Marielle Franco wurde ermordet.

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Am vergangenen Donnerstag protestierten Zehntausende in Rio de Janeiro.

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Der Wagen Francos weist mehrere Einschusslöcher im Bereich der Rücksitze auf.

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Die ermordete Stadträtin galt als Zukunftshoffnung ihrer Partei PSOL.

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Rio de Janeiro / Wien – Nach dem Mord an der Stadträtin von Rio de Janeiro, Marielle Franco, geht ihre Partei gegen im Internet massiv verbreitete Falschnachrichten vor. Franco war vergangene Woche in Rio de Janeiro in ihrem Auto erschossen worden. Mit ihr starb auch ihr Fahrer Anderson Gomes.

Der Partido Socialismo e Liberdade (PSOL) fordert in einer Petition an den Ethikrat der Abgeordnetenkammer in Brasília die Aberkennung des Mandates eines Abgeordneten der konservativen Democratas. Der Parlamentarier Alberto Fraga hatte auf Twitter gepostet, Franco sei mit dem Drogendealer Marcinho VP verheiratet gewesen, habe Cannabis konsumiert und sei mit der Unterstützung der Verbrecherorganisation Comando Vermelho gewählt worden. Fraga entfernte sein Posting später wieder und erklärte in einem Interview, er habe die Informationen nicht überprüft. Auf Twitter beklagte er sich über die Polemik, die sein Posting ausgelöst habe.

PSOL-Chef Juliano Medeiros erklärte, Verleumdung an sich sei schon ein erbärmliches Verbrechen, doch nach dem Tod einer Person dazu noch absolut feige, da die beschuldigte Person nicht mehr dagegen vorgehen könne. Die Anschuldigungen durch Fraga hätten nichts mit der Ausübung seines Mandates zu tun, weshalb in diesem Falle die in der Verfassung vorgesehene Immunität keine Gültigkeit haben könne. Der Missbrauch der parlamentarischen Rechte, "eine Parlamentarierin anzugreifen, zu verleumden und zu diffamieren, die getötet wurde, weil sie ein politisches Amt innehatte, ist inakzeptabel", erklärte Medeiros.

In der Petition wird festgehalten, dass die Postings Fragas ein klarer Verstoß gegen ein Verhalten seien, das mit dem parlamentarischen Anstand kompatibel ist, so wie es in der Verfassung und im Código de Ética e Decoro Parlamentar (Kodex der Ethik und des parlamentarischen Anstandes) geregelt sei. In dem Antrag wird auch darauf hingewiesen, dass die Ermittlungen in dem Mordfall unter Verschluss stehen und bis dato kein Szenario ausgeschlossen wurde, "obwohl es starke Anzeichen für eine politische Hinrichtung gibt".

"Gewöhnliche Leiche"

Auch gegen eine Richterin geht der PSOL vor. Marilia Castro Neves, Richterin am Appellationsgerichtshof des Bundesstaates Rio de Janeiro, hatte Franco in einem Posting Verbindungen zu Verbrechern nachgesagt. Der PSOL erhebt daher eine Beschwerde beim Conselho Nacional de Justiça, dem Nationalen Justizrat, der für die Kontrolle des Justizsystems zuständig ist. Stadtrat Tarcísio Motta kündigte auch strafrechtliche Schritte gegen Castro Neves an.

Die Richterin hatte behauptet, Franco habe es verabsäumt, ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Unterstützern – dem Comando Vermelho – nachzukommen und sei deshalb ermordet worden. "Alles andere ist Mimimi der Linken, die versuchen, einer Leiche Wert zu verleihen, die so gewöhnlich ist wie jede andere", schrieb Castro Neves.

Mordanschlag auf offener Straße

Die 38-Jährige Marielle Franco war am Abend des 14. März mit einer Mitarbeiterin auf dem Heimweg von einer Veranstaltung auf der Straße von einem anderen Fahrzeug zum Anhalten gezwungen und durch die verdunkelte Seitenscheibe des Autos mit vier Kopfschüssen getötet worden. Die Munition soll aus Polizeibeständen stammen. Zehntausende Menschen protestierten seither in ganz Brasilien gegen den Mordanschlag und die Polizeigewalt.

Franco galt als Zukunftshoffnung der linken Partei PSOL. Bei den Kommunalwahlen in Rio erreichte sie 2016 das fünftbeste Ergebnis aller Kandidaten.

Die Afrobrasilianerin stammt aus der Favela Complexo da Maré, einem der größten Armenviertel der Metropole. Sie galt als Vorkämpferin für die Rechte schwarzer Frauen in der brasilianischen Gesellschaft und als scharfe Kritikerin der Polizeieinsätze gegen Drogenbanden in den Favelas. Ihre Dissertation mit dem Titel "UPP – die Reduktion der Favela auf drei Buchstaben" schrieb die Soziologin über den Einsatz der Militärpolizei in den Favelas von Rio de Janeiro. UPP ist das Kürzel für die eigens für die Favelas aufgestellte Einheit der Militärpolizei, die Unidade de Polícia Pacificadora (Befriedende Polizeieinheit).

Ende Februar hatte Brasiliens Parlament für ein Dekret gestimmt, in dem Staatspräsident Michael Temer den Einsatz des Militärs in den Favelas Rio de Janeiros anordnet. Franco übernahm den Vorsitz einer Kommission, die das Vorgehen des Militärs überwachen soll.

Noch am Tag vor ihrer Ermordung beklagte Franco auf Twitter den Tod eines Jugendlichen. "Wie viele müssen noch sterben, bevor dieser Krieg endet?", schrieb sie.

(Michael Vosatka, 22.3.2018)