Links die Große Halle des Volkes, rechts das Nationalmuseum und geradeaus das Tor des Himmlischen Friedens. Dort prangt Mao Tse-tungs monumentales Bildnis, dort hat er vor bald 70 Jahren die Volksrepublik China ausgerufen. Die Szenerie am Tian'anmen-Platz wird sich auch nach dem Ende des Volkskongresses nicht ändern. Dabei bleibt nach dieser Parlamentssitzung in Peking politisch kein Stein mehr auf dem anderen. China hat dieser Tage die größte Zäsur gesehen seit dem Tod Maos und Deng Xiaopings Öffnungspolitik. Statt des Genossen Mao könnte ab nun genauso gut Staatspräsident Xi Jinping süffisant vom Eingang zur Verbotenen Stadt lächeln.

"Onkel Xi" hat seine auf zwei Fünfjahresperioden festgelegte Amtszeitbeschränkung aufheben lassen. Seine theoretischen Grundsatzschriften wurden in den Verfassungsrang erhoben, seine Verbündeten in Schlüsselpositionen gehievt und sein Herrschaftsinstrument, die Korruptionsbekämpfung, noch einmal gestärkt. Ab jetzt steht die Behörde, die gegen "Tiger und Fliegen", also hohe und niedere Funktionäre in der KP, vorgeht und in den vergangenen fünf Jahren 1,34 Millionen Parteigänger verfolgt hat, über dem Obersten Gerichtshof. Xi kann also ungehindert regieren – in einer Machtfülle, die jener Maos gleichkommt.

Damit will er den Übergang der Volksrepublik vom Schwellenland zur Supermacht ohne Effizienzverluste vorantreiben. So wie er nun in Richtung Hongkong und Taiwan die Einheit des Landes eingemahnt hat, so signalisiert sein Plan dem Ausland, dass es mit China rechnen muss. Experten stellen bereits fest, dass die Volksrepublik enorme Fortschritte im Bereich der Forschung und Entwicklung macht, militärisch weltweit agieren will, in den globalen Finanzinstitutionen an Gewicht gewinnt, durch Firmenübernahmen schleichend Einfluss etwa in Europa erringt. Bis 2030 – so lange soll der 64-jährige Xi für sich selbst planen – soll dieser Weg befestigt sein. Ab 2050 will China als Supermacht global Schrittmacher sein.

Für diesen Plan wird das Volk gnadenlos unterdrückt, unter anderem mit dem neuen Sozialkreditsystem, das Wohlverhalten im Sinne der Partei, also Xis, belohnt. Wer dagegen unangenehm auffällt, darf wegen mangelnder Sozialkreditpunkte etwa keine Züge benutzen. Viele Chinesen stört das keineswegs. Sie wollen ökonomisch vorankommen und können ohne Demokratie leben. Dennoch ist ihre Überwachung heute so stark wie kaum je zuvor. Aus Angst vor Unruhen lässt Xi den Chinesen bis in die Kapillaren der von ihnen so geliebten Mikroblogs nachstellen. Das führt zu allerlei Absurditäten: In den letzten 14 Tagen wurden etwa Bilder von Winnie-the-Pooh, der sich am Honigtopf festhält, blockiert, weil es heißt, dieser ähnle Xi.

Noch einmal Mao: "Das chinesische Volk ist wie ein weißes Blatt Papier, auf das sich die schönsten Zeichen malen lassen." Sein Erbe ist der Massenmord der Kulturrevolution. Auch Xis Familie hat in dieser Zeit gelitten. Und dennoch macht er nun den großen Sprung zurück. (Christoph Prantner, 20.3.2018)