Es gehe nicht um eine Aushebelung des Umweltschutzes, sondern um ein Gleichgewicht mit dem Standort, sagt Georg Kapsch.

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STANDARD: Die türkis-blaue Regierung wurde von Wirtschaftskreisen mit Vorschusslorbeeren bedacht. Die von der Industrie geforderten großen Strukturreformen sind bis jetzt aber kaum ein Thema gewesen. Ist die Euphorie abgeklungen?

Kapsch: Die Regierung bereitet derzeit relativ viel vor, um dann mit sicherer Umsetzung an die Öffentlichkeit zu gehen. Wir kämpfen ja um die Beschäftigung und damit um die Menschen in diesem Land. Wir könnten auch in anderen Ländern entwickeln und produzieren, aber dann haben wir die Arbeitsplätze nicht hier.

STANDARD: Heißt das, Sie glauben an den großen Wurf, etwa bei Doppelgleisigkeiten oder Pensionen?

Kapsch: Es ist richtig, dass bei den Themen Pensionen und Staatsreform nicht allzu viel im Regierungsprogramm zu finden ist. Ich glaube dennoch, dass hier etwas passieren wird, weil die Systeme nicht nachhaltig tragfähig sind. Was sehr wohl geplant ist, ist die Zusammenlegung der Sozialversicherungen auf fünf Körperschaften. Das ist schon konkret.

STANDARD: Da gibt es aber großen Widerstand, unter anderem aus den Ländern.

Kapsch: Wobei ich das überhaupt nicht verstehe. Warum muss ein jedes Bundesland eine Sozialversicherung haben? Warum soll eine Kasse, die positiv operiert, mit einer, die Defizite macht, nicht verschmolzen werden? Es gibt ein Sozialsystem für die Menschen, die hier leben. Dass man für die gleichen Beiträge je nach Land unterschiedliche Leistungen erhält, das kann es ja nicht sein.

STANDARD: Beschlossen wird die Verankerung des Wirtschaftsstandorts in der Verfassung. Was sagen Sie zur Kritik, dass dadurch Umweltaspekte ausgehebelt werden?

Kapsch: Dass der Tierschutz und Umweltschutz Staatsziele sind, die Wirtschaft nicht, das kann's nicht sein. Nehmen Sie nur die Beispiele dritte Piste am Flughafen oder Lobautunnel. Wir müssen bestimmte Projekte durchboxen können. Da geht es nicht um eine Aushebelung des Umweltschutzes, sondern um eine Beschleunigung von Verfahren. Und darum, dass Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit irgendwo berücksichtigt werden.

STANDARD: Die Verantwortung wird an Gerichte delegiert, die mit divergierenden Zielen konfrontiert sind. Erhöht das nicht die Unsicherheit?

Kapsch: Man kann auch die anderen Ziele wie Klimaschutz oder Umweltschutz aus der Verfassung herausnehmen. Aber das eine drinnen zu haben und das andere nicht: Das ist nicht okay. Es kommt auf das Gleichgewicht an.

STANDARD: Umwelt wiegt schwerer?

Kapsch: Absolut, allein die erstinstanzliche Entscheidung zur dritten Piste spricht Bände. Da heißt es, es gehe wertvolles Ackerland verloren. Wegen der paar Hektar? Das ist ja alles lächerlich. Wenn die Flugzeuge in Bratislava anstatt in Wien landen, wird deshalb nicht der Flugverkehr geringer. Wir können natürlich Industrie oder Verkehr abdrehen. Aber das bringt einen gewaltigen Wohlstandsverlust. Dann muss man den Menschen aber auch sagen, dass sie weniger Arbeit haben und weniger verdienen.

STANDARD: In drei Wahlen wurden die Landeshauptleute gestärkt. Wird das den Widerstand gegen Föderalismusabbau erhöhen?

Kapsch: Je stärker sich die Landeshauptleute fühlen, desto größer wird ihr Widerstand. Ich glaube aber auch, dass einige verstanden haben, dass es so nicht geht, dass jedes Bundesland für sich agiert.

STANDARD: Wie sollte da vorgegangen werden?

Kapsch: Zuerst muss man feststellen, was zentral und was dezentral gemacht wird. Dann können Bund, Gemeinde oder Land entscheiden, wer wofür zuständig ist.

STANDARD: Wenn dann – wie bei der Schule – alle mitreden wollen?

Kapsch: Es sollte schon, wo sinnvoll, möglichst viel zentral geregelt werden. Die Schule sollte beim Bund sein, und fertig – und zwar vom Kindergarten startend bis ganz hinauf. Es kann ja nicht sein, dass ein Kindergarten in Westösterreich bis 14 Uhr und in Wien bis 18 Uhr geöffnet hat. Wenn der Kindergarten so früh zusperrt, heißt das nichts anderes als: Frauen an den Herd, in manchen Fällen auch Männer. Damit zerstören wir Fortschritte in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aber das ist offensichtlich auch die Absicht einiger Menschen. (Andreas Schnauder, 7.3.2018)