Helmut Qualtinger und André Heller spazieren Ende der 1970er-Jahre durch die Mördergrube des goldenen Wiener Herz.

Foto: Polydor

Im Jahr 1979 wüteten Punk und Postpunk, New Wave schielte bereits ums Eck – natürlich nicht in Österreich. Und doch gab es so etwas wie einen österreichischen Beitrag zur Zeitenwende. Doch nicht die paar sich damals schon tatsächlich am Punk abarbeitenden heimischen Bands sind gemeint, nein: André Heller und Helmut Qualtinger führten vor, dass das Gift und die Galle des Punk in Wien Lebensgefühl waren – als Sodbrand eines tristen Alltags.

Im Rahmen des Gedenkens anlässlich des hundertjährigen Bestehens der Republik widmet sich die Reihe "Zwickt's mi" österreichischer Popmusik. Einzelne Alben, Songs und Künstler, die die heimische Populärmusik geprägt haben, werden in Erinnerung gerufen und vorgestellt. Keine Vollständigkeit wird anvisiert, die Bedeutung zählt.

André Heller und Helmut Qualtinger veröffentlichten 1979 das Album "Heurige und gestrige Lieder". Den Titel straft die Geschichte Lüge, denn diese Liedersammlung zählt heute zu den Evergreens der heimischen Populärmusik. Für andere Städte mag es Reiseführer geben, Wien hat dieses Album. Das Cover ist in Grau gehalten, Heller und Qualtinger lehnen in einem Hinterhof an einem Container. An der Wand hängt ein Zettel: "Um größte Reinlichkeit wird ersucht" steht da im Hausmeisterimperativ.

Schon das Eröffnungslied ist eine Eloge an die Hinterfotzigkeit: "Wean, du bis a Taschenfeitl, unter an Himmel aus Schädelweh, a zehnmal kochtes Burenhaidl, auf des i ned haas bin und trotzdem steh" singen die beiden. Weiter hinten heißt es "Alaan sein is ärger als Ratzen fressen". Ein defätistisches Manifest, und daran ist dieses Album nicht arm. Die Wiener Gemütlichkeit schunkelt darauf mit der Feindseligkeit, der Stolz mit den Vorurteil, dazu geht eine Träne auf Reisen, denn nichts macht den Wiener so melancholisch wie seine Charakterschwächen.

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Heller war damals schon fast ein Jahrzehnt lang dabei, hatte 1970 sein erstes Album "Nr. 1" veröffentlicht und sollte sich bis weit in die 1980er-Jahre hinein auf seine Art in den Austropop einbringen: in einer Mischung aus Mitmachen-Wollen und Dann-lieber-doch-nicht. Der selbsternannte Poet hörte Stimmen, sang Narrenlieder und umarmte – für immer jung – den Wolfgang Ambros.

Das Universalgenie

Qualtinger war Qualtinger und als solches das Universalgenie der österreichischen Nachkriegszeit. Schauspieler, Schriftsteller, Kabarettist und alles, nach was ihm sonst gelüstete. In den 1950ern hat er mit Musikkabarett bereits Vorarbeit für den Austropop geleistet, als er Sketches wie "Der Halbwilde" sang. Oder "Der g'schupfte Ferdl" oder "Der Papa wird’s schon richten" – kritisch-humorvolle Nummern aus der Feder Gerhard Bronners.

Sein und Schein

"Heurige und gestrige Lieder" ist eine bittere und bitterböse Auseinandersetzung mit dem verklärten "goldenen Wiener Herz" – dieser Eigendiagnose der Hauptstadtbewohner, die ihr z'widerer Alltag minütlich Lügen straft. Eine Lebenslüge zwischen Sein und Schein, in der Wiener fast schon erotisch aufgehen. Und niemand sonst besaß dafür ein Gespür wie der Qualtinger, in dessen Erbe sich etliche solcher Annäherungen wiederfinden – viele davon wurden auf Platten verewigt.

"Wean, du bist a Taschenfeitl" – der Eröffnungssong dieses Albums – und der ganze Rest dazu.
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Dargereicht werden diese Lieder – traditionelle und selbstgeschriebene – im Mantel des Wienerlieds und der Heurigenmusik. Toni Stricker lässt die Geige winseln, Gerti Zourek zieht die Harmonika lang, Julius Scheybal spielt Gitarre.

Schmiermittel zum Backhendl

Während Punk in rasendem Tempo gegen die Verhältnisse wetterte, sangen Heller und Qualtinger in Zeitlupe "Bei mir sads olle im Orsch daham". Sie greinen das Hohelied auf "D’Hausherrnsöhnln", leisten Lebenshilfe, indem sie "A Kriagal, a Seidal" als Schmiermittel zum Backhendl lobpreisen oder sich in Nächstenliebe üben.

Der diesbezügliche Höhepunkt des Albums ist das "Krüppellied", ein überliefertes Gstanzl aus der Vorstadt, das laut Platte aus dem Jahr 1930 datiert.

"Das Krüppellied" – das goldene Wiener Herz in voller Entfaltung.
Georg Siebert

"Wenn ich so einen Krüppel seh, wird mir ums gold'ne Wiener Herz so worm und weh, Haaallo." Mehr gibt es nicht zu sagen, das muss man hören. Ein österreichischer Klassiker – das Lied wie das Album. (Karl Fluch, 31.3.2018)