Sarajevo war der Tiefpunkt. 1984 kehrten Österreichs Olympia-Teilnehmer von den Winterspielen in Jugoslawien mit hängenden Köpfen zurück. Nur Anton Steiners Kopf hing nicht ganz so tief, er hatte Bronze in der Abfahrt gewonnen. Eine einzige österreichische Medaille, so etwas hat es in der Geschichte des olympischen Winters zuvor nicht gegeben und auch danach nicht.

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Die Objekte der Begierde in der Pyeongchang-Version.
Foto: REUTERS/Lucy Nicholson

Turin 2006 dagegen ging mit tosendem Applaus in die Annalen ein. Österreichs Athleten verbesserten die ewige Olympiabilanz des Landes um eine Rekordsumme von 23 Medaillen: neunmal Gold, je siebenmal Silber und Bronze.

Auch die soeben geschlossene 2018er-Edition in Pyeongchang zählt mit den drittmeisten Gold- und den siebentmeisten Gesamtmedaillen zu Österreichs erfolgreichsten. ÖOC-Präsident Karl Stoss war mit den fünf Goldenen, drei Silbernen und sechs Bronzenen "sehr zufrieden". "Wir haben einige große Nationen hinter uns gelassen", sagte Stoss.

Ein Blick auf die Medaillenbilanz der bisherigen Winterspiele zeigt, dass die jüngeren Sportlergenerationen überhaupt mit fetteren Ausbeuten nach Hause gekommen sind als ihre Vorgänger.

Aber das ist nicht die ganze Wahrheit.

Die Zahl der Medaillen von Pyeongchang mit jenen von Sarajevo oder allen anderen Spielen zu vergleichen, das sind keine Äpfel und Birnen, das sind Kirschen und Melonen. Fast alle Winterspiele brachte neue Sportarten, neue Disziplinen und damit mehr Medaillen zu gewinnen.

Bei den ersten Winterspielen in Chamonix 1924 wurden gerade einmal 49 Medaillen in 16 Bewerben vergeben, in Pyeongchang aber 307 Medaillen in 102 Bewerben. Eine Olympiamedaille ist keine so elitäre Errungenschaft mehr wie zur längsten Zeit des 20. Jahrhunderts.

Wie die Militärpatrouille, ein Biathlon-Vorläufer, fielen nur wenige Sportarten weg, dafür durften nach und nach auch Snowboarder, Shorttrackläufer, Curler und andere um Medaillen kämpfen.

Wussten Sie, dass Curling vor einer 74-jährigen Pause bereits 1924 olympisch war? Die Briten wischten sich in Chamonix zu Gold, während Österreich zwei Goldmedaillen im Eiskunstlauf holte. Österreich war in den 1920er-Jahren eine Weltmacht im Eiskunstlauf und Ski alpin noch kein Olympiasport.

Jede achte der 16 in Chamonix vergebenen Goldenen ging an Österreich. Die neun Goldmedaillen von Turin machten nur ein knappes Neuntel der 84 Wettbewerbssieger aus.

Halten wir kurz inne. "Nur" ist ein ein starkes Wort, wenn eine an Einwohnern mittlere Nation wie Österreich jedes neunte Olympiagold gewinnt. Gemessen an der Bevölkerungszahl lag Österreichs Medaillenertrag bei fast allen Spielen im Spitzenfeld, das gilt nicht weniger für Pyeongchang.

Der kleine Nachbar Liechtenstein holte in Südkorea mit Tina Weirathers Bronze im Super-G rechnerisch 26,4 Medaillen pro Million Einwohner. Dahinter folgen Norwegen mit 7,37, die Schweiz mit 1,77 und Österreich mit 1,59 Medaillen pro Million Einwohner. China schließt die Liste mit einem Wert von 0,006 ab und hätte, um vor Österreich zu landen, heuer 2.205 Medaillen sammeln müssen. Sorry, China, das ging sich nicht ganz aus.

Raunzen wir ein wenig auf hohem Niveau: ein gewisser Abwärtstrend ist messbar. Zehn Prozent aller Medaillen – diese Marke übersprang Österreich zwischen 1948 und 1992 bei der Hälfte aller Winterspiele. Seither kein einziges Mal.

In Pyeongchang gingen 4,56 Prozent aller Medaillen an Österreich. Niedriger war der Anteil bloß in Sarajevo, und Sarajevo war der Tiefpunkt.

Man kann den österreichischen Delegationen aber keinen großen Vorwurf machen. Über die Jahre ist nicht nur die Zahl der Wettbewerbe und der vergebenen Medaillen gewachsen, sondern auch jene der teilnehmenden Nationen und also der Konkurrenz. 1924 entsandten 16 Staaten 258 Athleten nach Chamonix – nach Pyeongchang reisten 2.922 Athleten aus 93 Nationen.

Dass sich immer mehr Staaten um Podestplätze raufen, hat unweigerlich zu einer breiteren Medaillenstreuung geführt. Die Top-Ten-Nationen des ewigen Medaillenspiegels – Deutschland, Russland, Norwegen, die USA, Kanada, Österreich, Schweden, die Schweiz, Finnland und die Niederlande – machten sich bis Calgary 1988 stets 80 bis 95 Prozent allen Edelmetalls aus. Seither ist ihr Anteil kontinuierlich auf rund 60 Prozent gesunken.

Gibt es dennoch Strategien gegen die sinkende Medaillenquote? Erlauben wir uns ein Zahlenspiel auf Basis fast hundertjähriger Daten: Von den 1.457 Aktiven, die Österreich bei allen Winterspielen vertreten haben, waren 77 Prozent Männer und 23 Prozent Frauen.

Geht man davon aus, dass Athletinnen und Athleten gleich erfolgreich waren, müssten auch die von Männern und die von Frauen gewonnenen Medaillen diesem Verhältnis entsprechen.

Anna Veith trägt die Fahne vor der österreichischen Delegation.
Foto: APA/AFP/ODD ANDERSEN

Auf das Konto der Österreicher gehen aber nur 66,2 Prozent der bisherigen 232 Medaillen, auf das der Österreicherinnen 33,8 Prozent.

Oder, anders ausgedrückt: Die durchschnittliche österreichische Athletin holte rechnerisch 0,23 Medaillen, der durchschnittliche österreichische Athlet 0,14.

Bei 15 von 23 Olympischen Winterspielen erreichten Österreichs Frauen einen höheren Wert als die Männer.

Liebe Olympiafunktionäre, vielleicht lässt es sich irgendwie einrichten, rechtzeitig vor Peking 2022 intensiver unter den Nachwuchssportlerinnen nach Talenten zu suchen. Wegen der Medaillen wäre es. (Sebastian Kienzl, Michael Matzenberger, 26.2.2018)