Viele Schülerinnen und Schüler hielten bei den zahlreichen Demonstrationen Reden. Am Foto Emma Gonzalez (Mitte) und die 11-jährige Naomi Wadler, die in Washington D.C. sprachen.

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Tausende zumeist junge Demonstranten in Washington.

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Die US-Popsängerin Ariana Grande, deren Konzert in Manchester vergangenes Jahr Ziel eines islamistischen Terroristen war, trat in Washington auf.

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Auch in Chicago wird demonstriert.

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Washington/New York – Die amerikanische Normalität, Audrey Connolly beschreibt sie am Beispiel ihrer Highschool in Chicago. In den fünf Wochen nach Parkland, erzählt sie, hätten sie gleich zweimal trainiert, was sie sonst vielleicht zweimal im Jahr üben. Vorhänge zuziehen, das Klassenzimmer verdunkeln. Unter Tischen in Deckung gehen, in der Hoffnung, dass der Schütze keinen sieht, wenn er die Tür öffnet. In Schränke kriechen. "Die Anweisung lautet: Versteckt euch, lauft davon, wehrt euch – in dieser Reihenfolge" , sagt die 16-Jährige. Auf ein Stück Pappe hat sie eine schlichte Parole geschrieben: "Wir wollen leben."

Die 11-jährige Naomi Wadler lieferte eine bewegende Rede.
CBS News

Audrey Connolly ist mit ihrer Freundin Annalisa Cinkay nach Washington gereist, um beim "March for Our Lives" dabei zu sein. Auf der Pennsylvania Avenue, der Prachtmagistrale der Stadt, steht sie in einer dichten Menschentraube, über der ein Meer aus Plakaten wogt. "Die Kleidungsvorschriften für Schülerinnen sind strenger als die Waffengesetze!" "Abschlussfeiern, keine Begräbnisse!" "Es reicht!"

"Von jetzt an kämpfen wir"

Weltstars singen, Miley Cyrus, Ariana Grande und Jennifer Hudson. Doch es sind eindeutig die Schüler, die den Ton angeben. So frei von Floskeln und Pathos, wie Connolly die Realität schildert, reden sie alle, sowohl vor der Bühne als auch oben im Scheinwerferlicht. "Wir haben genug davon, uns verstecken zu müssen", ruft Ryan Deitsch ins Mikrofon, einer der Teenager aus Florida, die nach dem Blutbad an der Marjory Stoneman Douglas High School eine Bewegung namens "Never Again" gründeten. "Wir haben genug davon, ständig Angst haben zu müssen. Von jetzt an kämpfen wir."

Worum es geht, auch das steht stichpunktartig auf Postern. Schnellfeuergewehre sollen nicht mehr verkauft, hochleistungsfähige Magazine verboten, die Personalüberprüfungen vor einem Waffenkauf ausgedehnt werden.

Auch Ex-Präsident Barack Obama verfolgte die Proteste.

"Vote them out! Vote them out!"

Edna Chavez (17) beschreibt den Abend, an dem ihr Bruder Ricardo nicht mehr nach Hause kam. Sonnenuntergang über South Central, einem schwierigen Viertel der Megacity Los Angeles. "Du hörst es knallen und denkst an Feuerwerkskörper. Es waren keine Knaller. Du siehst, wie sich das Melanin in der Haut deines Bruders grau färbt." Dies sei leider "so normal, dass ich lernte, vor Kugeln in Deckung zu gehen, bevor ich das Lesen lernte".

Naomi Wadler, ein schwarzes Mädchen aus einem Vorort Washingtons, klagt über die Zeitungen, die auf ihren Titelseiten nie über Opfer der Schusswaffengewalt berichteten, wenn es sich um Afroamerikanerinnen handle. Sie stehe hier stellvertretend für alle, die "nur Nummern sind". Es seien nur noch sieben kurze Jahre, dann dürfe auch sie wählen, fügt die Elfjährige hinzu. Worauf die Menge einen Sprechchor anstimmt, der sich an diesem Tag noch oft wiederholt. "Vote them out! Vote them out!": Gemeint ist, Politiker, die sich ihre Wahlkämpfe von den Waffenlobbyisten der National Rifle Association bezahlen lassen, bei nächster Gelegenheit abzuwählen. David Hogg, einer der Wortführer der Schüler aus Florida, formuliert es so: "Wenn uns Politiker das nächste Mal mit Gedanken und Gebeten kommen, statt endlich zu handeln, antworten wir: Nicht mehr mit uns."

24 Stunden vor dem Marsch hatte Hogg, ein Siebzehnjähriger, der reif wirkt wie ein souveräner Erwachsener, in kleinerem Kreis die Lage in Parkland skizziert. Seine Schule erinnere ihn mittlerweile an ein Gefängnis. Über ihr knattere ein Hubschrauber des Sheriffs, an den Eingängen würden Rucksäcke kontrolliert, "was immer du tust, wird überwacht".

"Seit ich auf die Bühne gekommen bin, sind sechs Minuten und 20 Sekungen vergangen." Emma Gonzalez, Schülerin der Marjory Stoneman Douglas High School, mit einer berührenden Rede.
CNN

Ärger über Scheinlösungen

Und worüber er sich am meisten ärgere, seien Leute, die Scheinlösungen anbieten. Die etwa vorschlagen, Lehrer zu bewaffnen, damit ein Angreifer sofort auf Gegenwehr stößt. "Nichts kann dich auf so eine Schießerei vorbereiten. Du kannst dafür üben, so oft du willst. Am Ende wirst du am ganzen Leib zittern."

Emma Gonzalez, das Mädchen mit dem raspelkurzen Haar, deren Gesicht zum Symbol des Protests geworden ist, ruft die 17 Toten des Blutbads ins Gedächtnis, mit schlichten Sätzen, die unter die Haut gehen. "Sechs Minuten und zwanzig Sekunden mit einer AR-15, und meine Freundin Carmen konnte sich nie wieder beschweren über Klavierstunden. Aaron Feis, der Footballtrainer, konnte Keira nie wieder Miss Sunshine nennen. Joaquin Oliver konnte nie wieder mit Sam und Dylan Basketball spielen."

Nachdem sie 17 Namen aufgezählt hat, schweigt Emma Gonzalez, bis ihr Handywecker klingelt. Sechs Minuten und zwanzig Sekunden seien vergangen, seit sie die Bühne betreten habe, sagt sie. Der Schütze habe nunmehr zu schießen aufgehört, bald werde er sich seines Gewehrs entledigen und sich unter die Fliehenden mischen.

Die Schülerinnen und Schüler sind derzeit auch auf vielen Titelblättern zu sehen. Beispielsweise bei der "Teen Vogue".

Opfer sichtbar machen

Maureen Glover hat Bilder aneinandergereiht, nicht auf der Bühne, sondern in einer Fußgängerpassage. Es sind mehr als 200 Fotografien, auf weißes Papier gedruckt, in Plastikfolien geschweißt und an eine lange Schnur geklammert, als wären es Wäschestücke. Sie wolle jedem einzelnen Opfer eines Amoklaufs an einer amerikanischen Bildungseinrichtung, sei es an einer Schule oder einem College, ein Gesicht geben, erklärt die Buchhalterin aus New Jersey. Von 1966 bis heute, angefangen mit dem ersten Schusswaffenmassaker, das sie selbst an einem Fernseher erlebte. "Thomas Ashton (22), erschossen an der University of Texas in Austin", steht unter dem ersten Bild. "Jaelynn Willey (16), tödlich verwundet an der Great Mills High School in Maryland", unter dem letzten. Am 22. März 2018 erlag das Mädchen seinen Verletzungen, hat Glover dazugeschrieben. Fünf Wochen nach dem Schock von Parkland.

Auch mit dabei in Washington D.C: Kimye a.k.a. Kim Kardashian-West und Ehemann Kanye West.

Trump weilt in Mar-a-Lago

US-Präsident Donald Trump hielt sich unterdessen auf seinem privaten Anwesen Mar-a-Lago in Florida auf. Das Weiße Haus veröffentlichte eine Erklärung, in der es hieß: "Wir applaudieren den vielen mutigen jungen Amerikanern, die heute ihr Verfassungsrecht nach Artikel 1 (Recht auf freie Meinungsäußerung) ausüben. Unsere Kinder zu schützen ist eine Top-Priorität des Präsidenten (...)." Weiter wurde auf Schritte zur Schulsicherheit hingewiesen, die der Präsident bereits ergriffen habe – die aber nach Ansicht der Protestierenden bei weitem nicht ausreichen." (Frank Herrmann, 24.3.2018)