Anna Kramer (links) und Paola Aguilera (rechts) verkörpern acht verschiedene "Judits" in "Missionen der Schönheit".

Foto: Sandra Keplinger

Wien – Acht "Judits" (Paola Aguilera, Anna Kramer) erzählen in Sibylle Bergs "Missionen der Schönheit" von ihren "Holofernesmomenten". Anders als die biblische Judit, die im Alten Testament den Feldherren Holofernes köpft, um ihre Stadt zu retten, sind diese acht Frauen keine Meuchelmörderinnen. Ihre Geschichten erzählen von jahrelanger männlicher Repression, von Martyrien, sexueller Gewalt und Einsamkeit. Mord scheint bei manchen beinahe als logische Konsequenz.

Gipshände und -füße, Flaschen, Bretter, Kübel und Pinsel zieren den Bühnenboden in der österreichischen Erstaufführung im Wiener Werk X. Die Bühne (Matthias Krische) gleicht einer Installation, in der sich die beiden monologführenden Schauspielerinnen bewegen, sich gegenseitig mit Gips umwickeln, den Gips wieder aufschneiden und in die Kleider der jeweiligen Judit schlüpfen, die sie gerade verkörpern. Während der Wechsel erklingt scheinbar in Endlosschleife Stereo Totals "Do the Bambi" mit den treffenden Anfangszeilen: "You’re so pretty, and I missed you all the time."

"Wir fühlen uns ungeliebt, und wir sind es auch"

Anfangs scheint es, als hätten die Frauen nicht viel mehr gemeinsam als ihren Namen. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Winkeln der Welt, und jede ist in einem anderen Alter. In ihrer Verkörperung durch Paola Aguilera und Anna Kramer sind die Persönlichkeiten jedoch insgesamt kaum zu unterscheiden und tendieren dazu, zu verschwimmen. Die Gemeinsamkeiten der acht "Judits" kommen in der Inszenierung von Julia Burger somit besonders zur Geltung: Frauen am Rande der Gesellschaft, entfremdet, nicht "schön genug", weder geliebt noch gehasst, einsam.

Frauen würden heimtückisch und feige morden, hört man in "Missionen der Schönheit". Judit (75) aus Betulia vergiftet Mann und Söhne und verstaut deren Leichen im Keller. Judit (12) aus Brüssel fesselt ihren Vater und hört irgendwann einfach auf, ihn zu füttern. Verstörend nüchtern und biologisch beschreiben sie den Prozess.

Mutig oder krank?

Die Frauen und ihr erlebtes Leid erweitern die sonst scheinbar so klar abgesteckten moralischen Kategorien unserer Gesellschaft um weitere Dimensionen, wodurch man sich fragt: Sind sie mutig oder krank? Die Zuneigung und Selbstliebe, derer es ihnen ihr Leben lang ermangelte, scheinen sie in den 60 Minuten Spielzeit vom Publikum einzufordern. Vor den Zuschauern manifestiert sich etwas zwischen Panik und Abgeklärtheit, die tiefe Erschütterung, aber auch ein wenig Überforderung zurücklässt.

Bereits 2010 wurde "Missionen der Schönheit" in Stuttgart uraufgeführt. 2018 ergänzt Sibylle Bergs Stück die MeToo-Thematik. Welche Rolle spielt "Schönheit" in unserer Gesellschaft, vor allem für ihren weiblichen Teil? Nach welchen Prinzipien funktioniert die Welt? Auf diese Fragen scheint sich der Titel des Stücks zu beziehen. Die acht Judits führen ihre persönlichen Kriege gegen Unterdrückung und unerfüllbare Normen. Sie haben sich ihre eigenen Wahrheiten für das Leben gesucht. Diese bringen sie mit einer Kaltblütigkeit auf die Bühne des Werk X, die einen schaudern lässt. (Hannah Mühlparzer, 22.2.2018)