Wien – "Der eigene Hund macht keinen Lärm – er bellt nur." Der Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky hat mit diesem Satz einst zusammengefasst, was auch heute noch gilt: Lärm ist meistens nur das Geräusch der anderen. "Die eigenen Geräusche nimmt man hingegen nie so störend wahr", sagt Peter Payer, Historiker und Stadtforscher im Technischen Museum in Wien. Die Lärmdiskussion sei deswegen immer auch eine soziale Frage.

Ob jemand ein Geräusch als störend, also als Lärm empfindet, hängt nicht nur vom Pegel, sondern zu 70 Prozent von anderen Faktoren ab. Etwa davon, wer das Geräusch verursacht.
Illu: Der Standard

Payer hat sich angesehen, wie diese Frage sich im Laufe der Zeit verändert hat und welche Antworten unterschiedliche Städte gefunden haben. Ende des 19. Jahrhunderts sei der Lärm in der öffentlichen Diskussion vermehrt wahrgenommen worden, "obwohl man natürlich bis zu den Römern zurückgehen könnte, auch da hat es schon Lärmbeschwerden gegeben", sagt Payer. Die in ganz Europa einsetzende rasante Urbanisierung habe die zunehmende Geräuschkulisse ins Bewusstsein einer Vielzahl von Leuten gebracht. "Damals hat die Zahl an Fahrzeugen und Menschen, die sich in der Stadt bewegen, enorm zugenommen. Und die aus Stein geformte Stadt dient als sehr guter Reflexionsraum", beschreibt der Historiker die Veränderungen um 1900.

Zur gleichen Zeit hätten sich auch die ersten Lärmschutzvereinigungen gegründet. In Wien habe man damals ähnlich auf die Herausforderungen durch das Wachstum reagiert wie in anderen europäischen Städten – sowohl von öffentlicher Seite als auch vonseiten der Bürgerinnen und Bürger: "Da beschwerte man sich beispielsweise über das Knattern und Knarren des Autos, aber gleichzeitig auch über die Reichen, die sich ein solches überhaupt leisten konnten."

Lärmschutzvereinigungen gibt es in Wien seit Ende des 19. Jahrhunderts. Durch die schnelle Urbanisierung sorgten sich viele Menschen wegen der zunehmenden Geräuschkulisse.
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Heute ist es leiser geworden auf den Straßen der Stadt – zumindest könnte man das meinen. Kopfsteinpflaster sind mittlerweile eine Seltenheit, und E-Autos können leicht überhört werden. Für Payer aber kein Grund, von leisen Straßen zu sprechen: "Es gibt leisere, aber auch viel mehr Autos. Dadurch werden Geräuschvorteile wieder aufgehoben."

Dennoch: Mehreren Statistiken zufolge ist es in Wien nicht mehr so laut wie früher. Natürlich stecken da Bemühungen dahinter. Laut Payer sei heute ein Bewusstsein für Lärmproblematiken da. "Ich würde mir aber wünschen, dass die Akustik in der Stadtplanung noch viel öfter mitgedacht wird. Wir hören immer. Im Gegensatz zu den Augen können wir das Ohr nicht einfach verschließen."

Dafür plädiert auch der österreichische Arbeitsring für Lärmbekämpfung (ÖAL), der diese Woche sein 60-jähriges Bestehen mit einer Tagung feiert. "Interdisziplinärer Austausch ist gerade beim Thema Lärm sehr wichtig", sagt ÖAL-Direktor Christoph Lechner. Der Verein arbeitet deswegen unter anderem mit Kammern, dem Umweltbundesamt und verschiedenen Unis zusammen.

Ein kleines Heimkino, am Foto eine Lösung von Bang & Olufsen, haben mittlerweile viele Leute daheim – und stören damit potenziell ihre Nachbarn. Lärmverursacher Nummer eins ist zwar weiterhin der Verkehr, der Nachbarschaftslärm nimmt laut Experten aber zu.
Foto: Bang & Olufsen

Bei den Lärmbelastungen sei der Verkehr noch immer ganz vorne, weiß Lechner, und da vor allem der Pkw-Verkehr. Überraschend für den Tiroler: Nachbarschaftslärm habe in den letzten Jahren in Österreich stark zugenommen. "Deutschland war da immer weit vor uns. Nun holen wir seit einiger Zeit auf." Die Gründe dafür liegen einerseits im Leichtbau, andererseits hätten viele Menschen mittlerweile ein regelrechtes Heimkino bei sich installiert. "Und diese Tieffrequenzwellen werden sehr leicht übertragen."

Ob die Geräusche dann auch als etwas Störendes interpretiert werden, hängt nicht nur von der Lautstärke ab. Laut Lechner sei der Pegel nämlich bei einer Lärmbelästigung nur zu einem Drittel ausschlaggebend. Der Rest wird von anderen Variablen beeinflusst – etwa wie spät es ist oder ob man mit den Nachbarn grundsätzlich gut auskommt. (Lara Hagen, 20.3.2018)