Die Tracht, sie ist endemisch geworden. Heute tragen alle – von Wiener Sozialdemokraten bis zu norddeutschen AFDlern – Janker, Lederhosen und Stutzen. Ein Zeichen, doch die Finger davon zu lassen.

Foto: Ferdinand Neumüller

Nach dem Zweiten Weltkrieg taumelten die Länder, suchten Auswege aus Trümmerlandschaften und erfanden eine Wirtschaftspolitik, von der wir heute noch zehren. Bedacht, Leute in Lohn und Brot zu bringen, griff man nach allen Möglichkeiten. Eine unter vielen war der Tourismus. Was zunächst nur mit einem Dach über dem Kopf, einem Bad auf der Etage für mehrere Gästezimmer begann, mauserte sich mehr und mehr zu Tempeln von außerordentlicher Größe und zu Unterhaltungskulturen archetypisch anmutender Besonderheit.

Da hopsten sie, die Einheimischen, saisonal und nach Programm gutturale Laute gurgelnd, in vierschrötiger Kleidung und mit tierischem Fetisch dekoriert, für Besucher durch die Mehrzweckhallen und Wirtshäuser. Schon der bayrische Kabarettist Gerhard Polt rief einst Anni, der Kellnerin, zu: "Anni, hau d' Kassettn nei, a Tourist sitzt in da Goststuben", und dann ging eine Blechblaslawine an Geräuschen los.

Der Dienst am Touristen sollte sich alsbald als "Identität" in die kephalen Windungen einschreiben, um letztlich auf der Deponie rechtsdraller Ideologie zu landen. Die "Heimatabende" standen unter dem Vorsatz, die Fremden in ihren Fremdenzimmern willkommen zu heißen, sie für die Zeit des Urlaubes zu integrieren. So hatte jeder Fremde flugs seinen originalen Sepp und seine Walli.

Unfreiwillig komisch, irgendwie exotisch und etwas zurückgeblieben, wirkten die autochthonen Gestalten. Aber man hatte sie lieb. In kolonialistischem Gestus belächelte man sie, spätnachts wankte man im gemeinsamen Rausch durchs Dorf. Der Knecht in Lederhose mauserte sich über die Jahre zum Herrn. Der herrische Anzug, die modische Jeans, das Kostüm, kurze Röcke hielten Einzug in den Alltag der Menschen. Und was blieb vom trachtigen Gwand übrig? – Nichts. Man war froh, endlich auch zur Zivilisation aufgeschlossen zu haben.

Nur mehr eingefleischte Lokalpatrioten blieben sich treu, indem sie das "altehrwürdige" Gewand hochleben ließen. Diese konservativen Eliten lobten den Trachtenjanker und das Dirndl als Traditionsgut, die Landesregierungen kreierten für ihre Beamten den trachtigen Landesanzug. Die nationalpatriotischen Christsozialen, die urbane bürgerliche Mitte, schwor auf diese Dechiffrierung.

Was die rote Nelke den Sozialdemokraten, waren die weißen Stutzen den Südtirolern, die blaue Kornblume den Alldeutschen und der Efeu den christlichen Ständen noch am Beginn des 20. Jahrhunderts. Man suchte eine symbolische Verbindung, anhand deren es möglich war, sich einig zu sein, ohne viel Worte zu verlieren. In gleicher Weise wie die Kornblume Alldeutschtum vertrat, reüssierte die Tracht als christlich-konservatives Symbol deutsch-ethnischer Traditionalisten.

Die Kornblume, von der FPÖ gern genutzt, geriet durch vielfache Kritik in Schieflage. Die rote Nelke scheint überhaupt nur mehr Repräsentantin eines untergehenden Reiches zu sein. Selbst den Sozialdemokraten ist sie zu aussagekräftig geworden, was ihre Tilgung aus allen Pergamenten zur Folge hatte. Den Schützen ist sie zu links, obwohl sie sich, einstmals einer Tradition folgend, die rote Nelke an den Hut steckten (das rote Nagele erinnert lautmalerisch an die Nägel und das Blut Christi). Dieser Ikonoklasmus, der Reiterstandbilder, überlebensgroße Führerfiguren zu Fall gebracht hat, schaffte es bisher nicht, den Trachtenjanker in den Sturm zu stellen.

Im Gegenteil: Trugen Christkonservative Tracht und Rechtsnationale nur Kornblume, kleiden sie sich nun allesamt und ohne Unterscheidung trachtig. Unabhängig, ob vom Stamme der Austriaken oder der Bayern, sie tun es alle und alle mit demselben Impetus. Abwerzger, Van der Bellen, Kern, Kurz, Platter, Poggenburg, Pröll, Seehofer, Söder, Strache, Kneissl – sie meinen, wenn sie nur Loden mit Stehkragen, Quetschfalte und Wappen- oder Hornknöpfen auf "Volksfesten" tragen, verschmelzen sie mit ihrem, diesem deutschen Volk. Und tatsächlich ist er ein geheiligtes Mittel der Treue und Fraternität – der Trachtenjanker lässt alle Fehler vergessen, er ist eine Carte blanche für alle Vorhaben. Dieses "vulgus in populo", diese Mischung aus Plebejern und Patriziern, die in Trachtenjanker und Karohemd zu Gabalier rockt, soll das Volk sein? Das lässt sich mit gewissem Unbehagen fragen.

André Poggenburg, Kurz, Strache, Söder unterscheiden sich nicht im Janker und genauso wenig in ihrer Rede. Noch bevor sie zum Sermon ansetzen, weiß man, was sie uns sagen wollen. Gerade weil sie diesen Janker tragen.

Wir sollten uns einig darüber sein, dass wenigstens der Bundespräsident auf das Tragen dieser Juppe verzichtet. Er ist nun wirklich ein Präsident für alle, auch für jene, denen in den letzten Wahlkämpfen von den Janker-Kandidaten immer wieder gesagt wurde, sie wären keine Vertreter des nationalen Traditionalismus und würden daher nicht gefördert.

Der Trachtenjanker, der mit dem AfDler Poggenburg Einzug in die nordostdeutsche Prärie hielt und dem damit endgültig seine rechtsnationale Weihe widerfuhr, kann definitiv nicht mehr falsch verstanden werden. Er kann nur mehr umgenutzt werden. (Elsbeth Wallnöfer, 26.3.2018)