Schatzmeister Dietmar Nietan (links) und der kommissarische SPD-Chef Olaf Scholz bei der Verkündung des Ergebnisses am Sonntagmorgen im Willy-Brandt-Haus. Die Beteiligung lag bei 78,39 Prozent und war damit fast viermal so hoch wie das erforderliche Quorum von 20 Prozent. 66 Prozent stimmten für die Groko.

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'War das jetzt so schlecht? Für einen kurzen Moment herrscht am Sonntagmorgen im Berliner Willy-Brandt-Haus Verwirrung. Soeben hat – vor rund 100 Mitarbeitern der SPD-Zentrale – Schatzmeister Dietmar Nietan das Ergebnis des Mitgliederentscheids bekanntgegeben: 66 Prozent für die Groko.

Das hätte viel knapper ausgehen können. Aber warum jubelt dann niemand? Auch der kommissarische SPD-Chef Olaf Scholz spricht eher geschäftsmäßig, er ist allerdings generell ein zurückhaltender Hanseat.

Offenbar, so hört man nachher, wurde die Order ausgegeben: Kein Jubelgeschrei bitte! Denn es ist ja keine hundertprozentige Zustimmung. Ein Drittel der SPD-Mitglieder wollte die große Koalition weiterhin nicht. Man möchte die Gräben nicht weiter vertiefen, weshalb Scholz auch erklärt, die Partei sei in den vergangenen Wochen zusammengewachsen.

Das mag man allerdings nicht so ganz glauben, denn Juso-Chef Kevin Kühnert kommentiert das Ergebnis so: "Bei mir und vielen Jusos überwiegt heute zweifelsohne die Enttäuschung." Er kündigt an: "Wir werden der Regierung auf die Finger schauen – der einen wie der anderen Seite." Kühnert war wochenlang quer durch Deutschland getourt, um im Rahmen der No-Groko-Kampagne für ein Nein der Basis zu werben.

Erleichtert hingegen ist die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die – ebenso wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier – von Scholz noch vor der Pressekonferenz telefonisch über das Ergebnis informiert wurde. "Ich gratuliere der SPD zu diesem klaren Ergebnis und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit zum Wohle unseres Landes", ließ Merkel via Twitter wissen. Auch die CSU ist erfreut, dass die Hängepartie nun ein Ende hat. Das Votum sei "eine gute Grundlage für eine stabile Bundesregierung".

Bundespräsident am Zug

Bundespräsident Steinmeier wird Merkel heute, Montag, dem Bundestag zur Wahl als Bundeskanzlerin vorschlagen. "Es ist gut für unser Land, dass diese Phase der Unsicherheit und Verunsicherung vorbei ist", erklärt er.

Bis zur Wahl im Parlament werden aber noch ein paar Tage vergehen. Voraussichtlich am 14. März tritt der Bundestag zusammen, um – fast ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl – die Kanzlerinnenwahl zu erledigen.

Vor allem die SPD hat bis dahin noch einiges zu tun. Zwar gibt es jetzt ein prinzipielles Ja zur großen Koalition, doch die rote Ministerliste liegt noch nicht vor. Sechs Posten bekommen die Sozialdemokraten, kein einziger ist schon offiziell bestätigt. Man kann davon ausgehen, dass Scholz der neue Finanzminister- und Vizekanzler wird. Doch wie die anderen Ressorts verteilt werden, ist noch unklar.

Sigmar Gabriel hat immer klargemacht, dass er gerne Außenminister bleiben möchte. Und der ehemalige SPD-Chef Martin Schulz macht ihm das Amt nach seinem Rückzug nun ja nicht mehr streitig. Ein rotes Ticket für die Weiterfahrt in der Groko dürften der bisherige Justizminister Heiko Maas und Arbeitsministerin Katarina Barley haben. Bis zum 12. März soll in der SPD über die Liste Klarheit herrschen.

Am Montag verkündet CSU-Chef Horst Seehofer, wen er mit von München nach Berlin nimmt. Er selbst wird ja Innenminister und bekommt in dieses Ressort auch noch die Agenden für "Heimat". Die Staatskanzlei in München verlässt Seehofer offenbar mit gemischten Gefühlen. Er sei hier schon "ordentlich demontiert worden", räumte er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung ein. Demnächst wird er auch das Amt des Ministerpräsidenten an seinen Nachfolger Markus Söder (CSU) übergeben.

Erleichterung in der EU

In Berlin bekommt die CSU das Verkehrsministerium, als Chef ist CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer im Gespräch. Das Entwicklungshilfe-Ressort könnte an die Abgeordnete Dorothee Bär gehen. Allerdings würde auch Amtsinhaber Gerd Müller gerne bleiben. Dies wäre möglich, wenn Bär als Staatsministerin für Digitales ins Kanzleramt einzieht.

Erfreut über die Entwicklungen in Deutschland sind die EU-Partner. "Das ist eine gute Nachricht für Europa", hieß es am Sonntag aus dem Umfeld des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Belgiens Premier Charles Michel drängte die künftige Regierung, schnell auf europäischer Ebene aktiv zu werden: "Es gilt, keine Zeit zu verlieren!" Auch die EU-Kommission ist erleichtert.

Größte Oppositionspartei im Bundestag wird nun die AfD sein, die an diesem Wochenende beschlossen hat, dass AfD-Politiker künftig bei Pegida-Demos auftreten dürfen. AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel bezeichnete die SPD als "neuen Kanzlerwahlverein". FDP-Chef Christian Lindner kündigte "smarte Oppositionsarbeit" an. (Birgit Baumann aus Berlin, 4.3.2018)