Die Reduzierung der Baunormen steht seit Jahren zur Diskussion, auch die neue Regierung will sie umsetzen. Die Gemeinnützigen sind für "Tabula rasa".

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Wien – Kleine Häuser, Hochhäuser, flache Dächer, rote Giebeldächer, breite Straßen, schmale Gässchen, Grünanlagen, die Donau. Von oben sieht Wien aus wie ein riesiger Fleckerlteppich. Diese Aussicht hatten die Teilnehmer des 60. STANDARD-Wohnsymposiums, als sie vergangene Woche in der Sky Lounge der Wirtschaftskammer in Wien darüber diskutierten, ob die Wohnpolitik der türkis-blauen Bundesregierung eher Flickwerk oder Neustart ist – und was von Baulandmobilisierung bis zur Mietrechtsreform zu tun wäre.

Drei Seiten zum Wohnen

Knapp drei von 182 Seiten des Regierungsprogramms widmen sich dem Thema Wohnen, das in der vorigen Regierung durch ideologische Differenzen blockiert war. Die Eckpunkte: mehr Eigentum, leistbares und soziales Wohnen forcieren, Einkommenschecks der Mieter im sozialen Wohnbau, Aufhebung des Verbots des Lagezuschlags in Gründerzeitvierteln und ein neues Mietrecht.

Natürlich sei jedes Regierungsprogramm ein Flickwerk und habe das Potenzial eines Neustarts, das aktuelle ist für die ehemalige Grünen-Abgeordnete und Wohnbausprecherin Gabriela Moser aber "in Nebelschwaden verhüllt". Es fehlten klare Ziele und Vorschläge. Etwa könne sie sich gerade im Mietrecht, wo eine parlamentarische Enquete und ein Konvent geplant sind, direkte Demokratie vorstellen, "wenn sich die Experten nicht eins werden". Der Mietrechtsexperte des Justizministeriums, Johannes Stabentheiner, weist wegen der unkonkreten Maßnahmen beim neuen Mietrecht darauf hin, dass "man sehen muss, wohin die Reise geht".

"Reformwille"

Für Ulrike Rabmer-Koller, Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer, ist "nach vielen Jahren des Stillstands ein Reformwille erkennbar". Viele Themen, die von der Wirtschaft gefordert wurden, seien im Programm enthalten, etwa Investitionsanreize, kostengünstigeres Bauen und der verstärkte Einsatz heimischer Baustoffe.

Auch der Obmann des österreichischen Gemeinnützigenverbands Karl Wurm kann im Regierungsprogramm "sehr viel Vernünftiges" in puncto Gemeinnützigkeit erkennen – etwa, dass nicht auf deren stille Reserven zurückgegriffen werden darf. Das begrüßt auch Andreas Sommer, Wohnpolitikexperte im Wirtschaftsministerium, der positiv hervorhebt, dass Pensionskassen in den gemeinnützigen Wohnbau investieren dürfen. Jedoch kann er nicht nachvollziehen, warum die Einkommensprüfung für soziales Wohnen wieder kommen soll.

Weniger Normen

Die Reduzierung der Baunormen steht seit Jahren zur Diskussion, auch die neue Regierung will sie umsetzen: "In Anlehnung an das, was mit den Gesetzen passiert, sollte auch hier Tabula rasa gemacht und geschaut werden, welche man braucht", sagt Wurm. Denn diese würden Baukosten in die Höhe treiben.

Stefan Gara von den Wiener Neos sieht in der Deregulierung die Chance, urbane Labore zu entwickeln, um neue Baukonzepte auszuprobieren.

Kompetenz-Verlagerung

Eines wurde in zahlreichen Wortmeldungen klar: Reformen sind nur in Zusammenarbeit mit den Bundesländern möglich, die bei Bauordnung, Raumordnung oder Wohnbauförderung das Sagen haben – oder die Verlagerung vieler dieser Kompetenzen zum Bund. Christian Aulinger, Präsident der Bundeskammer der ZiviltechnikerInnen, fordert eine bundesweite Raumplanung und wirkungsvolle Konzepte zur Verdichtung des Wohnbaus, um den in Österreich besonders hohen Flächenverbrauch zu verringern.

Während Bauland knapp wird, steigt die Nachfrage nach Wohnungen. Zentrales Thema des vom Fachmagazin "Wohnen Plus" mitorganisierten Symposiums war daher die Baulandmobilisierung. Für Alfred Riedl, Präsident des Gemeindebundes, wäre hier eine bundesweite Regelung nötig. Denn gerade auf dem Land habe man "einen Baulandüberhang, der nicht mobilisiert werden kann, was die Grundpreise steigen lässt". Nötig sei hier eine bessere Finanzierung von Maßnahmen zum Flächenmanagement.

Umstrittenes Eigentum

Auf lange Sicht die günstigste Wohnform ist laut Regierungsprogramm aber das Eigentum, was nicht alle so sehen. Der SPÖ-Nationalratsabgeordnete Josef Muchitsch plädierte dafür, den hohen Mietanteil in Österreich zu belassen. Zwar ist Eigentum eine geeignete Wertanlage, allerdings entspricht die Miete eher der Lebensrealität, vor allem der jungen, mobilen Bevölkerung.

Für Christian Bartok, Leiter der Mieterhilfe des Wohnservice Wien, müsse das Mietrecht an die Herausforderungen der heutigen Zeit angepasst werden, dürfe aber nicht zusätzliche soziale Probleme durch Gentrifizierung schaffen. Ein Lagezuschlag würde zu hohen Mieten entlang des Gürtels führen und damit eine Dynamik wie in Paris auslösen: Jene, die es sich im Zentrum nicht mehr leisten können, ziehen an den Stadtrand, die soziale Durchmischung sinkt.

Was die Regierung tatsächlich umsetzen kann und soll, blieb offen. Aber in einem waren sich die meisten Teilnehmer des Symposiums einig: Das Regierungsprogramm befinde sich genau in der Mitte von Flickwerk und Neustart. (Selina Thaler, 7.3.2018)