Neben diesen gesetzgeberischen Ansätzen ist die Förderung des Verständnisses für wirtschaftliche Zusammenhänge und das Funktionieren der Finanzmärkte ("Financial Literacy") in der österreichischen Bevölkerung entscheidend.

Illustration: Davor Markovic

Sowohl das Regierungsprogramm der Koalitionsparteien als auch die bisherigen Stellungnahmen der maßgeblichen Vertreter legen besonderes Augenmerk auf die Stärkung des Kapitalmarkts – als zentraler Teil einer gesamtheitlichen Strategie zur Förderung des Wirtschaftsstandorts.

Als wesentliche Maßnahme plant die Regierung die Öffnung des Dritten Marktes (Multilaterales Handelssystem, MTF) der Wiener Börse für den Mittelstand und Start-ups. Seit dem Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz 2011 (GesRÄG 2011) haben nur mehr "börsennotierte" Aktiengesellschaften die Möglichkeit, Inhaberaktien auszugeben – das heißt, die Aktienurkunden lauten auf den jeweiligen, nicht namentlich bestimmten "Inhaber". Alle anderen Gesellschaften dürfen ausschließlich Namensaktien ausgeben: Die Aktienurkunden lauten auf einen namentlich bezeichneten Aktionär.

Als "Börsennotierung" im Sinne des GesRÄG 2011 gilt gemäß § 3 Aktiengesetz jedoch nur die Notierung an einem "geregelten" Markt, nicht der Handel im Rahmen eines MTF. Europarechtlich war und ist eine derartige Einschränkung auf geregelte Märkte nicht geboten. Allfällige daraus resultierende Bedenken hinsichtlich Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung können und sollen über andere Bestimmungen ausreichend adressiert werden.

Da für viele mittelständische und wachstumsorientierte Unternehmen eine Notierung an einem geregelten Markt aufgrund der umfassenden Emittentenpflichten und Regulierungen ökonomisch nicht sinnvoll ist, führt die derzeitige Regelung dazu, dass eine große Anzahl von Marktteilnehmern gänzlich vom Kapitalmarkt für Eigenkapitalinstrumente abgeschnitten ist. Eine Notierung am Dritten Markt mit Namensaktien ist auf Basis der bestehenden Regelungen und Börseninfrastruktur in der Praxis nicht durchführbar.

Lücke schließen

Eine Möglichkeit der Erleichterung des Zugangs von (vor allem mittelständischen) Unternehmen zum Dritten Markt wäre daher, dass Unternehmen, deren Aktien zum Handel im Rahmen eines MTF zugelassen sind, auch Inhaberaktien ausgeben dürfen. Profiteure einer solchen Maßnahme könnten vor allem aufstrebende Klein- und Mittelbetriebe sowie Start-ups sein, die bereits die erste(n) Finanzierungsrunde(n) erfolgreich hinter sich gebracht haben.

Während in Österreich für die Frühphase von Unternehmungen durchaus ein ausreichender Pool von Investoren sowie eine Reihe von – auch im internationalen Vergleich attraktiven – Förderungen verfügbar sind, besteht hinsichtlich der Finanzierung für die weiteren Phasen häufig eine Lücke. Diese könnte jedoch in vielen Fällen durch eine Notierung am Dritten Markt geschlossen werden.

Flankierend dazu sieht das Regierungsprogramm weitere – aus Sicht der wirtschaftsrechtlichen Praxis durchaus begrüßenswerte – Maßnahmen im Kapitalmarktrecht vor. Dazu zählen etwa die Verminderung des rechtlichen Aufwands und der Gebühren für Börsengänge (IPOs), die Modernisierung des Kapitalmarktrechts durch ein harmonisiertes Pfandbriefgesetz und die Schaffung eines Schuldverschreibungsrechts sowie weitere Erleichterungen des Prospektrechts.

Insolvenzen verhindern

Neben diesen kapitalmarktrechtlichen Maßnahmen im engeren Sinn plant die Regierung unter anderem auch eine Evaluierung des 1997 in Kraft getretenen Unternehmensreorganisationsgesetzes (URG), mit dem Insolvenzen verhindert werden sollten. Denn in der Praxis wurde vom Unternehmensreorganisationsverfahren als Instrument der vorinsolvenzlichen Sanierung so gut wie gar nicht Gebrauch gemacht – eine klare Verfehlung des legistischen Ziels des URG.

Insbesondere vor dem Hintergrund europarechtlicher Entwicklungen und Diskussionen – siehe dazu vor allem den Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission über präventive Restrukturierungsmaßnahmen (COM 2016) – ist eine Diskussion über Möglichkeiten zur frühzeitigen Restrukturierung und Restschuldenbefreiung vor Eröffnung eines eigentlichen Insolvenzverfahrens ausdrücklich zu begrüßen. Letztlich ist auch ein zeitgemäßer Umgang mit dem "Scheitern" unternehmerischen Handelns Ausdruck eines für Investoren attraktiven und modernen Wirtschaftsstandorts.

Gebühren abschaffen

Aus der Sicht der Praxis und der Wirtschaft zu befürworten ist außerdem die im Regierungsprogramm in Aussicht gestellte Evaluierung der Rechtsgeschäftsgebühren mit dem "Ziel der Abschaffung".

In der Tat ist das Gebiet der Rechtsgeschäftsgebühren ein nahezu unüberschaubarer und kaum nachvollziehbarer Dschungel von Regelungen, die einerseits zahlreiche Fallstricke und Rechtsunsicherheiten für Unternehmen bergen, andererseits durch aufwendige Konstruktionen in weiten Teilen eine Optimierung bzw. Vermeidung von Gebühren erlauben. Es bleibt daher abzuwarten, ob und inwieweit dieses Ziel tatsächlich von der Regierung verwirklicht wird.

Wenngleich eine abschließende Bewertung der einzelnen Vorhaben (naturgemäß) noch nicht möglich ist, sind viele der im Regierungsprogramm identifizierten und durchaus ambitionierten Ansätze im Bereich des Kapitalmarkt- und Wirtschaftsrechts ausdrücklich zu begrüßen.

Neben diesen gesetzgeberischen Ansätzen ist für eine langfristige Stärkung des österreichischen Wirtschaftsstandorts und Kapitalmarkts jedoch vor allem eines entscheidend: die Förderung des Verständnisses für wirtschaftliche Zusammenhänge und das Funktionieren der Finanzmärkte ("Financial Literacy") in der österreichischen Bevölkerung, die Geldanlagen an der Börse zum Großteil immer noch ablehnt.

Nötig ist vor allem ein Kulturwandel dahingehend, dass ein funktionierender Kapitalmarkt im öffentlichen Bewusstsein als Chance für alle und nicht als potentiell gefährliche Spielwiese für dubiose Glücksritter begriffen wird. Die langfristige Erreichung dieses Ziels ist aber nicht allein Verantwortung dieser oder künftiger Regierungen, sondern kann nur im Zusammenspiel aller gesellschaftlichen Akteure erreicht werden. (Marco Steiner, Josef Schmidt, 8.3.2018)