Die Zukunft des ORF entscheidet sich wahrscheinlich nicht in den Direktionen, sondern in den Büros von Politikern.

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Wien – Öffentlich-rechtlicher Rundfunk muss dem Publikum erklären, wofür es ihn gibt und wofür die Bürgerinnen und Bürger Rundfunkgebühren zahlen, und das Publikum verstärkt einbinden: Darin waren sich Journalisten, Wissenschafter, Aktivisten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz einig in einer Diskussion über Rundfunkgebühren nach der Schweizer "No Billag"-Volksabstimmung. Am deutlichsten formulierte die Position Dieter Bornemann, Sprecher der ORF-Redakteurinnen und -Redakteure.

"Klarmachen, wofür es uns gibt"

Eine Volksabstimmung über die GIS-Gebühren würde für dieses Finanzierungsmodell des ORF ausgehen, erwartet Bornemann – eine Minderheitenmeinung, räumte er am Freitag bei der von Presseclub Concordia, Forum Journalismus und Medien (FJUM) und Medienhaus Wien organisierten Podiumsdiskussion ein.

Bornemann erklärt seine Zuversicht so: "Wenn wir es nicht schaffen, die Leute zu überzeugen, dass wir wichtig sind für dieses Land, dann haben wir es auch nicht verdient zu überleben. Wenn wir nicht klarmachen können, warum es uns gibt und wofür sie 20 bis 25 Euro im Monat zahlen, dann haben wir es nicht verdient, als öffentlich-rechtlicher Rundfunk zu überleben."

Von dem Betrag gehen nur zwei Drittel an den ORF, ein Drittel an Bund und Länder, erinnerte ORF-Chronikchefin Brigitte Handlos. Auch das kommuniziere der ORF zu wenig.

"Totale Abhängigkeit von der Politik"

Bornemann rechnet damit, dass es die Regierung von ÖVP und FPÖ "nicht auf eine Volksabstimmung ankommen lässt", sondern den ORF – DER STANDARD berichtete mehrfach – künftig statt aus Rundfunkgebühren aus dem Staatsbudget finanzieren will. Diese Woche erklärte Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) im Verfassungsausschuss des Nationalrats: Eine Finanzierung des ORF aus dem Budget könne er sich ebenso vorstellen wie die Beibehaltung der Gebührenfinanzierung. In der EU gebe es verschiedene Modelle, alle hätten ein Für und Wider.

Finanzierung aus dem Staatsbudget bereitet Bornemann "große Sorge", größere jedenfalls als eine Volksabstimmung über die Rundfunkgebühren in Österreich: "Wenn man den ORF aus dem Staatsbudget finanziert, dann wären wir auch ein Staatssender. Das heißt in Wahrheit Verstaatlichung. Wenn der ORF-Generaldirektor jedes oder jedes zweite Jahr mit dem Bundeskanzler und dem Finanzminister verhandeln muss, wie viel Budget er bekommt, dann bedeutet das totale Abhängigkeit von der Politik, das ist das Problem."

Liquidation des Rundfunks

Roman Mezzasalma, Leiter der Nachrichtenredaktion des Schweizer Radios SRF, wäre am Freitag nicht in Wien gewesen, wenn die "No Billag"-Abstimmung eine Mehrheit gegen Rundfunkgebühren ergeben hätte: "Dann wären für diesen Freitag Mitarbeitergespräche angesetzt gewesen für den Fall, dass wir die Liquidation einleiten müssen." Die Liquidation des öffentlichen Schweizer Rundfunks, der sich derzeit zu drei Vierteln über Gebühren finanziert.

Für Mezzasalma bedeutet das Nein zu "No Billag" kein Ja zum Status quo der SRG: "Wir tun gut daran zu überlegen, wie wir auf die Kritik reagieren und uns weiterentwickeln in einem ständig sich verändernden Medienumfeld."

"Öffentlich-Rechtliche haben sich sicher gefühlt"

Nicht allein die SRG habe zu wenig klargemacht, wofür es sie gibt und was sie leistet, sagt Franz Fischlin, Journalist und Moderator der "Tagesschau" im Schweizer Fernsehen SRF. "Die Öffentlich-Rechtlichen haben sich in den letzten Jahren praktisch im Sicheren gefühlt: 'Es ist doch klar, dass die Gesellschaft weiß, warum es uns braucht, das müssen wir nicht erklären.'" Auf diesem Boden sei in der Schweiz die "No Billag"-Initiative entstanden.

"Monate vor der Abstimmung zu sagen, wir machen etwas Wertvolles für die Gesellschaft, ist zu spät", sagt Fischlin. "Wir müssen transparent machen, was wir machen, sagen, warum wir gewisse Gäste einladen und Themen aufgreifen und andere nicht."

"Machen selben Fehler wie SRG"

"Wir machen denselben Fehler wie die SRG", erklärte ORF-Redakteurssprecher Bornemann. "Wir konzentrieren uns darauf, unsere Arbeit gut zu machen, haben uns in der Idee verfangen: Es würden nicht jeden Tag eine Million Menschen die 'ZiB' sehen, wenn diese Menschen uns nicht glauben und vertrauen würden. Das ist falsch. Wir müssen rausgehen und erklären, warum es den ORF gibt und wir das tun."

Bornemann fordert seinen Optimismus über die Gebührenfinanzierung in den Foren von derStandard.at/Etat heraus, sagt er in der Wiener Concordia: "Wenn's mir zu gut geht, schau ich in das STANDARD-Forum, dort lese ich dann von Abschaffung und Zahlen für etwas, das ich nicht sehen möchte." Der Redakteurssprecher empfiehlt der Öffentlichkeitsarbeit des ORF, "sich in die Foren einzuklinken und den ORF zu erklären".

Misstrauische in die Redaktionen holen

"Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss jetzt beweisen und begründen, warum er was macht und warum das weit über dem liegt, was ein privates Presse- oder Medieninstitut zu leisten in der Lage ist", pflichtete Nikolaus Brender bei. Brender agierte der CDU als ZDF-Chefredakteur zu unabhängig und wurde 2010 abgelöst.

Clemens Verenkotte, Leiter des ARD-Studios Wien/Südosteuropa, will es beim Erklären nicht belassen: "Wir müssen die Menschen für zwei, drei Tage in die Redaktionen holen, vor allem aus jenen Kreisen, die mit sehr großem Misstrauen herangehen."

Solidarisches Finanzierungssystem

Für den Schweizer Kommunikationswissenschafter Vinzenz Wyss bedeutet das Ergebnis der Schweizer Rundfunk-Volksabstimmung ein "Ja für ein solidarisches Finanzierungssystem, in dem man einen Beitrag zahlt, selbst wenn man das Angebot nicht nutzt".

Wyss spricht sich gegen einen "total detaillierten" öffentlich-rechtlichen Auftrag aus, "schon gar nicht" solle eine politische Instanz ihn festlegen. Es sei Aufgabe der jeweiligen Rundfunkorganisation, diesen Service public im Detail zu klären, "das muss der Akteur machen".

Was hat ORF-Redakteurssprecher Bornemann aus der Schweizer "No Billag"-Abstimmung gelernt? "Wie schnell ein System ins Rutschen kommt, wenn jemand im Hintergrund antaucht." Die ORF-Führung habe "vielleicht zu sehr den Schulterschluss mit der Politik gesucht" – die Belegschaft des ORF müsse "den Schulterschluss mit der Zivilgesellschaft suchen". (fid, 16.3.2018)