Declan Hill, investigativer Journalist und Dokufilmer, recherchiert über organisiertes Verbrechen und internationale Angelegenheiten. Er berichtete als Erster über organisierte Spielmanipulation in Asien.

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Mit dem Ball ist auch oft viel Geld im Spiel.

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Wien – Der Kanadier Declan Hill ist Buchautor, Journalist und weltweiter Experte für Spielmanipulationen und Korruption im Sport. In wenigen Tagen wird er beim Internationalen Journalismusfestival in Perugia (11. bis 15. April) über die "Globalisierung der Korruption und die dadurch entstehende Bedrohung für den Sport" referieren. Bei der Fußball-WM in Russland wird es manipulierte Spiele geben, sagt Hill im Interview für den STANDARD. Er findet übrigens viele "Fußballer schlecht bezahlt" – und hat guten Rat für die österreichische Liga.

STANDARD: Können Sie einen kurzen Einblick in den Prozess und die Welt der Spielabsprachen geben?

Hill: Spielmanipulationen hat es schon immer gegeben. Sie sind Teil des Sports seit den Olympischen Spielen der Antike. Was wir jedoch in den letzten 20 Jahren sehen können, ist die Globalisierung von Sport und Korruption. Der Sport-Glücksspielmarkt ist mittlerweile komplett globalisiert. Hunderte Milliarden Dollar wandern durch die Sportwelt und sorgen für noch nie da gewesene Erfolgszahlen im Wettmarkt. Zum Beispiel wird in Asien mittlerweile auf Fußballspiele aus der zweiten niederländischen Frauenliga gesetzt. Das ist etwas, was wir noch nie zuvor gesehen haben, und es bedeutet eine existenzielle Gefahr für den Weltsport.

STANDARD: Ist es tatsächlich möglich, ein Fußball-Weltmeisterschaftsspiel zu manipulieren?

Hill: Das klingt tatsächlich außergewöhnlich, aber Fakt ist: Das größte Sportturnier der Welt wird manipuliert. Bei der WM 2018 werden Mannschaften antreten, die für ihren Auftritt nicht bezahlt werden. Das war immer schon so im Fußball. Diese Teams kommen zum größten Sportturnier der Welt, aber die Verbände geben keinen Cent der neun Millionen US-Dollar, die sie von der Fifa erhalten, an ihre Spieler weiter. Typischerweise passiert das bei afrikanischen Teams. 2006 streikte das Team aus Togo, 2014 Ghana. Ich habe 2006 mit eigenen Augen gesehen, wie asiatische Mittelsmänner Spieler wie auch Offizielle geködert haben: "Ihr wisst, dass ihr gegen Brasilien, Argentinien oder Italien verlieren werdet. Warum wollt ihr nicht mit Geld in euren Taschen verlieren?" Das ist der Grund, warum es ein bis zwei manipulierte Spiele bei der WM geben wird.

STANDARD: So kann man vermutlich auch erklären, wie das von der Öffentlichkeit unbemerkt passieren kann, richtig?

Hill: Das Problem ist, dass der Sportwettmarkt zu groß ist. Ein bis drei Milliarden US-Dollar stecken in jedem Spiel! Die Fifa will darüber nicht sprechen. Ihre Sicherheitsmaßnahmen sind schlecht, sie macht es den Hintermännern leicht – insbesondere wenn die manipulierten Spiele ihren erwarteten Ausgang nehmen. Kleine Teams verlieren gegen Große, und niemand denkt darüber nach.

STANDARD: Auf Twitter haben Sie von Fällen "schlecht bezahlter Fußballer" im spanischen Fußball berichtet. Das müssen Sie uns erklären – seit wann sind Fußballer schlecht bezahlt?

Hill: Immer! Viele machen den Fehler und denken nur an das eine Prozent der Topverdiener. Messi, Ronaldo, die englische Premier League oder vielleicht Rapid und Salzburg. Aber das ist die Ausnahme. Dahinter gibt es rasch einmal arme junge Frauen und Männer.

STANDARD: Könnten Sie uns dafür ein Beispiel nennen?

Hill: Natürlich. In der spanischen La Liga gab es vor zwei Jahren einen Streik. Abseits der Top-sechs-Mannschaften gab es massive Zahlungsprobleme. Diese Teams müssen Woche für Woche gegen den FC Barcelona oder Real Madrid antreten. Ein Konkurrent Real Madrids hat seine Spieler damals seit sechs Monaten nicht bezahlen können. Jetzt stellen Sie sich vor, Sie sind Spieler dieses Vereins, haben eine Frau und vielleicht ein paar Kinder. Stellen Sie sich vor, wie leicht es sein muss, diese Person von einer Spielabsprache zu überzeugen.

STANDARD: Es gibt aber auch Fälle in der zweiten und dritten spanischen Fußballliga. Ist es überhaupt gerecht, diesen Spielern bessere Gehälter zu bezahlen?

Hill: Wenn eine Person für dich arbeitet, musst du sie bezahlen. Diese Spieler müssen nicht gut bezahlt werden, aber sie müssen bezahlt werden. Ich habe auch bereits seit Jahren dahingehende Vorschläge an die Uefa und die nationalen Ligen gemacht. Es muss ein System umgesetzt werden, bei dem die Vereine am Anfang der Saison ihre Personalkosten für das kommende Jahr auf ein Konto überweisen. Die Liga muss das prüfen und überwachen. Somit hätten die Spieler eine Zahlungsgarantie.

STANDARD: Seit Jahren liegen Ideen wie diese in den Schubladen der zuständigen Offiziellen. Woran scheitert es?

Hill: Es gibt eine riesige Toleranz für Korruption und Spielmanipulation. Ebenso, wie es eine Toleranz für Doping gibt. Die Offiziellen und Verantwortlichen wollen sich dem nicht stellen, sie wollen gar nichts dagegen unternehmen. Sie nehmen es nicht ernst.

STANDARD: Welche Gründe abseits der nach Ihrem Befund schlecht bezahlten Fußballer sowie ignoranter und korrupter Offizieller gibt es noch?

Hill: Wir müssen über die schlecht organisierten Sportveranstaltungen beziehungsweise unzureichende Turnierpläne und Formate reden. Es gibt einen großen Graumarkt in vielen europäischen Fußballligen, wo Klubs ihre Punkte verkaufen. Das passiert zumeist ein bis zwei Monate vor Saisonende bei Teams im Mittelfeld der Tabelle. Sie können weder etwas gewinnen, noch können sie absteigen. In Italien hat es sogar einen Namen: "Il Sistema" – das System. Ebenso kommt es in Spanien, Griechenland und vielen anderen Ländern vor.

STANDARD: Welche Formate schlagen Sie vor, um den Graumarkt einzudämmen?

Hill: Playoff-Systeme. Somit hat jedes Team, selbst am Ende der Saison, etwas zu gewinnen oder zu verlieren. Das reduziert das Risiko der Wettmanipulationen beträchtlich. Außerdem wird jedes Spiel wichtiger und macht es für die Fans dadurch viel interessanter.

STANDARD: Ist das auch ein Grund, warum die österreichische Bundesliga mit der Saison 2018/19 auf ein Playoff-System mit zwölf Teams umsteigt? (Nach 22 Spieltagen wird in zwei Hälften mit je sechs Teams gesplittet, Anm.)

Hill: Ja, ich denke schon. Viele meiner Ideen werden laufend von den nationalen Ligen umgesetzt. Österreich hat zugehört, und deswegen handeln sie so.

STANDARD: In Ihrem Vortrag in Perugia werden Sie "über eine neue Welle von globalisierter Korruption, die den Sport weltweit gefährdet", erzählen. Welche anderen Sportarten sind nachweislich von Spielmanipulationen und Korruption betroffen?

Hill: Tennis hat seit Jahrzehnten ein massives Problem, und es wird schlimmer. Im Tennis ist es ausreichend, wenn ein Spieler mit einer vorgetäuschten Verletzung im zweiten Satz vom Spielfeld humpelt. Das Spiel ist beendet und die sichere Wette gewonnen. Mit dieser Thematik wird nach wie vor sehr schlecht umgegangen.

STANDARD: Gibt es noch andere Sportarten, die von unbemerkten Spielabsprachen betroffen sind?

Hill: Oh mein Gott, ja! Viele Sportarten wurden in den letzten fünf bis zehn Jahren vom Wettmarkt aufgegriffen. Boxen, Schach, Handball, Wasserball, Badminton, Tischtennis, E-Sports ebenso wie japanisches Sumo-Wrestling, taiwanesischer Baseball oder südkoreanischer Motorsport. Ich könnte noch einige Zeit so weitermachen.

STANDARD: Welche Entwicklungen befürchten Sie in Zukunft?

Hill: Der asiatische Sportmarkt wird noch uninteressanter werden. Die dort heimischen Sportfans schenken ihren Sportarten schon jetzt keine Beachtung. Sie wissen aus gutem Grund, dass diese korrumpiert und manipuliert sind. Diese Sportarten sind tot. In Europa sterben ebenfalls viele Ligen und Mannschaften. Beispiele dafür sind die Fußballligen in Bulgarien, Rumänien, Ex-Jugoslawien oder der früheren Sowjetunion.

STANDARD: Der Europol-Bericht von 2013 hat gezeigt, dass Europa von Wettmanipulationen stark betroffen war. Ebenso Asien, Lateinamerika und Afrika. Wo ist momentan der stärkste Fußballwettmarkt?

Hill: Der größte Geldmarkt ist in Asien. Asiatische Firmen und ihre Hintermänner sitzen dort. Gewettet wird aber vorwiegend auf Sportveranstaltungen in Europa. Ein interessantes Faktum für die kommende Fußball-WM in Russland ist folgendes: Jedes der 64 Spiele wird auf dem Wettmarkt im Durchschnitt ein bis drei Milliarden Dollar bewegen.

STANDARD: 2013 haben Sie gesagt, die Verhaftung Dan Tans (asiatischer Strippenzieher für Wettmanipulationen, Anm.) wird die Match-Fixer um drei bis fünf Jahre zurückwerfen. Sind wir aktuell da, wo wir vor fünf Jahren waren?

Hill: Nein, weil Dan Tan damals vorerst nicht verhaftet und vor Gericht gebracht wurde. Im Jänner 2013 wurde ich aus der Interpol-Konferenz hinausgeschmissen, weil ich ihnen zu unbequem war. Danach hatte ich hunderte Interviews mit internationalen Medien, bis es schließlich im September 2013 zu seiner Verhaftung in Singapur kam. Er hatte also neun Monate Zeit, alle Beweise zu vernichten. Nicht einmal dann wurde er zur Anklage gebracht, niemand durfte mit ihm sprechen. Der Grund: Dan Tan hatte zu viele Offizielle aus Sport, Politik und Wirtschaft korrumpiert. Wäre Dan Tan vor Gericht gestanden, hätten wir den Krebs besiegen können. Hunderte Prominente wären eingesperrt worden, ein Erdbeben hätte die Sportwelt erschüttert. Nach ein bis zwei Jahren hätten wir einen brandneuen und sauberen Sport gehabt. Doch dazu ist es nie gekommen. Dan Tan sitzt noch immer im Gefängnis und schweigt. Und draußen arbeiten seine Leute weiter wie gehabt.

STANDARD: Dan Tan sitzt also im Gefängnis – wer sind die neuen Hintermänner der Spielabsprachen, die es zu verhaften gilt?

Hill: Es gibt viele. Die Russen und die Chinesen kommen ins Geschäft. Dan Tan war sowieso innerhalb weniger Tage ersetzt. Das System funktioniert, und deswegen gibt es immer neue Leute, die Personen wie Dan Tan ersetzen können.

STANDARD: Sie haben bereits viele Vorschläge zur Eindämmung der Wettmanipulationen präsentiert. Haben Sie eine Idee, um den Wettmarkt zu revolutionieren?

Hill: Die Wettunternehmen müssen mehr Geld zahlen, um den Sport zu schützen. Sie profitieren von Menschen, die auf Sport wetten. Deshalb sollten sie auch mit ihren enormen finanziellen Mitteln dafür sorgen, dass ihr Geschäft sauber und sicher sein kann.

STANDARD: Was werden Ihre nächsten Schritte sein? Welchen Tätigkeiten gehen Sie die nächsten Monate und Jahre nach?

Hill: Ich arbeite aktuell an ein paar vertraulichen Recherchen, deshalb kann ich darüber nichts sagen. Aber ich werde meine Arbeit fortsetzen. (Matthias Führer, 3.4.2018)