Ihr pulsierender Charakter hat auch den Jazz inspiriert. Der Einfluss reicht vom polyfonen Cool Jazz über die Kammermusik eines Modern Jazz Quartet bis hin zu den Improvisationen des Saxofonisten Paul Desmond. Dessen Ideen erwecken durch Registerwechsel die Illusion eines zweistimmigen Kontrapunkts.

Wenn die Engel musizieren

Zum Wesen von Bachs Musik führt aber auch ein Soloviolinwerk wie die Chaconne. In dunkel-melancholischem d-Moll öffnet sie akkordisch die Tür zu einem Instrumentaltheater der ekstatischen Variation. Der Hörer man sich dabei Gott näher fühlen oder sich selbst. In jedem Fall ist eine Erhebung über die Ebenen des Alltäglichen zu erfahren, hinauf zu Sphären, in denen die begriffliche Sprache hilflos bleibt.

Es mag einen dabei die Gewissheit überkommen, Bach sei der größte aller Schreiber. Es ist dies jedoch eine Behauptung, der Mozart im Wege ist. "Man sagt, wenn die Engel für Gott spielen, spielen sie Bach. Füreinander aber spielen sie Mozart", so Philosoph Isaiah Berlin zum Verhältnis. Auch darüber lässt sich zu Ostern grübeln, falls nicht in die Staatsoper gepilgert wird, wo einen Wagners Parsifal auch am Sonntag mit dem Karfreitagszauber beschenkt. (Ljubisa Tosic, 30.3.2018)