Vom neuen Leben, das Laufschuhe und Laufgewand bekommen können, wenn man Material, das daheim nur herumliegt, Menschen gibt, die es sich nicht leisten können: Best-Practice-Beispiele – Nachahmung erwünscht

Irgendwann musste Markus Steinacher dann Stopp sagen, auch wenn er es nur schweren Herzens tat: Aber mehr als zwei große Koffer pro Nase erlaubt halt die Airline nicht. Und ein bisserl was für sich selbst, räumt der 38-jährige Webdesigner ein, sollen die Teilnehmer des Trainingscamps, zu dem er Anfang März fliegt, dann doch auch mitnehmen dürfen.

Markus läuft weit besser und schneller als ich – auch wenn wir vergangenen Sonntag gemeinsam beim zweiten Event des LCC-Eisbärlaufcups über die Ziellinie gingen: Das ist eine andere Geschichte. Wer will, kann sie hier nachlesen. Aber manchmal geht es beim Laufen halt um mehr als nur ums Laufen an sich. #Morethanrunning heißt der Hashtag, wenn man versucht, die Welt über das Laufen ein kleines bisserl zu verändern. Zum Guten.

Foto: ©Gottfried Lichtscheidl/LCC

Markus Steinacher fliegt demnächst mit meinem (und seinem) Coach Harald Fritz nach Äthiopien – zum Höhentraining in das von Haile Gebrselassie vor ein paar Jahren errichtete Yaya Village: Auf rund 2.800 Meter Seehöhe, nahe bei Addis Abeba, will sich mein Teamkollege da gemeinsam mit anderen (Hobby-)Läuferinnen und -Läufern auf die kommende Wettkampfsaison vorbereiten.

Fein. Ich bin neidig. Nicht zuletzt, weil ich schon in Äthiopien laufen war – und eine Idee davon habe, was Markus dort erwartet. Auch neben und abgesehen vom eigenen Lauferlebnis.

Foto: ©ausdauercoach.at

Denn weil es manchmal um mehr als nur ums Laufen geht, organisiert Fritz im Rahmen des Camps einen Laufbewerb für Locals. Zu gewinnen gibt es nicht nur für die Sieger etwas: Auch wenn die Preise aus unserer – übersättigt-europäischen – Perspektive bescheiden klingen, sind sie vor Ort etwas wert. Viel wert: Es geht um Ausrüstung, vor allem Laufschuhe, aber auch Shirts, Hosen oder Jacken. Benutzt, abgelegt und kaum oder sogar nie getragen heißt schließlich nicht, dass etwas Müll ist.

Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Camps waren deshalb aufgerufen, nicht nur den eigenen Kasten zu durchforsten. Markus postete die Einladung, auszumisten, auf Facebook (inklusive Video, in dem seine Katze den Stapel Shirts kontrolliert) – und musste nach ein paar Tagen Stopp! rufen: "Wir haben so viele gute Laufschuhe und Laufbekleidung bekommen, dass wir nicht noch mehr mitnehmen können. Ich bin echt sprachlos, was da alles zusammengekommen ist."

Foto: ©Steinacher

Markus war nicht der einzige Sammler: Wochen zuvor waren Jennifer Wenth und Christoph Sander beim wöchentlichen Bahntraining im Dusika-Stadion aufgetaucht. Nicht um uns zu zeigen, was "schnell" wirklich bedeutet (die beiden gehören zu Österreichs Topläufern), sondern um Schuhe zu bringen: einen Koffer und zwei große Taschen voll. Schuhe, die sich bei den beiden angesammelt hatten, die man aber nicht einmal mit dem Trainingspensum von Leistungssportlern "zu Ende laufen" könnte.

Okay, "Normalos" haben selten 30 Paar fast neuwertiger Laufschuhe daheim. Aber: Schauen Sie mal, was da alles bei Ihnen herumliegt, das Sie so gut wie nie anziehen. Eben.

christoph & Jenny

Bei Fritz' Projekt Läufer helfen Läufern geht es genau darum: Brauchbare und – ganz wichtig – saubere Ausrüstung dorthin zu bringen, wo sie gebraucht, genutzt und geschätzt wird. An Orte, an denen man im Alltag aber andere Prioritäten hat, als 150 Euro teure Schuhe zu kaufen.

Derlei gehört auch bei anderen Trainingscamps – etwa Thomas Krejcis "Run2Gether"-Höhentraingslagern in Kenya – quasi dazu. Gut so. Fritz aber möchte einen Schritt weiter gehen – und "denen, die etwas bekommen, auf keinen Fall das Gefühl geben, dass sie Almosenempfänger sind. Etwas, wofür man etwas leistet, ist ja auch für den, der es bekommt, mehr wert." Darum gibt es die Läufe. Aber so gestaffelt, dass so gut wie kein Teilnehmer und keine Teilnehmerin mit leeren Händen heimgeht.

Foto: ©www.ausdauercoach.at

"Trostpreise" oder Startersackerl-Goodies sind die Preise dennoch nicht. Erstens weil die Wertigkeiten in einer Gesellschaft, die nicht alles im Überfluss hat, andere sind. Zweitens, weil es für die Läuferinnen und Läufer, die ganz vorne sind, auch Neuwertiges, Ungetragenes sowie Preisgelder (aus Spenden) gibt. Und drittens weil Laufen in Äthiopien – oder generell: Afrika – für viele eine der wenigen Möglichkeiten ist, aus dem Armutskreislauf auszubrechen: Zur Siegerehrung kam – zumindest im Vorjahr – Haile Gebrselassie persönlich. Das garantiert Aufmerksamkeit – und wer weiß, dass er oder sie nur wenige Chancen hat, aus der Masse herauszustechen, lässt so einen Moment nicht ungenutzt vorüberziehen.

Foto: ©www.ausdauercoach.at

Nur – und damit bin ich wieder bei Markus Steinachers Stopp – gibt es halt viel mehr Laufschuhe, die sich im Schuhregal fadisieren, als Platz in den Koffern von Menschen, die nach Afrika auf Traingscamps fahren:

Wie viele Finisher- und Startershirts und sonstiges Sportzeugs ungetragen in heimischen Kleiderkästen liegt, weiß niemand. "Das Problem", weiß Harald Fritz, "ist nicht das Material, sondern die Frage, wie man es zu Menschen bringt, die es brauchen."

Und auch wenn das jetzt missverstanden werden kann: Man muss ja nicht alles außer Landes bringen, um es sinnvoll "weiterleben" zu lassen. Dafür gibt es zahllose Beispiele, die aber oft unter dem öffentlich-medialen Radar stattfinden.

Das hat auch sein Gutes: Charity braucht mitunter auch Diskretion. Nicht jedem, der etwas gespendet bekommt, ist es angenehm, mit dem Stempel "bedürftig" auf der Stirn ins Rampenlicht gezerrt zu werden.

Ich weiß, dass manche Laufschuhshops alte, noch tragbare Schuhe ihrer Kunden an charitative Einrichtungen weitergeben. Ich weiß, dass etwa einige Fußballvereine Sportausrüstung ebenfalls ein zweites Leben gönnen – ohne großes Aufheben.

Foto: ©Grenzenlos

Ich weiß aber auch, dass viele Gruppen und Initiativen dankbar für derartige Spenden sind und ohne sie nicht arbeiten könnten. Etwa Hemma Niedls Lauf-Initiative Grenzenlos. Seit Februar 2016 läuft die Mitarbeiterin einer großen Textilkette mit Flüchtlingen. Meist kommen sie aus Afrika, Syrien oder Afghanistan – und mittlerweile sind die 18 Läufer (Anfangs waren auch Frauen dabei, aber denen wurden die ehrgeizigen Jungs rasch zu schnell) im Tullnerfeld quasi "weltberühmt": "Wir gewinnen mittlerweile auch immer wieder bei Bewerben."

Die Ausrüstung der 18 Grenzenlos-Runner, erzählt Niedl, käme meist von Privatpersonen. Aber auch von Schulen oder vom Roten Kreuz. Meist sei das Zeug getragen und sehr gut bis gut erhalten – aber Ende Februar 2016 spendierte ein privater Gönner dann erstmals neue Teamshirts. Und ein lokales Gasthaus sponserte Anfang 2017 sogar Teamjacken.

Foto: grenzenlos

Am wichtigsten aber waren und sind Laufschuhe, erzählt Niedl. Dass der Bedarf nie ende, habe einen recht einfachen Grund: "Die Schuhe, die wir bekommen, sind eben getragen. Die halten dann natürlich nie allzu lange." Nicht zuletzt, weil der Ehrgeiz der Läufer groß ist – und der Laufhunger mit dem Erfolg des Trainings zunimmt. Nicht nur der: "Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass das ganz normale junge Menschen sind. Die wollen Teil unserer Gesellschaft sein. Und wenn man sie durch solche Projekte integriert, funktioniert das auch."

Auch "Beobachter", die da anfangs skeptisch gewesen seien, hätten das mittlerweile verstanden. Freilich: Derartige Projekte stehen und fallen mit der Ausrüstung. Und da besteht immer Bedarf – auch wenn Ende 2017 ein Spender allen Läufern neue Schuhe schenkte. Als Belohnung für ein "wirklich tolles Jahr".

Foto: grenzenlos

Ganz ähnlich verhält es sich mit einem Projekt, das Carola Bendl-Tschiedel mitbetreut: Als 2015 von ihrem Arbeitgeber, der Raiffeisen Bank International, das Haus Roshan als temporäre Flüchtlingsunterkunft in Zusammenarbeit mit der Caritas geschaffen wurde, überlegte sich die Läuferin gemeinsam mit Kollegen, wie sie helfen könnten. "Neben Deutschlernhilfe, Kochen, Fußball und anderen Freizeitaktivitäten bot sich da Laufen an." Das Haus Roshan gibt es als Flüchtlingsunterkunft nicht mehr, Lauf- und andere damals begonnenen Hilfsaktivitäten aber schon. "Die Kerngruppe ist stabil und erreicht bei Volksläufen und Landesmeisterschaften immer wieder Topplatzierungen. Obwohl die Burschen mittlerweile in weit verstreuten Unterkünften leben, ist es immer schön, wenn sie zu Läufen wieder zusammenkommen." Ausrüstung ist aber auch hier ein großes – und schwieriges – Thema: Shirts zusammenzuschnorren war de leichteste Übung, Laufjacken und -hosen zu bekommen war schon einen Tick komplizierter. Wirklich "zaaach" ist aber das Schuhthema: "Der Bedarf an Erneuerung betrifft natürlich besonders die Schuhe – denn Schuhe, die von Erstbesitzer schon einmal ausgemustert wurden, haben kein allzu langes Leben mehr." Und anderswo verstauben Laufschuhe.

Foto: thomas rottenberg

Bendl-Tschiedel, Niedl oder Fritz und Steinacher sind nur einige wenige Beispiele. Beispiele dafür, dass es möglich ist, etwas zu verändern. Oder möglich zu machen – wenn man sich nicht darauf ausredet, dass das bisserl, das man selbst umsetzen kann, global gesehen keinen relevanten Unterschied macht: Für die, die davon profitieren, macht es ihn. Und das zählt.

Dass Laufen allein nicht die Lösung aller Probleme dieser Welt ist, ist mir und allen hier Erwähnten natürlich klar. Aber wir wissen noch etwas: Laufen ist – wieder einmal – nur eine Metapher. Für das, was möglich ist. Wenn man will. (Thomas Rottenberg, 21.2.2018)

Foto: Rottenberg