Wien – Es ist ein unscheinbarer Zettel, der Väterchen Stalin aus der Mitte seines Lebensabends reißt. Das gefaltete Stück Papier hatte eine Schellackplatte begleitet. Die war, als nagelneue Pressung, von einem Rotgardisten hinaus auf die Datscha des Gewaltherrschers befördert worden.

Der niedergestreckte Diktator inmitten seines Staatsapparates: Gute Ärzte schmoren im Gulag oder sind Säuberungen zum Opfer gefallen.
Foto: Nicola Dove / IFC Films

Stalin liebte es, seinen vom Terror verängstigten Landsleuten manchmal als leibhaftige Stimme via Telefonhörer zu erscheinen. So auch hier: Es ist ein Tag im März 1953, und der Diktator (Adrian McLoughlin) verlangt den Mitschnitt eines Radiokonzerts, bei dem Mozarts Klavierkonzert A-Dur KV 488 gegeben wurde. Zu dumm nur, dass gerade kein Gravurstift mitlief! Aus lauter Pleiten, Pech und Pannen, gern auch solchen mit Todesfolge, setzt sich die Kinosatire The Death of Stalin des schottischen Politkünstlers Armando Iannucci triumphal zusammen. Von Spitzenkadern der sowjetischen Nomenklatur können sogar Shakespeare-Könige lernen, Demut zu üben und die Rettung der nackten Haut für ein ausgesuchtes Privileg zu halten.

Stalin, der nach den notorischen Abendbesäufnissen im Kreise der Genossen spätnachts gern einsam ist, erhält die gewünschte Pressung. Unzählige Türen waren auf- und zugeflogen, nur um Väterchen seinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen.

Der Radiodirektor, vom Anruf geschmeichelt, setzt kurzerhand die Wiederholung des Konzerts durch. Indem er die Hörer bittet, sich wieder niederzusetzen, ruft er fröhlich: "Niemand wird umgebracht, versprochen!" Ein Ersatzdirigent muss aus dem Bett gerissen werden. Was für eine wundervolle Überraschung für den rüstigen Greis im Pyjama festzustellen, dass er nicht in einem Folterkeller des NKWD landet, sondern – im Morgenmantel – am Dirigentenpult. Auch ein paar verständnislose Bauern werden in den Saal getrieben. Sie lauschen, während sie von eingelegten Eiern naschen.

Memmen und Psychopathen

Durch die Gänge und Verliese seines Hochsicherheitstrakts stapft der bullige Geheimdienstchef Beria (Simon Russell Beale). Er bildet das Furchtzentrum in einem Politbiotop von Memmen und Psychopathen, die ein eigentümlicher Kodex zusammenschweißt. Wer reüssieren will, muss schauen, dass er den Tag mit heiler Haut übersteht. Ein Bolschewist hat alle Ansprüche einer bourgeoisen Moralität strikt von sich zu weisen. Doch selbst der beseelteste Wunsch nach der Diktatur des Proletariats kann nicht verhindern, dass die Politbüroschergen sich lediglich wie besonders rabiate Kleinbürger gebärden.

Der englischsprachige Original-Trailer.
Entertainment One UK

Und so wird man Nikita Chruschtschow (Steve Buscemi), den späteren Aufarbeiter des furchtbaren Stalin-Erbes, für keinen herausragenden Rohling halten, wenn er, die ewige Nervensäge, sich schließlich als Stehaufmann bewährt. Tausend kleine Pointen steckt Iannucci in die wie entfesselt abschnurrende Nacherzählung von Stalins Tod.

Man sieht die Hinterbliebenen, wie sie Stalins vom Schlag gefällten Noch-nicht-Leichnam umstehen: in einer Mischung aus Ratlosigkeit und Besitzgier. Der mächtigste Diktator der Welt liegt stumm in seinem Urin. Auf dem Zettel, den er zuletzt gelesen hatte, stand, von der Hand der Mozart-Pianistin geschrieben: "Möge Gott dir verzeihen, Tyrann!" Als Letzterer daraufhin umkippte, hatte einer der beiden Rotgardisten vor der Tür zum anderen gewispert: "Untersteh' dich, dich zu rühren. Damit wir beide umgebracht werden!?"

Es nützt natürlich alles nichts. Gute Ärzte sind rar, weil sie entweder im Gulag schmoren oder einer der großen Säuberungen zum Opfer gefallen sind. Stalins letzter Fingerzeig – vor dem endgültigen Exitus – weist auf das Bild eines Lämmchens, das mit der Flasche gesäugt wird. Stalin, verdientes Lamm des Volkes? Die Genossen sind ratlos. Kurz darauf ist der Blutsäufer tot. Hilfsmediziner stemmen ihm ungeschickt den Schädel auf.

Der Trailer der deutschsprachigen Synchronfassung.
Concorde Movie Lounge

Von nun an müssen die "Erben", unter ihnen der überforderte Korsettträger Malenkow (Jeffrey Tambor) oder der in Ungnade gefallene Molotow (Michael Palin), sich die Wolfskrallen maniküren. Als Geist, der alle stets vereint, agiert Chruschtschow: Buscemi, den man als kultivierten Mobster vor sich sieht. Er hat für jeden Spitzengenossen ein gequäktes Wort übrig und kann sich dennoch nicht genug darüber wundern, dass in der Welt größtem Arbeiter- und Bauernstaat eine einfache Klospülung nicht funktioniert.

Grausen vorm Wimmelbild

Im Lift des Hochhauses hängt, natürlich auf Englisch, das Schild "Out of Order". Aus lauter kleinen Verfremdungen setzt sich Iannuccis Wimmelbild einer widervernünftigen Welt zusammen. Putin-Russland hat den Film bereits begutachten lassen, und die staatlichen Komiteemitglieder wandten sich mit Grausen ab. Iannucci zieht am liebsten funktionselitären Raubtieren die Zähne: so britischen Ministerialbeamten inder TV-Serie The Thick of It oder US-Kriegstreibern in seinem Spielfilmerstling In the Loop (2009), als es darum ging, einen Konflikt im Nahen Osten zu konstruieren.

Mit Stalin lässt sich ebenso wenig Staat machen wie mit seinen Speichelleckern. Es bleibt Marschall Schukow (Jason Isaacs), dem Kriegshelden mit der furchtbaren Narbe im Gesicht, vorbehalten, Beria zur Strecke zu bringen. Er ist einfach noch geradliniger, entschlossener, brutaler als dieser feiste Bürokrat mit den Exekutionslisten in der Faust. Ein Schuss ins Gesicht, ein Wurf mit dem Benzinfeuerzeug. Schon wehen nur noch Rußpartikel in den blauen Frühlingshimmel über Moskau. Angeblich genießt Josef Stalin in Putin-Russland wieder eine hervorragende Reputation. Diese brillante Satire wäre es unbedingt wert, auch in Moskau und weiterer Umgebung gezeigt zu werden. (Ronald Pohl, 28.3.2018)