Warna/Athen – Knapp ein Jahr nach einem als frostig beschriebenen Treffen der EU-Spitze mit Tayyip Erdogan in Brüssel reiste der türkische Staatschef am Montag wieder zu einem Gespräch mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und dem Ratsvorsitzenden der EU, Donald Tusk. Das abendliche Arbeitsessen sollte im kleinen Schloss Ewksinograd, nördlich der bulgarischen Hafenstadt Warna stattfinden. Bulgarien hält derzeit die EU-Präsidentschaft inne und müht sich um eine Verständigung mit der Türkei. Angesichts der Liste der Streitpunkte waren die Erwartungen an das Gespräch mit Erdogan im Vorfeld jedoch sehr gering:

  • Afrin: Die EU kritisiert den Krieg der Türkei in Afrin und will Aufklärung über Ankaras Bevölkerungspolitik im Norden Syriens.
  • Flüchtlingspakt: Ankara mahnt die Auszahlung von Mitteln an.
  • Griechenland/Zypern: Die EU_will die Freilassung zweier griechischer Grenzsoldaten aus der U-Haft in der Türkei erwirken und ein Ende der militärischen Drohungen vor Zypern.
  • Meinungsfreiheit: Die Europäer kritisieren die Inhaftierungen von Journalisten und politisch Andersdenkenden. Die ersten Verurteilungen von Journalisten zu langen Gefängnisstrafen und – in bisher drei Fällen – zu lebenslanger Haft unter erschwerten Bedingungen wegen terroristischer Aktivitäten stärkten die Zweifel an der Unabhängigkeit der türkischen Justiz von der politischen Führung. Die Türkei verbittet sich Kritik als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten.
  • Rechtsstaat: Spätestens seit der Verhängung des Ausnahmezustands im Juli 2016 und dem Beginn von Massenentlassungen aus dem Staatsdienst und von Razzien gegen angebliche Staatsfeinde ist zweifelhaft geworden, dass die Türkei die politischen Kriterien von Kopenhagen für einen Beitritt zur EU erfüllt. Der EU-Gipfel in Kopenhagen 1993 legte unter anderem fest:_"Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft muss der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben".
  • Zollunion/Visafrage: Beide Seiten wünschen einen Ausbau der bestehenden Zollunion, der erhebliche Vorteile für den Handel mit sich brächte. Die Europäer wollen aber Brüssel zum jetzigen Zeitpunkt kein Mandat zur Verhandlung einer Vertiefung der Zollunion erteilen. Dies würde andernfalls als Anerkennung für Erdogan und dessen autoritäre Herrschaft verstanden werden, heißt es. Etwas weniger schwierig ist die Frage der Visaliberalisierung. Hier hat Ankara einen Kompromiss vorgelegt, der noch studiert wird. (Markus Bernath, 26.3.2018)