Die Reputation des Höchstgerichts könnte aufgrund der parteipolitisch motivierten Postenbesetzungen diesmal einen Schaden erleiden.

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Die Opposition ist sich einig: Das Parlamentshearing im National- und im Bundesrat für die Bestellungen zum Verfassungsgerichtshof verkommt zur Farce. Am kommenden Freitag und Dienstag findet es statt, wer tatsächlich zum Zug kommt, wird bereits seit Tagen kolportiert. 38 Bewerber für die zwei freien Posten wurden dem Bundesrat gemeldet, Tassilo Wallentin zog seine Kandidatur via Facebook zurück, im Nationalrat werden zwei weitere vorstellig. Gab es bis 1994 keine einzige Frau beim Höchstgericht, so soll die bisherige Vizepräsidentin und bereits seit 1. Jänner mit der interimistischen Leitung betraute Brigitte Bierlein als erste Frau Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs werden. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es unter den Bewerbern insgesamt nur drei Frauen gibt.

Wieso das Hearing zu einer Farce verkommt, wird allein dadurch sichtbar, dass alle von "Tickets" sprechen, als würde es sich um den Zuschauerblock beim Fußballmatch handeln. Offenbar geht es den Regierungsparteien bei den knapp 40 Bewerbern nicht um die beste Qualifikation, sondern eher darum, welche Parteigänger dahinterstecken und welche Partei Ansprüche stellt, ein "Ticket" zu vergeben. Das Parlament wird zur Tribüne degradiert, von der Herabwürdigung der restlichen Bewerber gar nicht zu sprechen. In Österreich hat man es nicht gern, mit Ungarn oder Polen verglichen zu werden, auch wenn sich die türkis-blaue Regierung die beiden Länder oft selbst zum Vorbild nimmt. Gerade bei der Bestellung der Höchstrichter möchte man nicht in Verruf kommen, so ganz autoritär zu wirken oder gar undemokratisch zu agieren. Die Reputation des Höchstgerichts könnte aufgrund der parteipolitisch motivierten Postenbesetzungen diesmal trotzdem einen Schaden erleiden.

Gewaltenteilung in Polen

Eine ähnliche Inszenierung kennen wir aus Polen. Begonnen hatte es dort damit, dass die vorherige Regierung fünf Richter für das Verfassungsgericht vorgeschlagen hatte. Mit dem Argument, zwei davon wurden vorzeitig berufen, bestätigte Präsident Andrzej Duda alle fünf nicht in ihrem Amt. Die nachfolgende Regierungspartei PiS schlug schlussendlich selbst fünf Richter, samt Vorsitz, vor. Schließlich hatte sie ein Vorschlagsrecht und die absolute Mehrheit im Parlament. Zwei Jahre später folgte die Reform des gesamten Gerichtssystems. Nach der Abstimmung sah nicht nur die Opposition die Gewaltenteilung in Gefahr: Vom schwarzen Tag in der polnischen Demokratie, von Macht- und Kurswechsel war die Rede, die Gerichte seien jetzt zur Gänze in der Hand der PiS. Das neubesetzte Höchstgericht sollte als erste Tat die Versammlungsfreiheit einschränken. Dass das höchste Gericht in Polen zur Marionette der PiS-Regierung wurde, kritisierte die Opposition zuletzt beim umstrittenen Holocaust-Gesetz: Der Präsident unterschrieb, das Verfassungsgericht soll prüfen, ob das Gesetz die Redefreiheit einschränkt. Wie hier entscheiden wird, liegt für viele auf der Hand.

Blauer Machtrausch

Nun, so schlimm ist es in Österreich (noch) nicht. Eine völlige Entmachtung des Verfassungsgerichtshofs ist nicht in Sicht. Die Selbstverständlichkeit, mit der bereits vor einem Hearing im Parlament feststeht, was die Regierungspartner untereinander akkordiert haben, ist dennoch besorgniserregend. Auch wenn schon in der Vergangenheit politische Motivation bei der Auswahl der Höchstrichter eine Rolle gespielt haben mag, scheint der Anspruch, dass zum Höchstgericht der Republik die besten Juristen entsandt werden sollten, nunmehr endgültig vergessen. Die FPÖ zögerte keinen Augenblick, ihren Parteianwalt auf den Posten hieven zu wollen – dessen Unabhängigkeit darf infrage gestellt werden.

Der zweite Kandidat der freiheitlichen Partei ist Burschenschafter und Professor Andreas Hauer. Das Mitglied des deutschnationalen schlagenden Corps Alemannia Wien zu Linz hat in einem Internetbeitrag klar verdeutlicht, wie er sich die Judikatur von Demonstrationsrecht und Versammlungsfreiheit vorstellt: Der Anmelder einer Versammlung habe "gesetzwidrigen Äußerungen und Handlungen sofort entgegenzutreten" oder "die Versammlung sofort aufzulösen" wie dafür zu sorgen, dass "keine Straftaten entstehen", andernfalls hafte er für alle "daraus entstehenden Schäden". Formaljuristisch stimmt das und steht so im Versammlungsgesetz aus dem Jahr 1867. Stärker ins Gewicht fällt hierbei jedoch die Interpretation, die der heutigen Zeit kaum entspricht, können doch an einer Versammlung auch 100.000 Menschen teilnehmen. Die Haftung für diese will niemand mit der eigenen Existenz bezahlen.

Meinungsklima im "Spannungsverhältnis"

So fühlt man sich doch wieder an Polen erinnert. Dort wurden Regierungskritiker für "Störaktionen", die anderswo als Demonstration gelten, schon mal zur Verantwortung gezogen und so mundtot gemacht. Hinzu kommt, dass sich Hauer beim Akademikerball 2017 als Gegner der Pressefreiheit outete und sich kein Blatt vor den Mund nahm, indem er offen Journalisten kritisierte – ohne es mit Satire-Smiley zu versehen. In einem Internetbeitrag meinte Hauer zuvor, dass der "umstrittene Staatssender ORF klammheimlich mit den Krawallmachern" sympathisiere. Das Meinungsklima in "steuergeldmitfinanzierten Medien" stehe in einem "Spannungsverhältnis zur österreichischen Rechtsordnung". Die umstrittene Medienreform in Polen wurde schließlich vom dortigen Höchstgericht abgesegnet, die geplante hierzulande wird mit Sicherheit noch hohe Wellen schlagen – womöglich bis zum Verfassungsgerichtshof. Am Rande sei bemerkt, dass das KRRiT, also der polnische Rundfunk- und Fernsehrat, vor nicht allzu langer Zeit eine satte Strafe von 1,5 Millionen Złoty übe den unabhängigen Sender TVN verhängt hat für die angeblich "zu sympathischen", also nicht objektiven Berichte über die Bürgerproteste.

Dass der favorisierte Kandidat Hauer das Demonstrationsrecht indirekt infrage stellt und in Polen gerade der Verfassungsgerichtshof für die Einschränkung der Versammlungsfreiheit die letzten Weichen stellte, mag weit hergeholt sein. Aber vielleicht werden wir uns noch wundern, was alles geht. In den nächsten zehn Jahren stehen nur drei Nachbesetzungen an. Künftig wird der Großteil der Richter mehr oder minder unter der türkis-blauen Fahne stehen. Dass einer von ihnen, wie ehemals Präsident Karl Korinek, nach Amtsübernahme auf Distanz zur eigenen Partei geht, kann nicht vorausgesetzt werden. (Ewa Dziedzic, 21.2.2018)