Fünf Polizeibeamte formieren sich in der Bahnhofshalle breitbeinig im Halbkreis um die beiden jungen Männer. Die stehen mit dem Rücken zur Wand und können nicht weiter. Die Identitätskontrolle lassen sie über sich ergehen, einer zieht die Kapuze seiner Jacke demonstrativ über den Kopf. Nach einem kurzen Check können die Männer unbehelligt weitergehen.

"Die Polizei sucht Leute, die Drogen verkaufen", sagt Safi Mohammed, einer der beiden. "Ich finde es normal, dass man kontrolliert wird, wenn man aussieht wie ich." Safi Mohammed stammt aus Afghanistan, seit sieben Jahren ist er in Österreich. Aktuell arbeitet er in einem Fastfoodlokal. Der Praterstern liegt auf dem Weg zum Job, er steigt hier um. Aber auch sonst kommt er hierher, um sich mit Freunden zu treffen – etwa einmal während der Woche und an den Wochenenden. "Am Praterstern gibt es viele Afghanen."

Drogen sind am Bahnhof ein Problem, sagt er. "Ich kenne Leute vom Sehen, die alles Mögliche verkaufen. Es sind auch Asylwerber darunter." Aber auch andere Gruppen sind in der Drogenszene tätig. "Auf der hinteren Seite die Afghanen, auf der vorderen die Araber." Nur wenig später wird beim STANDARD-Lokalaugenschein eine Gruppe von sechs Jugendlichen mit Migrationshintergrund an der Rückseite des Bahnhofsgebäudes Richtung Venediger Au von Beamten perlustriert.

Der Verkehrsknotenpunkt Praterstern, ohnehin kein Schmuckstück in Wien, ist zuletzt noch mehr als bisher vor allem durch Vorfälle mit Afghanen in Verruf geraten. Am Dienstagabend prügelten sich mehrere Jugendliche. Anwesend waren laut Polizei 50 bis 60 junge Männer meist afghanischer Herkunft. In der vergangenen Woche wurden durch Messerattacken eines Afghanen am Praterstern und am nahen Nestroyplatz vier Personen schwer verletzt. Vor zwei Jahren sorgte die brutale Vergewaltigung einer Austauschstudentin durch drei afghanische Burschen in einer Toilette am Praterstern für Entsetzen.

Elyas über die afghanischen Jugendlichen am Praterstern.
DER STANDARD

Unter diesen Taten leidet auch die afghanische Community in Wien. "Wenn uns jemand fragt, woher wir kommen, und wir antworten: ‚Aus Afghanistan‘, dann hassen sie uns. Sie haben Angst vor uns", sagt Elyas, der mit seinem Freund Abdul durch den nahen Park in der Venediger Au schlendert. Seit 13 Monaten lebt er in Österreich und geht in Floridsdorf in die Schule. "Da habe ich österreichische Freunde, aber auch serbische und afghanische", sagt er in gut verständlichem Deutsch.

"Gute" vs. "schlechte" Afghanen

Elyas’ Vater, der 2012 nach Österreich geflohen ist, hat seine Familie nach der Asylanerkennung erst fünf Jahre später in Wien wieder zusammenführen können. Elyas, seine Schwester und seine Mutter waren davor in den Kriegswirren von Afghanistan nach Pakistan geflüchtet. "Es gibt in Wien auch schlechte Afghanen, die unseren Namen kaputtmachen", sagt er. "Es gibt aber auch viele gute." Zum Praterstern kommt er auch, um wieder in seiner Muttersprache reden zu können.

Zum Beispiel mit Abdul: Der 17-Jährige ist ohne Familie seit zwei Jahren hier und mitten im Asylverfahren. Auch er kommt trotz der Kontrollen regelmäßig zum Praterstern. "Gestern bin ich gleich zweimal von Beamten auf Drogen durchsucht worden." Eine Nacht lang musste Abdul nach einer Kontrolle auf einer Polizeistation bleiben, für Ende März hat er eine Gerichtsvorladung bekommen. "Ich weiß nicht, warum."

Afghanistan-Experten Sarajuddin Rasuly fordert die Abschiebung der "kleinen Minderheit" der Kriminellen aus seiner Community.
DER STANDARD

Für den Politologen und Afghanistan-Experten Sarajuddin Rasuly nehmen die Probleme und kriminellen Handlungen durch geflüchtete Afghanen in Wien zu. Zum einen seien Perspektivlosigkeit und fehlende Tagesstruktur der Jugendlichen im Asylwerberstatus nicht förderlich für die Integration. Zum anderen komme Frust dazu, "weil es jetzt entweder das Gerücht oder die Tatsache gibt, dass mehr Afghanen abgelehnt werden". Dazu kommt, dass die Jugendlichen im Krieg aufgewachsen sind und oft schon auf ihrer Flucht mit Drogen in Kontakt kamen.

Rasuly, der als Sachverständiger für das Bundesverwaltungsgericht seinen Teil dazu beiträgt, ob ein afghanischer Flüchtling Asyl bekommt oder nicht, nimmt zum Gespräch mit dem STANDARD am Praterstern seinen erwachsenen Neffen als Aufpasser mit. Sicher ist sicher.

Perlustrierung am Praterstern.
Foto: STANDARD/Heribert Corn

Rasuly, der seit 40 Jahren in Österreich lebt, warnt davor, alle Afghanen in einen Topf zu werfen. Kriminelle seien eine kleine Minderheit. "Ich bin aber der Meinung, wie die Mehrheit der afghanischen Community, dass Leute, die kriminell werden, abgeschoben werden sollen." Offizielle Zahlen über Afghanen in Österreich sind oft ungenau. Laut Rasuly leben rund 50.000 Afghanen hier, etwa 35.000 sind seit den Fluchtbewegungen ab Herbst 2015 dazugekommen – mehrheitlich nach Wien.

Afghanische Großstädte wie Kabul seien – trotz eines Anstiegs von Anschlägen – laut Rasuly derzeit "relativ sicher, aber volatil". Für Kriminelle gebe es "keine Alternative zu Abschiebungen. Sonst geht es hier mit ihrer kriminellen Karriere weiter."

Mehr Afghanen in der Polizei

Für die Situation am Praterstern macht Rasuly aber auch die Behörden verantwortlich. "Ich habe beobachtet, dass in der Bahnhofshalle dutzende afghanische Jugendliche herumstehen. Wenn man die Sprache kann, hört man gleich, dass von Haschisch und über Konflikte gesprochen wird. Diese Versammlungen müssen aufgelöst werden." Die Polizei sollte zudem vermehrt Afghanen aufnehmen oder Dolmetscher hinzuziehen. "Dann verstehen sie, was da los ist." Wertekurse und Integrationsprogramme müssten ausgebaut werden.

Für die Anrainer wirkt sich vor allem die Drogenszene auf das Sicherheitsgefühl aus. "Ich habe selbst schon vor meinem Haus gesehen, dass gedealt wird", sagt Hans S. Passantin Meltem hat diese Deals am Praterstern beobachtet. Dazu kommen die "unguten Leute", sie meint "unangenehme Alkoholiker" und "Burschen", die sie "blöd" anreden. "Ich merke schon, dass ich selbst oft Ausschau halte, ob da eh die Polizei ist, falls etwas passieren sollte."

Anrainer zur Situation am Praterstern, ihr Sicherheitsgefühl und Lösungsmöglichkeiten.
DER STANDARD

Herbert L. spricht von einer "Anbahnungszone" für Drogen in der Venediger Au direkt beim Praterstern. "Es ist fast, als ob hier ein Büro wäre, wo der Deal abgewickelt und organisiert wird." Die Polizei sei zwar vermehrt präsent. "Aber es ist wie ein modernes Räuber-und-Gendarm-Spiel."

Rudi J. meint, angesprochen auf die Messerattacke in der Praterstraße, dass man zunächst dieser Familie alles Gute wünschen müsse, weil das natürlich ein schrecklicher Vorfall gewesen sei: "Unvorstellbar. Wenn man hier wohnt, ist das natürlich ein Thema, dass man auch selber betroffen sein könnte. Dieses Gefühl schwingt einfach mit. Auf der anderen Seite muss man sagen, dass ich prinzipiell kein schlechtes Gefühl wegen dieser Gruppen von Afghanen oder Tschetschenen habe, wo auch immer sie her sind, weil sie schon seit Jahren da sind und es sonst nie ein Problem gab. Es ist schrecklich, dass ein einzelner Wahnsinniger so viel auslösen kann, aber mein persönliches Sicherheitsgefühl hat sich dadurch nicht wesentlich verändert."

Der Drogenhandel sei aus seiner Beobachtung in den vergangenen Monaten weniger geworden, aber was schon ein Problem sei: Wenn größere Gruppen sich am Praterstern in einer aggressiven Grundstimmung aufhalten. Seine Freundin habe schon vor dem kürzlichen Raufhandel etwas Ähnliches beobachtet. Trotzdem ist der Anrainer zuversichtlich: "Ich denke mir, da werden Polizei und Sozialarbeiter aktiv werden, und schauen, dass das gelöst wird."

Rundgang mit der Polizei am Praterstern: Sprecher Patrick Maierhofer zur Lage.
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Die Polizei hat ihre Präsenz am Verkehrsknotenpunkt, der täglich von bis zu 300.000 Menschen genutzt wird, schon in den vergangenen Jahren verstärkt. Beamte aus dem Bezirk, Bereitschafts- und Polizeidiensthundeeinheiten sind neben Beamten in Zivil und dem Landeskriminalamt regelmäßig unterwegs. Dazu kommen außer einer Videoüberwachung auch Securitys von ÖBB und Wiener Linien sowie Sozialarbeiter. Laut Polizei sind hier je nach Wochentag und Tageszeit bis zu 20 Polizisten im Dienst.

Für den dramatischen Rückgang des subjektiven Sicherheitsgefühls für viele Passanten am Praterstern und der Venediger Au liefern die Zahlen der Polizei keinen Beleg. So sind 2017 – im Vergleich zu 2016 – die Delikte für Raub und Diebstahl am Praterstern um 62 Prozent zurückgegangen, Raufhandel um 54 Prozent, heißt es aus Polizeikreisen.

Drogenhundestaffel im Einsatz.
Foto: STANDARD/Heribert Corn

Auch die Delikte Diebstahl (minus 28 Prozent), Körperverletzung (minus 23 Prozent) oder Widerstand gegen die Staatsgewalt (minus 29 Prozent) wurden im Vorjahr weniger. Der Höchstwert an Einsätzen wurde im Juli 2012 mit 260 verzeichnet. Im Durchschnitt haben sich die Einsätze aber von 150 auf aktuell rund 70 Einsätze pro Monat verringert.

"Die Lage am Praterstern stellt sich aus Sicht der Polizei als zufriedenstellend dar", sagt Sprecher Patrick Maierhofer. Das treffe auch auf die Drogenszene zu, die sich seit Mitte 2016 "stark reduziert" habe. Nicht nur am Praterstern stelle die Exekutive aber verstärkt fest, dass sich jugendliche Gruppierungen vermehrt bewaffnen, um ethnische oder interkulturelle Konflikte auszutragen. "Wir haben mehrere Vorfälle gehabt, wo auch Messer im Spiel waren. Das ist eine Beobachtung, die wir seitens der Polizei bestätigen müssen."

Bezirksvorsteherin will bauliche Änderungen

Bezirksvorsteherin Uschi Lichtenegger (Grüne) meint zur Situation am Praterstern: "Ich bin oft hier, habe jedoch noch nie Angst gehabt. Aber das tut nichts zur Sache: Wenn es Menschen gibt, die sich nicht sicher fühlen, dann müssen wir handeln."

Bezirksvorsteherin Uschi Lichtenegger: "Ich habe keine Angst."
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Um den Praterstern auch sichtbar offener zu gestalten und "schmuddelige Ecken" zu entfernen, sollen drei große Betonkörper auf dem Vorplatz abgerissen werden. Das kostet allerdings 40.000 Euro. Lichtenegger: "Wir sind noch auf der Suche nach Sponsoren."

Von einer Aufstockung der Polizei hält Lichtenegger nichts. Sie würde sich vielmehr eine Aufstockung der Sozialarbeiter wünschen. Diese sind hier durch das Projekt SAM2 vertreten. Gruppenleiter Markus Bettesch meint im Gespräch mit dem STANDARD: "Aus meiner Sicht ist der Praterstern nicht gefährlich. Es gab diese zwei Vorfälle, die man aber losgekoppelt vom täglichen Geschäft hier betrachten muss. Die meiste Zeit sind kaum Konflikte beobachtbar."

Sozialarbeiter Markus Bettesch: "Die meiste Zeit sind keine Konflikte beobachtbar."
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Aus Sicht der Sozialarbeiter sei eines der Probleme der Flüchtlinge, dass sie kaum Jobmöglichkeiten hätten. Infolgedessen halte eine gewisse Strukturlosigkeit Einzug. Diese verschärfe störende Verhaltensweisen und die Suchtproblematik.

Basketball im Käfig

Sportkäfig in der Venediger Au mit Blick auf das Riesenrad.
Foto: STANDARD/Heribert Corn

Im Käfig in der Venediger Au spielen die beiden Studenten Philipp und Pieter regelmäßig Basketball. Sie wurden hier auch schon auf Drogen angesprochen. Einige von den Jugendlichen mit Migrationshintergrund spielen auch manchmal im Käfig mit. Bei manchen vermuten die beiden, dass es eher darum gehe, dass sie vorübergehend der Aufmerksamkeit der Polizei entrinnen.

Die Studenten fühlen sich grundsätzlich schon sicher hier, aber natürlich gebe es eine Restwahrscheinlichkeit, dass etwas passieren könnte. In anderen Ländern sei es wesentlich gefährlicher. Manchmal beobachten sie einen Streit zwischen Jugendlichen im Park. Rund zehn Personen seien ihrer Wahrnehmung nach immer dieselben, manchmal kämen auch Gruppen zwischen 20 und 30 Leuten. Philipp hat sich einmal mit einem Jugendlichen unterhalten, der gemeint hätte, dass ihm nichts anderes übrigbleibe, als zu dealen. (Reportage: David Krutzler, Rainer Schüller | Videos: Christian Fischer | Fotos: Heribert Corn, 18.3.2018)