"Leidenschaftliche Teilnahmslosigkeit": Schriftsteller Peter Stamm.


Foto: Claudia Below

Wien – Peter Stamm wird gern als Meister der Lakonie bezeichnet sowie als einer, der das schlichte dem klingenden Wort vorzieht und dabei nicht auf Effekte, sondern auf erzählerische Substanz setzt.

Der 55-jährige Schweizer Schriftsteller bevorzugt für seine Art zu schreiben lieber den Terminus "leidenschaftliche Teilnahmslosigkeit". Und in der Tat verfügt er über das Talent, in nahezu adjektivlosen, kühlen Hauptsatzkaskaden nicht nur einen Plot zu entwickeln, sondern auch brennende Gefühle spürbar zu machen. Es wäre aber übertrieben, Stamms Figuren als spektakulär zu bezeichnen, dafür liegt zu viel Alltagsstaub auf seiner Prosa.

Auf den ersten Blick wirken die Figuren dieses Autors unattraktiv. Sie kämpfen mit den Mühen der Ebene, haben sich in ihren Mittelklasseleben eingerichtet. Der Beruf macht dabei keinen rechten Spaß, Ehepartner verlassen einander, finden auch anderswo nicht die Erfüllung, unnötige Beziehungsgespräche finden statt, nötige werden ausgelassen und so fort.

Immer aber gibt es in Stamms Erzählungen und Romanen auch den größeren Rahmen von Liebe, Tod und Sehnsucht. Gerade weil sie nicht suchen, was sie zu vermissen scheinen, aber weiter an ein wie auch immer geartetes Glück glauben, rückt das Leben Stamms Figuren doch wieder auf den Leib. Auch Christoph, den Ich-Erzähler aus Stamms neuem Roman Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt (S. Fischer, € 20,60), dessen Titel der Schlusspassage von Camus' Der Fremde entnommen ist, hat es aus seinem Leben katapultiert.

Doppelgängerpaare

Er ist beziehungsweise war Schriftsteller und somit einer, der "in die Fiktion entkommen ist". Er hat nur einen – sehr erfolgreichen – Roman geschrieben, in dem er die nicht einfache Beziehung mit der Schauspielerin Magdalena verarbeitete, wobei ihm während des Schreibvorgangs die Grenzen zwischen der erfundenen und der wirklichen Beziehung mehr und mehr durcheinandergerieten. Vor die Entscheidung zwischen der realen und der herbeiimaginierten Magdalena gestellt, entschied sich der Erzähler schließlich für Letztere. Sie schien kontrollierbarer.

Diese fiktive Magdalena wird der Ex-Autor insofern nicht mehr los, als er in eine Schreibkrise gerät und zufällig auf seinen zwanzig Jahre jüngeren Doppelgänger trifft, den er obsessiv zu verfolgen beginnt. In der Tat scheint dieses jüngere Ich fast exakt das Leben des Erzählers nachzuleben. Eine nicht unbedingt beruhigende Vorstellung. Der Wiedergänger heißt Chris, möchte Schriftsteller werden, und wie der Erzähler ist er mit einer Schauspielerin, Lena, liiert, über die er ein Buch schreibt.

Christoph und Magdalena, Chris und Lena also. Der Erzähler braucht nur in seinen alten Terminkalendern zu blättern, um zu wissen, was das Doppelgängerpaar macht – und wo es ist. Irgendwann entscheidet er sich, nach Stockholm zu fahren, wo Chris – wie er einst – von Lena begleitet ein Drehbuchseminar besucht. Stockholm ist auch der Ort, an dem Christoph aus seinem Leben desertierte. Dort trifft der nun Lena, um ihr seine Geschichte zu erzählen – und vielleicht auch ihre. Das Ganze endet in einem Showdown in der Bibliothek.

Der schmale Roman spielt an einem einzigen Nachmittag in Stockholm, doch er umfasst ein ganzes Leben und wirft gewichtige Fragen nach Bild und Abbild, Realität und Fiktion, Erinnerung und Einbildung auf.

Klingt alles relativ konstruiert – und das ist es auch. Nicht alle Scharniere in diesem komplexen Buch funktionieren reibungslos. Konzipiert ist der Roman als literarisches Spiel – auch mit Stamms Debüt Agnes (1998), das ebenfalls die Flucht vor einer Beziehung in die Fiktion thematisierte. Nach der Lektüre von Agnes war man geneigt, die Frage, ob Literatur stärker sei als die Realität, mit "vielleicht" zu beantworten. Nach dem Lesen des neuen Stamm-Romans lautet die Antwort: "Eher nein." (Stefan Gmünder, 28.2.2018)