Es gab schon kürzere Schrecksekunden: Zwei Tage lang lavierte US-Präsident Donald Trump Anfang der Woche herum. Er musste überlegen, wie der Giftanschlag mit der Chemiewaffe Nowitschok nahe London zu beurteilen sei. Am Montagabend teilte seine Sprecherin mit, man verurteile selbstverständlich die Tat. Da war es schon eine Woche her, dass man Ex-Agent Sergej Skripal und seine Tochter mit dem Nervengift in einen kritischen Zustand versetzt hatte und ein Polizist und ein Dutzend Passanten nach Kontakt damit im Spital gelandet waren. Den Vorwürfen gegen den Kreml, die London kurz zuvor erhoben hatte, wollte sich die Sprecherin aber nicht dezidiert anschließen – dazu wisse man nicht genug. Tags darauf sagte Trump selbst, man müsse weiter nachforschen, bevor man Moskau verurteile – "wenn wir den Fakten zustimmen, werden wir danach handeln". Dann segneten die USA doch noch eine gemeinsame Verurteilung Russlands durch die Nato ab. Diese setzt auf starke Worte – das muss vorerst reichen.

Putin-Bewunderer im Weißen Haus

Auch daher klingt es hohl, wenn die britische Regierungschefin Theresa May nun beteuert, dass ihr Land in der Krise nicht alleine stehe. Vor allem, weil das Zögern des engsten Verbündeten kein Einzelfall ist – und nur Symptom eines Problems, das es schon lange gibt. Den Zusammenhalt stört längst nicht nur der Putin-Bewunderer im Weißen Haus. Jedes Mal wieder entzündet sich eine Debatte in der EU, wenn es darum geht, die Ukraine-Sanktionen zu bestätigen – obwohl sich am Verhalten Russlands in seinem Nachbarland kaum etwas ändert. Und oft ist es nicht Überzeugung, sondern Europa-Räson, die Staaten dazu bringt, sie überhaupt zu verlängern. Auch Wien übt gern Kritik.

Die Gründe sind leicht nachvollziehbar. Viele davon sind wirtschaftlicher Natur, aber andere sind politisch. Sie sind teils schwer von der Hand zu weisen. Dazu zählt die Einsicht, dass sich niemand Streit mit einem Land wie Russland wünschen kann. Dazu gibt es zu viele Verbindungen. Und eigentlich könnte es viele gemeinsame Interessen geben.

Ressentiments wachsen

Doch die ständigen öffentlichen Zweifel zeigen dem Kreml, dass sein unnachgiebiger Kurs bald Früchte tragen könnte, dass er mit der Zuspitzung der Konfrontation genauso weit kommt wie mit konstruktivem Verhalten. Das behindert jede Annäherung, obwohl beide Seiten sie längst als vorteilhaft erkannt haben – und obwohl sich niemand einen Rückfall in den Kalten Krieg wünschen kann. Wenn internationale Normen straffrei verletzt werden können, wachsen die Ressentiments – auf beiden Seiten.

Für einen klareren Kurs müsste sich "der Westen" seiner Werte aber auch bewusster werden. Denn viel zu oft hat Russland recht, wenn es erwidert, dass auch EU_und Nato sich häufig nicht an jene Normen halten, die sie nun verteidigen wollen. In zahlreichen Fällen dulden sie zumindest Verstöße – etwa dann, wenn Verbündete sie begehen:_Beispiele gibt es von Libyen über den Jemen bis zur Türkei. Und längst nicht alle EU-Staaten sind sich einig, welche Werte es sind, die es zu verteidigen gilt: Ist es wichtiger, das "Abendland" mit harten Grenzen zu schützen, oder geht es darum, liberale Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen? Bei weitem nicht nur Trump hält Ersteres für wesentlicher.

Solange in solchen Fragen keine Einigkeit herrscht, gibt es diese insgesamt nicht. Und das schafft politische Unschärfe. Moskau kommt das zupass – auch wenn es Stabilität predigt.(Manuel Escher, 14.3.2018)