Die Ideologie der rechtsextremen Identitären hat schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel

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Auch Rechtsextreme schlafen manchmal schlecht. Etwa Martin Sellner, Mitgründer der österreichischen Identitären Bewegung. "Besser gesagt: Ich hatte Blut geschwitzt", schrieb der 28-Jährige in seiner Autobiografie über die Nacht vor der ersten medienwirksamen Aktion seiner Gruppierung. Sie startete 2012 eine "Gegenbesetzung" in der Votivkirche, in der sich Flüchtlinge mit negativen Asylbescheiden versammelt hatten. Die Aktion war von kurzer Dauer. Den Burschen wurde es schnell zu kalt in der Kirche. Seither drängen sie regelmäßig mit Aktionen in die Medien. Etwa im April 2016, als sie das Theaterstück Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek in der Uni Wien störten.

Bei ihren Demonstrationen kam es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern – dazu findet gerade ein Gerichtsverfahren statt, bei dem 17 Identitäre als Beschuldigte geführt werden. Sie zählen zur Neuen Rechten, die, vereinfacht gesagt, für einen "modernen" Rechtsextremismus "ohne Hakenkreuz" steht und so Konflikten mit dem NS-Verbotsgesetz aus dem Weg geht. Im oberösterreichischen Aistersheim versammelten sich am Samstag Schlüsselfiguren der Szene, um sich zu vernetzen.

Glatzen und Springerstiefel

Glatzköpfe und Springerstiefel trifft man bei neuen Rechten selten an – auch wenn bei ihren Demonstrationen Neonazis mitmarschieren und es Kontakte in dieses Milieu gibt. So tauchten die Identitären in Österreich kurz nach Hausdurchsuchungen und polizeilichen Ermittlungen in der Szene rund um den Neonazi Gottfried Küssel erstmals auf. Dieser Ermittlungsdruck stand "an ihrer Wiege, und einige aus dieser Gruppe oder ihrem engsten Umfeld schalteten danach einen Gang zurück", sagt der Rechtsextremismusexperte Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) dem STANDARD. Die Küssel-Leute hatten mit der Hass-Site Alpen-Donau-Info, kurz Adi, den Bogen überspannt. 2013 musste Küssel eine mehrjährige Haftstrafe antreten. Sellner tut seinen Kontakt zu Küssel als "Jugendsünde" ab.

Popkultur und Carl Schmitt

Ihr Auftreten und ihre Symbole hat die Neue Rechte von der Linken und der Popkultur abgeschaut, ihr Denken stammt hingegen auch von Wegbereitern Hitlers. Etwa von Carl Schmitt, der so etwas wie Hitlers Kronjurist war. Seine Ideen von einem autoritären Staat, der von einer Elite gelenkt wird, standen nicht nur bei den Nazis hoch im Kurs, sondern feierten bald nach 1945 bei Neuen Rechten und in konservativen Kreisen ein Comeback. Mit parlamentarischer Demokratie konnte Schmitt wenig anfangen. Ebenso wie mit dem "jüdischen Geist", den er verschwinden lassen wollte. Er lieferte den Nazis den rechtlichen Unterbau, um Gegner aus dem Weg räumen zu können.

Bis zu seinem Tod im Jahr 2003 war der ehemalige SS-Mann Armin Mohler ein Spiritus Rector der Neuen Rechten. An seiner politischen Verortung ließ er keine Zweifel – er bezeichnete sich als Faschist. Mohler war Privatsekretär von Ernst Jünger, der von sich sagte, die Demokratie "wie die Pest zu hassen".

Goebbels' Pressereferent gibt Weg vor

Wilfried von Oven, einst Pressereferent von Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels, plädierte schon 1973 für ein neues Politikverständnis der Altnazis: "Wir müssen unsere Aussagen so gestalten, dass sie nicht mehr ins Klischee der 'Ewiggestrigen' passen. Der Sinn der Aussage muss freilich der gleiche bleiben." So schlug von Oven vor, statt "Fremdarbeiter raus!" zu fordern, dass es "dem Großkapital verboten werden muss, nur um des Profits willen ganze Völkerscharen in Europa zu verschieben".

Schon 1993 diskutierten der reaktionäre Wiener Weihbischof Kurt Krenn, Ex-FPÖ-Chef Jörg Haider, der FPÖ-"Intellektuelle" Andreas Mölzer und der einst linke Günther Nenning in Graz das Thema "Multikulturelle Gesellschaft oder Ethnopluralismus?". Genau das steht 20 Jahre später im Fokus der Identitären. Sie wollen Länder mit geschlossenen Grenzen, in denen homogene Völker leben. Ihr Programm ist ein alter Hut, neu ist die Verpackung. Wenn auch nicht ganz: Das Jugendmagazin der FPÖ-nahen Aula hieß schon in den 1990er-Jahren Identität.

Bei ihren Kampagnen orientieren sich die neuen rechtsextremen Gruppen an dem linken Philosophen Antonio Gramsci und dessen Prinzip der kulturellen Hegemonie, das bei der Neuen Rechten "Metapolitik" genannt wird. Vereinfacht gesagt geht es den Gruppen darum, einen Lebensentwurf anzubieten, dessen Ideen ausstrahlen und in der Gesellschaft dominant werden. Auch das Themensetzen ist wichtig: Statt über die wachsende Schere zwischen Arm und Reich soll etwa über Flüchtlinge diskutiert werden. Identitären-Mitbegründer Sellner schreibt dazu: "Aus der Verachtung der Masse wurde ein Gefühl der Verantwortung, die wir als selbsternannte Elite genau dieser Masse gegenüber hatten."

Popkultur und Islamhass

Mit Symbolen, die aus der Popkultur stammen, versuchen die Identitären, sich als ganz neue Bewegung zu inszenieren – der Film 300 hat sie etwa dazu inspiriert, als "Spartaner" aufzutreten, die ihre Heimat verteidigen. Mit ihrer Philosophie stehen die Identitären in der Tradition der deutschen Neurechten Götz Kubitschek und Felix Menzel, die das Prinzip schon 2007 mit der "Konservativ-Subversiven Aktion" in den deutschen Sprachraum brachten; natürlich selbst beeinflusst von französischen Identitären und der italienischen Casa Pound. Mit Menzel wird eines der Urgesteine der deutschsprachigen Neuen Rechten in Aistersheim sprechen. Dazu kommt AfD-Funktionär Andreas Lichert, der mit Kubitschek das Institut für Staatspolitik betreibt. Das Verhältnis zwischen FPÖ und Identitären kann man als unkompliziert bezeichnen. Parteichef Strache verbreitet allenthalben Inhalte der Identitären via Facebook, mit der Parteijugend führt man gemeinsame Veranstaltungen durch.

Was die in Oberösterreich Versammelten eint, ist der Wunsch nach einem "einheitlichen" Volk. Hauptfeind sind zurzeit Muslime, vor denen oberflächlich etwa Schwule, Juden oder "unsere Frauen" geschützt werden müssen. Dass diese Gruppen jedoch in die "muslimfreie" Utopie der Neurechten passen, darf bezweifelt werden. Sellner beschreibt seine Wunschvorstellung des Jahres 2032 selbst so: EU-Parlamentspräsident ist der rechtsextreme Brexit-Vorantreiber Nigel Farage. Europa hat eigene soziale Netzwerke, die keine Hasspostings mehr löschen – oder wie Sellner schreibt: "die noch größeren Wert auf echte Meinungsfreiheit legen".

Identitärer Wunschtraum

In seinem Wunschtraum lächelt der Identitären-Mitbegründer, weil Donald Trumps Sohn Eric nun Präsident der USA ist. Die "Deutsch-Deutschen" hätten in ihrer Heimat nun ein "Recht auf Identität", schreibt Sellner. Seine Identitäre Bewegung ist in Sellners Fantasie an einem besonderen Ort angesiedelt: dem alten Wiener Rathaus, derzeit Sitz des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes.

Die Neuen Rechten setzen auf Symbole aus der Popkultur und ein jugendliches Auftreten. Tatsächlich sind ihre Inhalte schon einige Jahrzehnte alt. Bewegungen wie die Identitären gelten als rechtsextrem, Experten stufen sie auch als "neofaschistisch" ein. Die Glorifizierung von Hitler und dem Nationalsozialismus vermeiden sie. (Fabian Schmid, Markus Sulzbacher, 3.3.2018)