Micheil Saakaschwili wurde im Februar der Ukraine verwiesen. Nadija Sawtschenko wurde am 22. März für zwei Monate eingesperrt. Beide waren eine Zeit lang als Held beziehungsweise Heldin gefeiert. Der eine kämpfte gegen Korruption und Oligarchen. Die andere war in einer Freiwilligeneinheit (Aidar) in der Antiterroroperation im Osten der Ukraine aktiv und fiel dort den Separatisten in die Hände. Wenig später tauchte sie in Russland wieder auf, wo sie 2016 zu 22 Jahren Lagerhaft verurteilt und schließlich gegen zwei russische Soldaten ausgetauscht wurde. In ihrer Abwesenheit wurde sie mit dem Orden "Held der Ukraine" ausgezeichnet und auf der Liste der Partei "Vaterland" (Julija Timoschenko) in das Parlament gewählt.

Sawtschenko präsentiert ihren Orden im ukrainischen Parlament.
Foto: APA/AFP/Sergei Supinsky

Zwei gestrandete Helden

Die beiden Fälle sind sehr verschieden und doch Ausdruck eines gemeinsamen Problems der Ukraine. Die gegenwärtige politische Führung genießt in der Bevölkerung kein hohes Ansehen. Dem Präsidenten Petro Poroschenko geht es so wie seinem Vorvorgänger Victor Juschtschenko. Er ist ein Jahr vor den Neuwahlen in einem Umfragetief, das seine Wiederwahl als wenig wahrscheinlich erscheinen lässt. Beide gestrandeten Helden eint, dass sie in den Neuwahlen, ob vorgezogen oder regulär, mögliche Konkurrenten der Kandidaten des herrschenden politischen Lagers hätten werden können.

Micheil Saakaschwili 2017 bei Protesten vor dem Parlament.
Foto: AP/Efrem Lukatsky

Extreme politische Aktionen

Zudem verbindet beide ihr Hang zu extremen politischen Aktionen. Saakaschwili hatte als Gouverneur des Gebiets Odessa eine Funktion, in die ihn Poroschenko berufen hatte, einen öffentlich wirksamen Kampf gegen Korruption in der Verwaltung und im Zoll geführt. Ihm ging es dabei um ein nationales Problem, das er mit der ihm eigenen Verve, aber auch Unbeherrschtheit anging. Im Dezember 2015 gründete er zu diesem Zweck eine landesweite Bewegung, die "Bewegung der neuen Kräfte" (anfangs "Bewegung für Säuberung"). Nachdem er den Gouverneursposten verlassen und ihm die ukrainische Staatsbürgerschaft durch Poroschenko wieder entzogen wurde, organisierte er eine Zeltstadt beim Parlament, sowie Demonstrationen gegen den Präsidenten mit der Forderung seiner Absetzung. Die Zeltstadt wurde durch Polizeikräfte geräumt, Saakaschwili nach Polen abgeschoben.

Sawtschenko vor Gericht.
Foto: APA/AFP/Genya Savilov

Vorwurf: Terroranschlag geplant

Sawtschenko war auch nicht leise. Sie ist eine ukrainische Patriotin, hatte für das Land an der Seite der USA im Irak gekämpft, war Hubschrauberpilotin und Offizierin der ukrainischen Armee, schließlich politische Gefangene Russlands und als Nationalheldin gefeiert. Allerdings hatte sie eigene Ideen für die Beendigung der Teilung des Landes. Sie plädierte für direkte Verhandlungen mit den Führern der Separatisten und führte, ohne Absprache mit den staatlichen Behörden, solche Gespräche in Minsk. Ihr Plan sah vor, dass sich das Land von seinen Forderungen einer sofortigen Rückgliederung der Krim verabschiede, mit dem Ziel, dadurch eine Reintegration des separatistischen Donbass in die Ukraine zu erleichtern. Ihre Forderung wurde von anderen Parlamentariern als anti-ukrainische Aktion bezeichnet und eine Untersuchung gefordert. Im Dezember 2017 schloss die Timoschenko-Partei sie aus ihren Reihen aus. Sie blieb eine unabhängige Abgeordnete der Verchovna Rada (Parlament der Ukraine). Ihr wurde nachgesagt, eine eigene politische Bewegung gründen zu wollen. Am 15. März 2018 beschuldigte sie den Abgeordneten Serhiy Pashinskyy im Februar 2014 während des Euro-Maidan auf Demonstranten geschossen zu haben.

Die ukrainische Seite hatte dafür bisher immer die Sicherheitskräfte unter Janukowitschs Befehl oder Mitglieder des russischen Geheimdiensts verantwortlich gemacht, obwohl es zunehmend Informationen gibt, dass das nicht die ganze Wahrheit ist¹. Ihre Verhaftung erfolgte im Zusammenhang mit der Festnahme eines anderen Ukrainers, Victor Ruban, der gerade erst den Austausch von Gefangenen zwischen den Separatisten im Donbass und der Ukraine ermöglicht hatte. Er war an einem Grenzkontrollpunkt im Südosten festgenommen worden, weil er in seinem Auto Waffen und Munition aus den Separatistengebieten in die Ukraine einführen wollte. Ihm wird die geplante Ermordung führender ukrainischer Politiker vorgeworfen. Mit ihm soll Swatschenko gemeinsame Sache gemacht haben, mit dem Ziel, einen Terroranschlag auf das Parlament zu unternehmen. Das jedenfalls sind die Anschuldigungen des Generalstaatsanwalts Jurij Luzenko, einem Mitglied der Partei des Präsidenten. Die Erklärung, die Sawtschenko ihrerseits für ihre Beteiligung an dem Waffenschmuggel angeführt hat, ist auch nicht besonders überzeugend: Sie sagte aus, dass sie an den eingeführten Waffen habe prüfen wollen, ob diese in Russland produziert wurden oder in den Separatistengebieten selbst.

Radikale Ansichten

So wie Saakaschwili aufbrausend und wenig rational wirkt, so scheint auch Sawtschenko eine schwierige Person zu sein. Bereits in einem Interview mit einem Journalisten von RFL/RE, kurz nach ihrer Freilassung aus russischer Haft und ihrer Ankunft in Kiew 2016, formulierte sie Ansichten, die sehr radikal anmuten: "Die Korruption muss ausgemerzt werden. Der Krieg muss beendet werden. In der Ukraine müssen vorzeitige Wahlen abgehalten werden, um 'frisches Blut einzubringen' in eine Regierung, die durch die alte Garde und durch Oligarchen dominiert wird"². Sicher, Sawtschenko ist keine leicht zu bändigende Politikerin. Doch dass sie so radikal ist, dass sie – wie ihr vom Generalstaatsanwalt vorgeworfen wird – das Parlament beschießen will, scheint nicht wahrscheinlich zu sein. Spekulationen, sie sei durch Russland freigelassen worden, um die Ukraine in Schwierigkeiten zu bringen, klingen eher wie absurde Verschwörungstheorien und sind wohl ebenso auszuschließen. Was aber sicher scheint, ist die Wirkung der Verhaftung und Verurteilung: Eine potentielle Konkurrentin der nächsten Präsidentschaftswahlen wurde aus dem Weg geräumt, so könnte man es sehen. Das ambivalente Verhältnis der Bevölkerung zum Präsidenten und seiner Partei wird dies aber kaum verbessern.

Ungelöstes Problem der ukrainischen Politik

Insgesamt sind das keine guten Nachrichten für die Ukraine. In den letzten Jahren hat sich die wirtschaftliche Situation des Landes zwar gebessert und auch die von den Demonstranten auf dem zweiten Maidan geforderten Reformen, etwa eine Dezentralisierung des Staates und der Kampf gegen Korruption in der Verwaltung, sind ein wenig vorangekommen. Der Krieg im Osten des Landes hat die Bevölkerung zusammengeführt. Der russische Staat, der nunmehr eher als Feind betrachtet wird, hat die ukrainische Identität auch im Süden und Osten des Landes gestärkt, ohne dass die regionale kulturelle Ausdifferenzierung der Bevölkerung nivelliert worden wäre³.

An den beiden dargestellten Fällen zeigt sich aber ein grundlegendes ungelöstes Problem der ukrainischen Politik: Die gegenwärtige politische Führung hat es nicht geschafft, das Vertrauen der Mehrheit der Bevölkerung zu erringen⁴. Der Präsident ist dabei eher der Kern des Problems, als dass er Teil seiner Lösung ist. (Dieter Segert, 27.3.2018)

Dieter Segert war von 2005 bis 2017 Universitätsprofessor für Transformationsprozesse in Mittel-, Südost- und Osteuropa am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

¹ Die auch nach vier Jahren nicht abgeschlossene gerichtliche Untersuchung der Vorfälle zeigt zumindest, dass das beauftragte ukrainische Gericht Schwierigkeiten hat, die angenommene ausschließlich Schuld der Berkut-Truppe zu belegen. Es gibt zudem schon lange die Analyse des kanadischen Wissenschaftlers Ivan Katchanovski, der davon ausgeht, dass einige der Schüsse aus den vom Rechten Sektor besetzten Häusern kamen. Ein Bericht des Journalisten Stephan Korinth bei "Heise" vom Dezember 2017 listet die verschiedenen Varianten, die Behauptungen und Gegenbehauptungen auf.

² Siehe den Bericht von Christopher Miller: The many faces of Nadia Savchenko, Juli 2016, auf der Homepage von RFE/RL.

³ Siehe die Daten einer Umfrage unter der Jugend im Sommer 2017 in "Ukraine-Analysen" 197 (8.3.2018), Seite 9

⁴ In einer Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie, die im März 2018 veröffentlicht wurde, würden nur noch sieben Prozent der Bevölkerung für die Partei des Präsidenten, den Block Petro Poroschenko, stimmen. Die zweite Regierungspartei, die Volksfront des ehemaligen Premiers, die bei den letzten Wahlen zweitstärkste Partei wurde, hat keinen messbaren Einfluss mehr. Unter den Oppositionsparteien führt die Vaterlandspartei von Julija Timoschenko mit 22,5 Prozent, die Radikale Partei Oleh Lyaskos wird mit 14 Prozent Unterstützung gemessen. Der im Osten stärkere Oppositionsblock bekäme neuen Prozent. Siehe: kiis.com.ua.

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