Die ersten Ankündigungen des Bildungsministers Heinz Faßmann sind bereits in Umsetzung: Veraltete Erlässe werden entsorgt, die Eltern müssen künftig für ihre zu spät kommenden Kinder ordentlich in die Tasche greifen, an der Wiedereinführung der Ziffernnoten wird gearbeitet. Auch die geplanten Deutschförderklassen nehmen konkretere Formen an. Neue Aufnahmeverfahren für die Gymnasien hat uns der Minister vor einigen Tagen auch angekündigt. Zeit für eine neuerliche Zwischenbilanz.

"Auslese" von Kindern

Vorab gesagt: Optimistisch stimmen die derzeitigen Vorhaben nicht. Zwar kann sich die AHS freuen, dass sie künftig mehr Ressourcen erhalten wird, was grundsätzlich natürlich positiv ist. Dass sie durch neue Aufnahmeverfahren demnächst eine gezielt ausgewählte "Auslese" von Kindern bekommt, ist sicher auch sehr gut für die AHS und ihre Lehrer. Für die Kinder, die dann via Tests schon ab der dritten Klasse Volksschule in eine andere Richtung gelenkt werden, stellt das allerdings keine so gute Nachricht dar. Sie werden in die Neuen Mittelschulen weitergehen, die auf noch unbestimmte Weise aufgewertet werden sollen. Dass dieser Versuch der Aufwertung – seinerzeit betraf es die Hauptschule – bereits mehrmals erfolglos gescheitert ist, ist bekannt. Gerade die Neue Mittelschule stellt ein wenig überzeugendes Beispiel für eine Aufwertung dar. Die Eltern wollen und werden jedenfalls ihre Kinder nach wie vor in jene Schulform geben, von der sie sich erwarten, dass sie zu besseren Chancen im Leben führt. Auch sogenannte bildungsferne Eltern wollen übrigens ihre Kinder im Gymnasium sehen, auch wenn sie oft nicht darüber Bescheid wissen, wie sie dahin gelangen können.

Bildungsminister Heinz Faßmann Kürzungen im Bildungsbereich sind umstritten.
Foto: Reuters/Heinz-Peter Bader

Nun würde man also vermuten, dass gerade die Schulen, die nach den Plänen der Regierung wieder den größeren Teil eines Jahrgangs aufnehmen sollen, auch entsprechend mit Ressourcen versehen werden. Die Attraktivität stellt sich ja schließlich nicht von selbst ein. Derzeit sind ja, vor allem in den Städten, genau diese Neuen Mittelschulen mit besonders vielen Herausforderungen konfrontiert.

Zu ihnen kommen Kinder aus Volksschulen, die jahrelang nicht behobene Defizite mitbringen und für deren Behebung es den Lehrern hinten und vorne an entsprechenden (personellen) Mitteln fehlt. Zu ihnen kommen Kinder, mitten im Jahr, mitten in der Schullaufbahn, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, die vielfach Fluchterfahrung haben und traumatisiert sind. Zu ihnen kommen auch Kinder, die – meist kriegsbedingt – noch nie in einer Schule waren. Zu ihnen kommen auch die Kinder derjenigen, die zu den Verlierern unserer Gesellschaft zählen und die es mit eigenen Mitteln nicht schaffen, für ihre Kinder zu sorgen. So ist das. So ist das ganz besonders in einer Migrationsgesellschaft, besonders natürlich in Großstädten, weltweit. Österreich stellt da keinen Sonderfall dar. Der Sonderfall besteht höchstens darin, dass in fast allen anderen Ländern nicht schon mit neun Jahren Weichen gestellt werden wie hierzulande und auch darin, dass fast nirgendwo so lange geleugnet wurde, dass wir ein Migrationsland sind. Und schließlich, dass in kaum einem anderen vergleichbaren (Oecd-)Land die Bildungsungerechtigkeit so groß ist, wie in Österreich.

Die Regierung streicht Ressourcen dort, wo sie notwendig sind

Was also dürfen diese Neuen Mittelschulen künftig erwarten? Wie dürfen wir uns die Aufwertung konkreter vorstellen? Bislang kamen die zusätzlichen Ressourcen immer nur scheibchenweise, reichten nie aus, aber stellten dennoch eine gewisse Erleichterung für die Lehrer an den betreffenden Schulen dar. So wurden etwa Schulsozialarbeiter eingeführt – in bescheidenem Ausmaß zwar, aber immerhin. Aus einem – zeitlich befristeten – Integrationstopf konnte zusätzlich erforderliche Unterstützungsarbeit geleistet werden. Die neue Regierung streicht nun genau dort, wo sie gleichzeitig die Aufwertung des Schultyps ankündigt, Ressourcen. Die Zweitlehrer an den Neuen Mittelschulen, die sicher nicht der Weisheit letzter Schluss waren, die aber lebensnotwendige Ressourcen für diese Schulen darstellen, werden in Frage gestellt. Statt es den Schulen freizustellen, wie sie diese Ressourcen einsetzen, wird die Streichung in den Raum gestellt. Der sogenannte Integrationstopf wird gekürzt, und die Mittel für die Deutschklassen fallen künftig erheblich geringer aus, als noch vor kurzem verkündet wurde. 17 Schülerinnen und Schüler sollen künftig in diesen Deutschklassen unterrichtet werden.

Wir brauchen mehr Unterstützungspersonal!

Dass auf diese Weise das Unterfangen von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist, braucht nicht extra hervorgehoben zu werden. Dass Faßmann die Kürzung rechtfertigt, weil es jetzt weniger Flüchtlinge gibt, greift jedenfalls zu kurz. Denn erstens dauert es fünf bis sieben Jahre, bis die Kenntnisse in der Zweitsprache gesichert sind, und das ist wissenschaftlich gut erforscht. Und zweitens geht es ja nicht nur um das Deutschlernen. Wir brauchen für Kinder in "Brennpunktschulen" noch viel mehr Personal, um sie zu guten Schulabschlüssen zu bringen. Dazu gehört das sogenannte Unterstützungspersonal wie Förderlehrer, Legasthenielehrkräfte, Schulpsychologen oder Schulsozialarbeiter, um nur einige zu nennen.

In einem aktuellen Interview mit der "Presse" meint Minister Faßmann übrigens, er könne sich nicht vorstellen, wie man Sozialarbeiter in die Schule integrieren könnte. Nun ja, es findet – in unzureichendem Ausmaß – ja jetzt schon statt, und Schweden hat seit vielen Jahrzehnten an jeder Schule eine volle Stelle für diese Schulsozialarbeiter. Was dieses Unterstützungspersonal betrifft, so stehen wir übrigens unter vergleichbaren Ländern an letzter Stelle. Eine gerechte Mittelzuteilung an Schulen würde Abhilfe schaffen, und der Minister hat erfreulicherweise vor einiger Zeit einen so genannten Chancenindex angekündigt, mit dessen Hilfe man besonders belastete Schulen besser unterstützen könnte. Doch, wie man gerade sieht, spielt der Finanzminister da nicht mit.

Deutschkenntnisse dürfen kein Kriterium sein

Ein paar Worte noch zu den geplanten Deutschklassen. Grundsätzlich ist es sehr begrüßenswert, dass – zumindest als Absichtserklärung – in das Erlernen der deutschen Sprache investiert werden soll. Keine Frage. Über das Wie gehen allerdings die Meinungen auseinander: Und zwar verläuft die Trennlinie zwischen den Vertretern aus der Politik und den Experten aus Forschung und Wissenschaft. Während "Willkommensklassen" für (traumatisierte, kriegsgeschädigte) Kinder und Jugendliche als vorübergehende Maßnahme durchaus sinnvoll sein können, sind gesonderte Deutschklassen als fixe Maßnahme nicht zielführend. Die Spracherwerbsforschung ebenso wie die Bildungsforschung hat dazu viel zu sagen, leider wird das nicht gehört. Bedauerlicherweise auch nicht von Minister Faßmann, der nur seine ehemaligen Kollegen von den Universitäten zu Rate ziehen müsste. Diese haben nämlich eine klare Stellungnahme dazu abgegeben. 

Noch einmal anders verhält es sich mit dem Thema von Deutschkenntnissen als Kriterium für die Schulreife. Das kann und darf für Kinder mit nichtdeutscher Erstsprache niemals Voraussetzung für die Zulassung zum Schulbesuch sein, denn nur die Kenntnisse in der Erstsprache können die Schulreife definieren. Wie den Plänen zu entnehmen ist, wird aber genau das ab Herbst eintreten – Kenntnisse in der Zweit- und Drittsprache Deutsch werden die Schulreife bestimmen. Es wird sich kein Wissenschafter finden, der das befürworten würde – im Inland ebenso wenig wie im Ausland. Vielleicht sollte der Minister einen Blick nach Hamburg werfen, das im deutschsprachigen Raum federführend in Sachen durchgehende Sprachförderung ist. Dort ist nämlich das, was bei uns jetzt kommen wird, schlichtweg verboten. Kein Kind darf dort vom Schulbesuch aufgrund mangelnder Kenntnisse in der deutschen Sprache zurückgestellt werden.

Rückwärtsgang

Insgesamt fällt die bisherige Bilanz ernüchternd aus. Integrationsmaßnahmen werden zurückgefahren, kompensatorische Maßnahmen fehlen fast zur Gänze. Inklusion kommt als Thema so gut wie gar nicht vor. Die soziale Selektion wird weiter zunehmen, nicht nur wegen der geplanten Aufnahmeverfahren. Die Neuen Mittelschulen in den Städten werden nicht attraktiver werden, auch wenn in vielen jetzt schon hervorragend gearbeitet wird, was auch einmal gesagt werden soll. Aber ohne ein Vielfaches an Ressourcen kommen sie nicht weiter als bisher auch und stellen für bildungsaffine Eltern keine Alternative dar. Und die viel gepriesene Schulautonomie? Da scheint ein Rückwärtsgang eingelegt worden zu sein. Aber davon ein anderes Mal. (Heidi Schrodt, 19.3.2018)