Lauter Männer im Vordergrund: Sieht so das blaue Gesellschaftsmodell aus? Vor 1968 war ja diesbezüglich noch alles gut.

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Jetzt, da die öffentliche Erinnerungswelle zum Jahr 1968 langsam anrollt, die Ermordung von Martin Luther King sich am 4. April zum 50. Mal jährt, ist es auch einmal Zeit, daran zu erinnern, dass es Leute gibt, welche das Rad der Geschichte gerne zurückdrehen würden. Vor 1968. Dabei handelt es sich nicht etwa um angegraute Damen und Herren, die ihre Jugend mit Elvis und Wirtschaftswunder-Wiederaufbau verbracht haben und meinen, mit Brillantine und Petticoat sei die Welt viel mehr in Ordnung gewesen. Die meinen das vielleicht auch, sagen das aber nicht laut.

Dagegen gibt es junge, forsche Politiker in Regierungsverantwortung, wie etwa den oberösterreichischen FPÖ-Chef und stellvertretenden Landeshauptmann Manfred Haimbuchner, für die gilt das Revolutionsjahr 1968 schlicht als geschichtliche Verirrung. In einem "Kurier"-Interview sprach Haimbuchner etwa davon, dass die FPÖ, sei sie einmal in der Regierung, eine "konservativ-liberale Revolution" bewirken wolle (wobei er das Wort Revolution nicht so gern mag, was nicht näher begründet wurde).

"Katastrophale Zustände"

Und er machte sich her über die "Utopisten von 1968": "Die Zustände in Europa sind katastrophal. Der Kontinent verliert überall in der Welt. Das, was die 68er in den Schulen und Universitäten und in Teilen der Medienlandschaft, vor allem in Wien, angerichtet haben, kann man jeden Tag überall sehen." Was er genau damit meint? "Die Werte, die uns wichtig sind, müssen vertreten werden: der Leistungsgedanke, die Wichtigkeit der Familie und das Erhalten der Traditionen."

Haimbuchner wurde 1978 geboren, hat das "Revolutionsjahr" 1968 schon aus diesem Grund nicht miterlebt und argumentiert befremdlich eindimensional. Jegliches Bewusstsein für Zeitgeschichte und ihre Bedeutung scheint ihm abzugehen.

Aber immerhin weiß Haimbuchner genau, was er nicht will. Das muss man ernst nehmen, denn der Oberösterreicher ist in seiner Partei, der FPÖ, eine große Nummer. Die Art, wie er in seinem Bundesland bei Kindergärten, Förderungen im Bildungsbereich, bei der Mindestsicherung und bei Arbeitslosenprojekten kürzt, wie er Verschärfungen bei der Wohnbeihilfe einführt – das gilt ja in freiheitlichen Kreisen alles als "Vorzeigemodell". Die FPÖ nimmt sich auf Bundesebene ein Beispiel an Haimbuchner – und was er gesellschaftspolitisch zu sagen hat, ist innerparteilich mit Sicherheit keine Minderheitenmeinung.

Was wurde "angerichtet"?

Es lohnt sich also schon aus diesem Grund, genauer hinzusehen, was vor 1968 galt und danach nicht mehr – was also aus freiheitlicher Sicht damals "angerichtet" wurde. Zuallererst kam es ab Mitte der 1960er-Jahre in Österreich und in Deutschland zu einer Aufarbeitung der NS-Vergangenheit.

An den Universitäten in Deutschland und Österreich wurde erstmals breiter über ewig gestrige Professoren diskutiert, in Wien etwa kam es zum Aufstand gegen den offenen Antisemitismus pflegenden Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Hochschule für Welthandel, Taras Borodajkewycz. Dessen rechte Anhänger, vornehmlich Burschenschafter, gingen mit Stahlruten auf Kritiker "ihres" Professors los. Der ehemalige KZ-Gefangene Ernst Kirchweger starb nach dem Angriff eines rechtsextremen Studenten. Die Politik konnte nicht mehr wegschauen und schickte den Professor in Frühpension.

Lernen aus der Geschichte

Der Fall berührt einen heiklen Punkt in der FPÖ. Ihre Verquickung mit schlagenden Burschenschaften, die zum Teil immer noch antisemitisches Gedankengut pflegen, hat die Partei gleich nach ihrem jüngsten Eintritt in die Regierung in arge Bedrängnis gebracht. Das gegenseitige Verhältnis ist nach wie vor stark aufklärungsbedürftig.

Nun mag schon sein, dass sich angesichts dessen so mancher in der FPÖ in unkompliziertere Zeiten vor 1968 zurückwünscht. Aber gerade Haimbuchner eben nicht. Er war der Erste in der FPÖ, der sich klar vom Niederösterreicher Udo Landbauer abgrenzte, als ein antisemitischer Liedtext aus dessen Burschenschaft bekannt wurde.

Frauenfrage

Also kann der knapp 40-jährige Jungvater nur eine andere revolutionäre Folge von 1968 meinen: die Öffnung der Gesellschaft, der Ausbruch aus den alten, tradierten Familienformen, das Infragestellen der bisherigen – autoritär geprägten – Erziehung, die Emanzipation der Frau und die sexuelle Revolution.

Vor 1968 durften Frauen nicht ohne Erlaubnis ihrer Ehemänner einen Beruf ausüben, sie durften selbstständig kein Bankkonto eröffnen und waren häuslicher und sexueller Gewalt in der Ehe schutzlos ausgeliefert. Die Berufstätigkeit der Frau war keine Selbstverständlichkeit, es galt als "unschicklich" und völlig unerhört, vor allem, wenn Mütter einer Erwerbsarbeit nachgingen.

Das Recht auf Familienplanung (und auf Abtreibung) wurde nach und nach hart erkämpft. Und eine der Forderungen der Frauenbewegung, nämlich "gleicher Lohn für gleiche Arbeit", ist bis heute nicht umgesetzt, der "Gender Pay Gap" wächst.

Was sagt die ÖVP?

Man fragt sich: Wie weit soll das Rad zurückgedreht, was soll alles infrage gestellt werden? Es kann doch nicht einmal einem sehr konservativen Freiheitlichen einfallen, Frauen ernsthaft wieder an Heim und Herd zurückzudrängen. Oder doch? Und was ist mit der Fristenlösung? Kann es ernsthaft sein, dass es heutzutage Menschen gibt, die zurückwollen in die düsteren Zeiten der Engelmacherinnen? Was sagt die Frauenministerin zu derlei Tendenzen, was überhaupt die ÖVP, an deren zentralen Schaltstellen doch mittlerweile junge Menschen sitzen?

Eine konservative Regierung wird logischerweise keine betont linksorientierte Gesellschaftspolitik betreiben. Aber sie muss eine moderne Politik machen – und zu der gehört in einer digitalisierten Welt, die zu einem globalen Dorf geschrumpft ist, nun einmal eine gewisse Offenheit. Man könnte beispielsweise endlich die Tatsache akzeptieren, dass Frauen in der Gesellschaft eine genauso große Rolle spielen wie Männer und über ihr Leben selbst bestimmen, ohne dass gleich alle konservativen "Werte" purzeln. Because it's 2018.

Nur so wird man auf Dauer jüngere Wähler ansprechen. Indem man das Rad volle Kraft zurück in muffige Zeiten dreht, wird das nicht gelingen. (Petra Stuiber, 29.3.2018)