Julian Edlinger läuft vorneweg, muss sich aber immer wieder nach seiner Schwester Carina umschauen.

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Die Edlingers holten in Pyeongchang in zwei Rennen zweimal den vierten Platz. Nach dem ersten war das nicht selbstverständlich.

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Wenn aus Schrecksekunden eine Schreckstunde wird, kann man meistens schon von einem Drama sprechen. Zumindest für Außenstehende. Eben für Außenstehende hat ziemlich wild ausgesehen, was sich nach dem 15-Kilometer-Rennen der Paralangläufer bei den Paralympics am Montag abgespielt hat: Das österreichische Duo Carina und Julian Edlinger ist im Ziel, Carina dabei völlig am Ende, ausgepumpt. Julian merkt, dass seine jüngere Schwester Probleme hat, und muss sie aus dem Zielbereich tragen. Vor einem Zelt kümmert man sich um sie, Carina kann selbst nicht stehen oder sich bewegen. Es vergeht Zeit, die sich wie eine Ewigkeit anfühlt – für Außenstehende.

"Wir kennen das: Zwei Wochen vor den Paralympics beim Trainingscamp ist dasselbe passiert. Ich weiß, wie ich damit umgehen muss", sagt Julian später. Seine Schwester ergänzt: "Mein ganzer Körper macht zu, es sind schlimme Schmerzen, weil alles verkrampft." Der vierte Platz ist es am Ende geworden. Die Edlingers sind ein bisschen enttäuscht, aber auch froh darüber, überhaupt ins Ziel gekommen zu sein.

Julian (21) und Carina (19) Edlinger aus Salzburg sind Geschwister und ein Sportteam. Sie nennen sich – naheliegend – Team Edlinger und treten im sehbehinderten Langlauf an. Julian ist der Guide, übernimmt also die Führung. Bei Carina wurde 2015 ein seltener Gendefekt diagnostiziert, ihre Sehkraft verschlechterte sich auf unter zwei Prozent. Carina ist fast blind, erkennt Schatten und Umrisse. Wenn die Edlingers in der Loipe sind, läuft Julian vorneweg, er gibt Kommandos, motiviert und treibt an. Das zahlt sich aus: 2017 gewannen sie den Gesamtweltcup, die Erwartungen für die Paralympics waren hoch.

"Ich wusste schon im ersten Anstieg, dass etwas nicht stimmt", sagte Julian nach dem Rennen. Carina musste sich zwei Tage erholen, der Start im Sprint am Mittwoch war nicht unbedingt gewiss. Es sollte doch klappen. Ohne Trainingseinheit trat das Team Edlinger im Sprint an.

Blecherner Anstieg

Vor dem Start in den Prolog winkt Carina glücklich: "Ich war einfach nur froh, wieder langlaufen zu können. Sonst habe ich an nichts gedacht." Es läuft gut, sie qualifizieren sich souverän fürs Semifinale. Die Aufgabe für Guide Julian ist eigentlich für Mammuts. Er passt sich dem Tempo an, gibt Kommandos und dreht sich dabei immer wieder zu seiner Schwester um. Dabei muss er auch noch langlaufen. Ein Konzentrationsakt. Trotzdem: "Mir gehen während eines Rennens viele Dinge durch den Kopf", sagt er.

Auch das Semifinale läuft gut. Die Edlingers stehen nach einem "überraschend schnellen Heat" im Finale. Und wenn man schon einmal dort ist, "will man natürlich auch eine Medaille", sagt Julian. Aber es sollte nicht sein. Carina kommt bei einem Anstieg zu Sturz, eine kleine Unachtsamkeit, und sie liegt im Schnee. Später weiß sie "selbst nicht so genau, wie das passiert ist". Die Aufholjagd bleibt eine ebensolche, vor der letzten Abfahrt ist der Abstand zu groß: "Ich habe mir nur mehr gedacht: Vielleicht pickt's noch ein Team in der Abfahrt."

Carina und Julian wissen bei der Einfahrt auf die Zielgerade, dass es der vierte Platz wird. Carina genießt die Anfeuerungen aus dem Publikum, beide laufen langsam ins Ziel. Dort hat die 19-Jährige keine Beschwerden, kann lachen. Ein Rennen am Samstag bleibt noch. Und wohl noch einige Paralympics. (Andreas Hagenauer aus Pyeongchang, 16.3.2018)