Wien – Der biblische König Salomo hatte es wahrscheinlich leichter als Richter Stefan Apostol: Ersterer musste bis zu einem Urteil nur zwei Zeuginnen hören, Letzterer verhandelt seit über sieben Monaten den Rechtsstreit zwischen "Krone"-Kolumnist Michael Jeannée und der Mediengruppe "Österreich". Es geht um mehrere "Österreich"-Artikel, in denen Jeannée Diverses vorgeworfen wurde: Er schreibe seine Texte unter Alkoholeinfluss, sei also ein "Promilleschreiber" und inhaltlich eine "Sudelfeder" und überhaupt ein "Journalistenschuft". Die Auseinandersetzung wird also eher nicht mit der feinen Klinge, sondern einer atomaren Interkontinentalrakete geführt.

Der 75-jährige Journalist will sich so nicht bezeichnen lassen und klagte "Österreich" auch strafrechtlich wegen übler Nachrede und Beleidigung. Im vergangenen August begann der Prozess, nun nähert er sich dem Ende. "Ein Vergleich ist ja offenbar gescheitert, obwohl es beim letzten Mal schon gut ausgesehen hat?", wundert sich Apostol zu Beginn. "Ich habe auf meine Anwälte gehört", brummelt Jeannée als Antwort. "Sie sind der Antragsteller, Sie können das selbst entscheiden", gibt ihm der Richter einen Hinweis. "Das ziehen wir durch", sagt sein Rechtsvertreter zu Jeannée, der nickt.

"Gegenseitige Mentalreservation"

Als erster Zeuge tritt Dieter Chmelar auf, der schon für beide Medienhäuser tätig gewesen ist. Der Beginn seiner Aussage wird zweimal von Jeannées läutendem Mobiltelefon unterbrochen, das erst sein Anwalt abschalten kann. "Kennen Sie den Antragsteller?", fragt der Richter Chmelar. "Als Name ist er mir seit Jahrzehnten ein Begriff, persönlich habe ich ihn erst seit Ende der 90er-Jahre auf Society-Veranstaltungen gesehen." – "Wie ist das Verhältnis?" – "Es herrscht eine gegenseitige Mentalreservation", drückt sich der Zeuge diplomatisch aus.

Auf Twitter klang das noch anders. "Michael Jeannée, Preisträger für Promilleprosa?" war dort etwa von Chmelar zu lesen. Oder als Text zum Bild eines angeseilten Fensterputzers: "Der vom Heurigen heimwackelnde Jeannée vermutet sicher einen Wega-Einsatz." Für "Österreich"-Anwalt Peter Zöchbauer ein Indiz dafür, dass Chmelar etwas über das Trinkverhalten des "Krone"-Redakteurs weiß.

Allein, dem ist nicht so. "Das ist Satire", bescheidet Chmelar, beziehungsweise "eine satirische Mutmaßung". Er selbst habe Jeannée nie betrunken beobachtet und wisse erst recht nicht, in welchem Zustand dieser seine Texte verfasse.

"Branchengossip" verbreitet

Robert Misik, der auch für den STANDARD tätig ist, kann auch nichts Substanzielles beitragen. Er hat zwar 2009 in einem Beitrag auf den Alkoholkonsum Jeannées Bezug genommen, "das war aber Branchen-Gossip". Er selbst sei mit dem Berufskollegen nicht befreundet, nicht bekannt und habe ihn noch nie gegrüßt, versichert Misik.

Es folgt eine Altherrenriege der "Krone": die ehemaligen geschäftsführenden Chefredakteure Friedrich Dragon und Michael Kuhn. Der 88-jährige Dragon hält fest, er war und sei mit Jeannée nicht befreundet. Über dessen Arbeit als "Adabei"-Societyreporter merkt er an: "Ich hatte oft den Eindruck, dass er die Gesellschaft, über die er schreibt, gar nicht mag."

Der mittlerweile verblichene "Krone"-Chef Hans Dichand habe Jeannée dann von 2003 bis 2006 ein "Schreibverbot" auferlegt, da dieser sich in der Berichterstattung über Kolleginnen lustig gemacht habe, behauptet Dragon. Das habe er aber nur von Jeanée selbst und Dichand gehört. Im Büro habe er nie erlebt, dass Jeannée trinkt oder betrunken gekommen sei.

"Kaltgestellt" nach Beschwerde oder Ausflug

Michael Kuhn wiederum sagt, er habe zunächst auch gehört, Jeannée sei von Hans Dichand wegen der Beleidigung einer jüngeren Kollegin einer anderen Zeitung "kaltgestellt" worden, nachdem diese sich bei Dichand beschwert habe. Später hieß es, er sei über einen Jagdausflug mit Erich Schumann gestolpert. Der Deutsche war Geschäftsführer von "Krone"-Hälfteeigner WAZ und Dichands Intimfeind. Betrunken hat aber auch Kuhn Jeannée nie arbeiten gesehen.

Sollte Richter Apostol gehofft haben, mit den "Krone"-internen Rankünen den Tiefpunkt des Verfahrens erreicht zu haben, zerschmettert die nächste Zeugin diese Hoffnung, sie führt ihn nämlich in die Untiefen der heimischen Promi-Landschaft. Es handelt sich um jene Journalistin, die sich bei Hans Dichand über Jeannée beschwert hat.

"Wir hatten zunächst ein kollegiales Verhältnis, er war am Anfang sehr hilfreich", sagt die 41-Jährige. Das habe sich nach etwa drei Jahren geändert. "Es gab eine Veranstaltung in einer Bar mit angeschlossenem Hotel. Da ist er mit einem Zimmerschlüssel gekommen und hat gefragt, ob ich mit ihm auf das Zimmer gehe. Das habe ich abgelehnt. Ab dann war er feindselig", erinnert sie sich.

"Tussi", "Ruine" und "Germknödel"

Plötzlich habe er sie in seiner Kolumne als "Tussi" und "Zopferl" bezeichnet, ihre Vorgängerin als "Ruine", eine Künstlerin als "Germknödel". "Wenn er Frauen nicht mochte, hat er das schon zum Ausdruck gebracht", sagt sie. Zum Alkoholkonsum während der Textverfassung kann sie nichts sagen, nur zu dem während der Themenfindung. "Es war nicht so, dass er lallend unter dem Tisch gelegen ist, aber es waren beschwingte Veranstaltungen, aber immer am Abend."

Sie habe ihn immer mit einer Zigarre und einem Glas in der Hand gesehen, auf einen Promillepegel will sie aber nicht rückschließen. "Polternd und laut zu sein ist vielleicht sein Naturell", mutmaßt sie.

Eine ehemalige direkte "Krone"-Kollegin Jeannées, deren Aussage verlesen wird, sieht das auch so: "Er ist so, wie er ist. Er ist auch nicht anders, wenn er etwas getrunken hat", sagte diese Zeugin am Handelsgericht Wien, wo in der Causa ebenfalls gestritten wird.

"Wenn, dann war das Satire"

Den Schlusspunkt setzt eine neuerliche Einvernahme des Antragstellers: "Ich habe noch nie so viele Lügen gehört wie heute", empört sich Jeannée. Der Grund seiner Ablöse als "Adabei" sei eine geplante Verjüngung gewesen, an Schmähbegriffe für Kolleginnen kann er sich nicht mehr erinnern. "Wenn, dann war das Satire, um das Wort auch einmal zu verwenden." Was an der angeblichen eindeutigen Aufforderung an die Ex-Kollegin dran sei? "Es war eher umgekehrt. Aber ich weiß es nicht mehr. Eher umgekehrt", murmelt er.

Sein Anwalt führt im Schlussplädoyer aus, die beiden jeweils Print und Online erschienenen "Österreich"-Artikel hätten "mit einem Schlag die Glaubwürdigkeit der Beiträge meines Mandanten zerstört" und diesen fast die berufliche Existenz gekostet.

"Österreich"-Vertreter Zöchbauer kontert, es habe sich nur um eine Reaktion auf Jeannées zuvor erschienene Kritik am "Österreich"-Titel: "Mock – Bewegender Parkinson-Tod" gehandelt. "Die Kritik war in mehreren Punkten rechtswidrig, die 'Krone' musste schon 13.000 Euro Strafe zahlen", betont er.

Keine Beleidigung, aber üble Nachrede

Richter Apostol wandelt schließlich urteilsmäßig beinahe auf den Spuren seines biblischen Vorgängers. Zwei der vier Anträge lehnt er ab, bei den beiden anderen sieht er den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllt, aber nicht jenen der Beleidigung. Insgesamt muss "Österreich" 5000 Euro an Jeannée zahlen, entscheidet er nicht rechtskräftig. Die Kosten des Verfahrens muss aber jede Seite selbst tragen.

"Ich muss dem Antragsgegnervertreter recht geben, die Artikel sind eine Reaktion gewesen", begründet Apostol. "Sie sind nicht für dezente Wortwahl bekannt und haben selbst von 'Krawallblatt' geschrieben", meint er Richtung Jeannée. Außerdem würden allein dessen zahlreiche Verurteilungen durch den Presserat schon klarmachen, dass "Sudelfeder" zulässig sei. Anders sei es mit der Behauptung, Jeannée würde als "Promilleschreiber" seine Artikel betrunken verfassen: "Wenn man das nicht beweisen kann, dann ist es üble Nachrede." (Michael Möseneder, 26.3.2018)