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Der WM-Titel wird wohl auch 2018 über Mercedes-Pilot Lewis Hamilton führen.

Foto: REUTERS/Juan Medina

STANDARD: Toyota hat sie zum Testen aus der Rennfahrerpension geholt. Wie war’s?

Wurz: Vor zwei Jahren bin ich zum letzten Mal gefahren, jetzt war ich in der dritten Runde wieder gleich schnell wie die Teamkollegen. Ich war überrascht, wie schnell sich der Kopf aufs Fahren eingestellt hat. Mit der Fitness habe ich ein bisschen mehr gekämpft als in den alten Tagen, aber ich habe es überstanden.

Wurz musste kürzlich wieder die verschiedenfarbigen Schuhe anziehen.

STANDARD: Ist die Fitness das größte Problem eines Rennfahrers, wenn er älter wird?

Wurz: Die Stoppuhr kennt dein Alter nicht. Ich habe die Fitness nur deshalb nicht, weil ich zwei Jahre nicht gefahren bin, wenn ich drei Tests mache und mich spezifisch vorbereite, ist das alles in Ordnung. Wenn du wie ein Räikkönen oder Alonso ständig im Geschäft bist, hast du überhaupt kein Problem. Dann ist der einzige Feind dein eigener Kopf, der nach vielen Jahren nicht mehr so auf die Details aufpasst, weil du ein bisschen anfängst, faul zu werden, dich nicht mehr in jedes Detail hineinversetzt und das Feuer erlischt. Das ist eigentlich der Grund, warum Sportler im Laufe der Zeit eine gewisse Burnout-Rate haben. Wenn es dir keinen Spaß mehr macht und dich Kleinigkeiten ärgern – dass dein Gepäck verspätet ist, dass dein Hotelzimmer laut ist, dass die Bettdecke nicht angenehm ist – dann bist du schon knapp vor dem Ende. Wenn einer bis 50 Spaß hat, glaube ich dass er auch bis 45, 50 schnell rennfahren könnte. Er muss halt Feuer und Flamme sein für den Sport.

STANDARD: Ignoriert man diese Kleinigkeiten in den Jahren davor oder nimmt man sie in Kauf?

Wurz: Du nimmst sie in Kauf. Als Sportler hast du keine Kindheit, keine Jugend, gar nichts, weil du jede freie Minute für den Sport da bist. Aber das stört dich ja nicht, weil du nur das verfolgst, was du gerne machst und machen möchtest. Wenn du anfängst, müde zu werden, dann fehlen im Leistungsgeschäft schnell die ein, zwei Zehntel. Wenn du im Bürobetrieb unterwegs bist, zum Beispiel als Investmentbanker, Architekt oder Designer, kannst du das irgendwann mit der Routine wettmachen. Aber nicht, wenn du gegen die weltbesten Sportler antrittst.

Alexander Wurz ist gut vernetzt im Motorsport.
Foto: APA/ERWIN SCHERIAU

STANDARD: Wie ist Ihre Zeit zwischen den verschiedenen Arbeitgebern aufgeteilt?

Wurz: Ich bin jetzt beim MotoGP-Lauf in Katar, weil ich für die MotoGP im Rennstreckendesign arbeite. Dann fliege ich nach Australien für Williams und den ORF, dann fliege ich nach Saudi-Arabien, wieder für Rennstreckendesign und Road Safety. Wie es dann weitergeht, weiß ich nicht – was das Flugticket gerade anzeigt.

STANDARD: Zur Formel 1: Was sollte jeder Zuschauer über die kommende Saison wissen?

Wurz: Die spannende Frage wird sein, wie knapp Ferrari und Mercedes zusammenliegen. Im vergangenen Jahr waren sie ja eng zusammen und die Einschaltquoten weltweit sind mit den neuen, schnelleren Autos recht gesund angestiegen. Wir gehen wieder zurück zum authentischen Motorsport, der sich darum dreht, Rundenrekorde aufzustellen. Das ist einmal gut – letztes Jahr hatte Ferrari Mitte der Saison leider Probleme mit der Standfestigkeit, deshalb hat sich die WM dann zugunsten Mercedes entschieden. Wir haben jetzt bei den Tests gesehen, dass Ferrari und Mercedes knapp zusammen sind und dann wird es sehr spannend, weil dann Fahrer, Ingenieure und Strategen unter Druck Fehler machen und auch die Besten der Welt Nerven zeigen. Red Bull kann bei manchen Rennstrecken sicher mitmischen. Vom Bauchgefühl her sind sie immer noch zwei, drei Zehntel hinten nach, aber man darf sie nie unterschätzen und auf einigen Strecken sind sie wirklich sauschnell. Ich hoffe, dass da ein bisschen ein Dreikampf entstehen kann. Das wäre dann schon super, wenn es mehrere mögliche Gewinner und enge Rennen gibt. Das ist, was die Fans sehen wollen.

STANDARD: Wie zuverlässig sind die Tests? Liegt nicht der Schluss nahe, dass Mercedes noch nicht alles gezeigt hat?

Wurz: Es ist ein ähnliches Bild wie im Vorjahr. Da hat jeder geglaubt, Mercedes blufft und dann war Ferrari doch extrem schnell. In den Longruns hatte Mercedes einen leichten Vorteil, aber unwesentlich. Das sind Zeitbereiche, in denen die tagtäglichen Schwankungen der Fahrer und Teams den Unterschied ausmachen können.

STANDARD: Für Laien erklärt: Wo versucht man, dieses Zehntel pro Runde aufzuholen?

Wurz: Die Formel 1 ist grundsätzlich eine Formel der Aerodynamik. Es gibt den Kompromiss aus Luftwiderstand und Abtrieb. Du kannst in ein Auto relativ viel Abtrieb hineinkonstruieren, dann bist du auf den Geraden langsam, weil du sehr viel Luftwiderstand hast. Oder du machst es umgekehrt, bist auf den Geraden pfeilschnell, aber in den Kurven langsamer. Die Aerodynamik macht sicherlich 70 Prozent der Rundenzeit aus. Weiters gibt es an der Rennstrecke selbst das Arbeiten mit den Reifen, das muss man sich ein bisschen vorstellen wie das Wachs beim Skifahren. Die Strecke ändert sich in jeder Minute aufgrund von Wind und Sonne, die den Asphalt unterschiedlich aufheizt. Dann gibt es eine chemische Reaktion mit dem Reifengummi, die man immer adjustieren und vorhersehen muss. Das macht man an der Rennstrecke, das sind die letzten 30 Prozent.

STANDARD: War die Einführung des Überrollbügel Halo aerodynamisch eine Herausforderung?

Wurz: Nein, es ist alles vorgegeben. Das Gewicht des Autos ist jetzt erhöht, aber das ist bei allen Autos gleich.

STANDARD: Sie haben ja nie ein Geheimnis daraus gemacht, den Halo zu unterstützen. War die Debatte schlussendlich viel Aufhebens um wenig?

Wurz: Ich bin ein Fan von Safety an sich. Optisch gefällt mir der Halo nicht, aber wir müssen uns immer in Erinnerung rufen, dass wir seit den Unfällen von Roland Ratzenberger und Ayrton Senna (1994) bis zu dem Unfall von Jules Bianchi (2014) keinen tödlichen Unfall hatten – Maria de Villota hier natürlich nicht zu vergessen. Die Formel 1 wurde in den vergangenen 30, 40 Jahren immer sicherer, aber weltweit immer populärer. Es gibt keine Korrelation, dass der Rennsport Leute töten oder schwer verletzen muss, um spektakulär und populär zu sein. Im Gegenteil: Es ist mit der heutigen Gesellschaft und Rechtslage für eine Dachorganisation wie die FIA nicht möglich, Sicherheitsentwicklungen zu ignorieren, nur weil es einigen Leuten optisch nicht gefällt. Da kann jeder Fan in den Foren schimpfen, aber wenn du die Verantwortung trägst, geht das nicht mehr. Dessen bin ich mir bewusst und deshalb habe ich gesagt: So ein Sicherheitsthema kann nicht unter den Tisch gekehrt werden. Persönlich würde ich andere Designvarianten des Kopfschutzes bevorzugen, aber in der Entwicklung kommt immer zuerst die Funktion und dann die Form. Jetzt hat die Formel 1 den Schritt mit dem Halo gemacht, weil es in den anderen Klassen relativ leicht einführbar ist.

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Der Halo genannte Überrollbügel war nicht immer unumstritten.
Foto: REUTERS/Albert Gea

Unter dem Strich muss ich ganz ehrlich sagen: Wenn der Sport auf der Strecke wirklich spannend ist, wir mehrere Sieger haben und die Rundenzeiten des Ersten und Letzten eng beieinander sind, dann ist 99,9% der Zuseher wurscht, ob da ein Halo, ein Jet-Fighter-Canopy oder nichts drauf ist. Wir wollen nur die besten Rennfahrer in den schnellsten Autos auf den coolsten Rennstrecken fighten sehen. Und da gehe ich soweit – eine kleine Vision für die Kritiker der ständigen Sicherheitsverbesserungen: Wenn wir die Autos sicherer machen, dann kann die FIA und der Renndirektor die Rennfahrer wesentlich schneller und aggressiver fahren lassen. Alle Sicherheits- und Geschwindigkeitseinschränkungen zielen ja nur darauf ab, dass der Sport sicher ist. Machen wir die Autos sicher, können wir in Zukunft mit 400 oder 450 km/h durch Monaco düsen, sie können sich richtig ins Auto fahren und wenn es regnet, brauchen wir keine Rote Fahne. So würde ich die Entwicklung des Motorsports eigentlich sehen und so war sie auch in den vergangenen 30, 40 Jahren. Und nochmal: Die Gesellschaft hat sich geändert, es kann kein Industriezweig der Welt mehr erlauben, dass sich Menschen verletzen oder gar töten und man muss alles Menschenmögliche tun, um das zu verhindern.

STANDARD: Die geplante Frage "Was ist das spannendste Team und warum ist es Red Bull?" haben Sie vorher schon etwas vorweggenommen. Gibt es sonst noch ein Team, auf das Sie besonders schauen?

Wurz: Red Bull ist wirklich eine lässige Paarung mit Daniel Ricciardo und Max Verstappen, da ist immer ein bisschen eine Spannung drinnen. Das Team macht das ja auch sehr gut, sie lassen beide einfach fahren und hängen nicht zuviele Teamorders und Maulkörbe um. Das taugt mir und ist erfrischend. Ich bin als Motorsportfan extrem froh, dass es Red Bull gibt, weil sie ja dem gesamten Motorsport sehr viel bringen. Ich bin auch gespannt, wie Bottas mit Hamilton umgeht. Wir wissen, wie stark Hamilton ist, wenn er mental gut drauf ist. Wenn er aber mental angeknackst ist, kann er auch nicht nur einen, sondern gleich drei Schritte zurück machen. Vielleicht schafft es Bottas, den mehrfachen Weltmeister ein bisschen unter Druck zu setzen und ähnlich wie zur Saisonmitte (der vorigen Saison, Anm.) auch den einen oder anderen Rennsieg zu ergattern.

In der vergangenen Saison kamen sich die Red-Bull-Fahrer mehr als ein Mal in die Quere.
Foto: APA/AFP/ANDREJ ISAKOVIC

STANDARD: Wer wird die vierte Kraft?

Wurz: Haas.

STANDARD: Wegen der Tests oder ist das Insiderwissen?

Wurz: Wegen der Testfahrten. Sie haben den Ferrarimotor von letztem Jahr, der ist nicht schlecht. Die Aussage ist nicht ganz richtig, aber im Prinzip haben sie einen letztjährigen Ferrari stehen, und der hat ja gut funktioniert. Sie waren in den vergangenen Jahren beim Reifeneinstellen schon sehr gut. Wenn sie standfest sind, könnten sie für Aufmerksamkeit sorgen. Sonst Renault, weil sie als Werksteam im Aufwärtstrend sind und das Leistungsdefizit schon sehr gering ist. Im Grunde ist das Mittelfeld aber fast zu eng beisammen, um es vorherzusagen.

STANDARD: Sie haben als Präsident der Fahrervereinigung GPDA tiefe Einblicke in das Drumherum. Wie unterscheidet sich das Zusammenleben mit Liberty Media von der Zeit mit Bernie Ecclestone?

Wurz: Es gibt Experten, die gewisse Abteilungen leiten und nicht nur eine Entscheidungsperson. Einige Leute im Fahrerlager leiden deshalb, weil sie sich mit einer Person, die sie über Jahre kennengelernt haben, leichter getan haben. Es gibt ein paar positive und ein paar negative Stimmen, aber unter dem Strich hat Liberty Media verstanden, was für ein Asset sie da gekauft haben. Natürlich kein einfaches Asset, es ist eine europäische Kultur, die im Geschäftsleben und auch beim Verhandeln nicht gleich ist wie die amerikanische. Aber sie wollen den Sport näher an den Fan bringen. Sie versuchen, den Sport näher zusammenzurücken, haben aber das Problem, dass es so viele alte Seilschaften, Verträge und Abmachungen gibt, dass man nicht einfach Tabula Rasa machen und von vorne anfangen kann. Das ist die Hürde, über die sie springen müssen – wenn sie das schaffen, glaube ich, dass ihre Version des Sportes durchwegs globales Wachstum finden kann. Aber zuerst müssen sie diese Hürde überspringen, die bis 2020 sehr hoch ist – bis das Concorde Agreement ausläuft und neu verhandelt wird. Bis dorthin wird es weiterhin mediales Säbelrasseln und einen Machtkampf geben.

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Alexander Wurz kannte Bernie Ecclestone schon jahrzehntelang.
Foto: REUTERS OESTERREICH/Leonhard Foeger

In Wirklichkeit sitzen wir alle in einem einzigen Boot in einem großen Ozean und können nicht anders, als diese Formel 1 gemeinsam zu formen – auch wenn es sehr viele politische Lager gibt wie überall im Topsport. Ich hoffe für den ganzen Motorsport, dass sich die Formel 1 nicht zerbröselt und selbst umbringt in der ganzen Politik, die abgeht. Das ist ganz wichtig, das haben alle Fahrer – es sind ja 100% der Fahrer Mitglied in der GPDA – gesagt: Wir müssen zu 100% für den Sport da sein und nicht für die Einzelpersonen. Wir müssen sicherstellen, dass wir die Formel 1, wie wir sie als Kinder geliebt und angebetet haben, auch in drei, fünf, zehn und zwanzig Jahren noch vorfinden. Der Fahrer geht mit den natürlichsten, saubersten Gedanken in die Saison, der will nur das, was der Fan will: Nämlich Motorsport machen und gewinnen. Es geht kein Fahrer mit zwölf Jahren in den Kartsport, um einmal Millionen zu verdienen. Nein: Ich will Profi, will der beste Rennfahrer der Welt werden. Ich glaube, dass die Fahrer sehr gut positioniert sind, die politischen Hauptspieler darauf aufmerksam zu machen, im Geschäftsleben nicht darauf zu vergessen, dass es ein Sport ist, der Millionen von Menschen rund um die Welt begeistert.

STANDARD: Was sind die kritischsten Akteure, die vielleicht noch nicht begriffen haben, dass alle im selben Boot sitzen?

Wurz: Sie wissen es eh alle, aber es ist natürlich ein mediales und politisches Säbelrasseln. Es ist nichts Anderes als bei Regierungen, Firmen oder allen anderen Sportarten. Es menschelt überall, jeder versucht, ein bisschen mehr zu haben. Im Sport sind wir grundsätzlich alle sehr ambitionierte, ehrgeizige Leute. Dann fällt das halt manchmal recht aggressiv aus, aber das ist alles normal.

STANDARD: Welche Änderungen würden Sie gerne sehen? Auch größer gedacht?

Wurz: Da wird die Zeit zu knapp, da könnten wir ein Buch drüber schreiben. Man müsste sich selbst eine Richtlinie auferlegen, wo immer im Vordergrund steht: Wir müssen die schnellsten Rennautos mit den besten Fahrern auf den coolsten Rennstrecken der Welt haben und vom ersten bis zum letzten Fahrer muss das Feld ganz knapp zusammenliegen, damit der Mensch im Vordergrund steht. Der soll der verdiente Weltmeister sein und der muss von mehr als zwei Teams pro Jahr kommen können. Dazu müsste man das politische System ändern, das über die letzten zwei Jahrzehnte entstanden ist, denn das ist in Wirklichkeit die Gefahr der Formel 1. Entscheidungen können zu einfach boykottiert werden, die FIA kann das Reglement nicht mehr alleine machen. Das Wachstum hat mit der globalen Finanzkrise zu stark gelitten, das System eh ein bisschen im Umbruch. Man sagt, wir müssen das ein bisschen besser machen, aber das politische Votingsystem ist nicht fit für politisches Wachstum. Das ist jedem klar – aber keiner will aufgeben.

STANDARD: Denken Sie, dass Liberty Media zu richtig gravierenden Änderungen bereit wäre? Zum Beispiel, Serienwägen einzuführen?

Wurz: Ja. Dann musst du entweder ein extrem striktes Reglement und ein Einheitschassis machen oder du gehst zum Budget Cap. Da wird schon seit vielen Jahren diskutiert, wie du es umsetzt. Da muss einer mit der Kraft und Macht, aber auch mit dem nötigen Geschick durchgreifen und das umsetzen.

STANDARD: Wie sieht ein Formel-1-Rennen im Jahr 2025 aus?

Wurz: Extrem spannend.