Wien – Menschenrechte sind für Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International in Österreich, der Kitt der Gesellschaft. Selbst in Österreich sei dieser Kitt aber in Gefahr: Die neue Regierung scheue nicht davor zurück, hart erkämpfte Rechte auszuhöhlen und Menschen gegeneinander aufzuhetzen.

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Die Beispiele, an denen man dieses Verhalten laut Amnesty festmachen kann, finden sich im von der Organisation herausgegebenen Jahresbericht: 159 Länder werden darin einer umfassenden Analyse unterzogen. Ein zentrales Thema spielt beim aktuellen Bericht die Meinungsfreiheit: Führende Politiker seien offensichtlich bereit, Falschnachrichten zu verbreiten, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. Hinzu kämen folgenschwere Angriffe auf etablierte Institutionen, die zur Kontrolle der Macht dienen.

Auch in Österreich gebe es diese Tendenzen, sagt Schlack. Berichte der internationalen Kollegen – etwa aus der Türkei, aus Ungarn oder von den Philippinen – würden zeigen, wohin das führen kann. "Anstatt fragwürdige Bilder auf Facebook oder Worthülsen in Medien zu verbreiten, sollte die Regierung endlich klarstellen, wie sie die offenen Punkte in Bezug auf Menschenrechte angehen und Raum für zivilgesellschaftliches Engagement stärken will." Explizit nennt Schlack die Facebook-Seite von Vizekanzler Strache (FPÖ), aber auch den Sager von Kanzler Kurz (ÖVP), wonach im Mittelmeer "NGO-Wahnsinn" beendet werden müsse.

Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International in Österreich, bei der Präsentation des Jahresberichts.
Foto: Christoph Liebentritt/Amnesty International

Justizskandal im Asylbereich

Notwendig seien Reformen laut Amnesty im Maßnahmenvollzug, aber auch in der Umsetzung des Erwachsenenschutzgesetzes. Auch im Asylrecht sieht Amnesty in Österreich Reformbedarf. Dass die heimischen Behörden Abschiebungen nach Afghanistan mit einem Gutachten begründen, das als unwissenschaftlich und intransparent eingestuft wurde – DER STANDARD berichtete –, sei ein Justizskandal. Aktuell wird geprüft, ob der Sachverständige überhaupt die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. "Das ist – angesichts der Menge von Verfahren, in denen das Gutachten bereits Entscheidungsgrundlage war – ein später, aber dennoch wichtiger Schritt in die richtige Richtung", sagt Schlack.

Mit den Menschenrechten nicht vereinbar seien außerdem noch inoffizielle Pläne für das Versammlungsrecht, die Amnesty vorliegen. Geplant seien absolute Versammlungsverbote durch Verordnung im Vorhinein. "Das ist ganz klar mit der Verfassung und den Menschenrechten nicht vereinbar", sagt Schlack.

"Das, was in Myanmar passiert, ist Apartheid", sagt Schlack. Im November 2017 veröffentlichte Amnesty International einen ausführlichen Bericht über die brutale Gewaltkampagne des Militärs, die im vergangenen Jahr 688.000 Rohingya zur Flucht gezwungen hat.
Foto: Andrew Stanbridge/Amnesty International

Auf internationaler Ebene wurde besonders die Militärkampagne gegen das Volk der Rohingya hervorgehoben, aber auch Proteste im Iran und in Venezuela. "Diese Staaten haben jahrzehntelang versagt, grundlegende Dinge wie Nahrung, Wasser oder politische Teilhabe sicherzustellen", sagt Schlack.

Gefährliche Verteidigung der Menschenrechte

Erwähnt wurde natürlich auch die bedrohliche Lage für Menschenrechtsverteidiger – aber auch für Journalisten – weltweit. In der Türkei wurden 2017 bekanntlich der Vorstandsvorsitzende und die Direktorin von Amnesty International Türkei in Untersuchungshaft genommen. Ihnen wird "Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation" beziehungsweise Terrorunterstützung vorgeworfen, worauf bis zu 15 Jahre Haft stehen.

Eine Kundgebung für die Freilassung des türkischen Amnesty-Chefs.
Foto: Amnesty International

Reaktionen auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien mitunter "schwach" ausgefallen, sagt Schlack. "Auch in Europa drehen Regierungen das Rad der Zeit schamlos zurück und machen menschenrechtliche Errungenschaften zunichte." Ungarn sei ein aktuelles Beispiel. Die Regierung legte kürzlich einen Gesetzesentwurf vor, mit dem Zivilorganisationen, die Flüchtlingen helfen, künftig massiv in ihrer Arbeit behindert werden können. (lhag, 21.2.2018)