Facebook, Instagram, Whatsapp, Snapchat: Jedes soziale Medium verführt auf eigene Weise dazu, mehrmals pro Tag genutzt zu werden.

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Das Substitute Phone des Wiener Designers Klemens Schillinger soll das haptische Gefühl eines Smartphones imitieren.

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Hold, eine App aus Norwegen, belohnt den Verzicht auf Smartphones mit Punkten. Zielgruppe sind hauptsächlich Studierende.

hold student

Diese Punkte können genutzt werden, um reale Belohnungen von Sponsoren zu erwerben.

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Auch ein soziales Element ist mit dabei: Man kann sich mit Freunden messen.

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Die Umsätze von IT-Konzernen wie Facebook zeigen, dass sich deren süchtigmachende Konzepte rechnen. Eine freiwillige Änderung durch die Unternehmen ist also eher unwahrscheinlich. Dennoch gibt es Ideen, die zeigen wollen, wie das Suchtpotenzial sozialer Medien umgangen werden könnte. Eine davon stammt vom Onlineaktivisten Ben Grosser, der argumentiert, dass der Fokus auf Zahlen zu der Sucht beisteuert – schließlich würde man ständig nachzählen, wie viele Likes, wie viele Freunde, wie viele Nachrichten man bekommt und den eigenen sozialen Wert damit messen. Sie abzuschaffen würde die Problematik vermutlich nicht gänzlich aus der Welt schaffen, aber zumindest eindämmen.

benjamin grosser

Aus diesem Grund hat Grosser auch eine Browsererweiterung erfunden, die jegliche solche Zahlen einfach ausblendet. So würde das Verlangen nach einer höheren Nummer aus der Welt geschaffen werden. Das einzige Problem daran ist, dass, vor allem bei jungen Nutzern, das Smartphone und nicht mehr der PC-Browser das Suchtobjekt der Wahl darstellt.

Haptisches Feedback imitieren

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Einen Lösungsansatz bietet das Substitute Phone – ein Smartphone-Ersatz für Süchtige –, erfunden von dem Wiener Designer Klemens Schillinger. Die Idee hinter dem Ersatzprodukt ohne Elektronik ist, das haptische Gefühl eines Smartphones nachzuahmen, ohne ein solches zu nutzen. Steinkugeln in verschiedensten Anordnungen sollen Nutzern erlauben, die klassischen Bewegungen bei der Verwendung des Handys zu imitieren – etwa Scrollen oder Multitouch-Gesten.

Smartphones und Bildung

Die skandinavische App Hold, deren Zielgruppe vorwiegend Studenten sind, stellt sich der Social-Media-Sucht auf dem Smartphone. Die ständige Nutzung stört die Konzentration bei Vorlesungen und vor Prüfungen nämlich enorm. User sollen dazu motiviert werden, nicht ständig und automatisiert zu ihrem Smartphone zu greifen. In Norwegen wurde die App seit 2016 bereits von 40 Prozent aller Studenten installiert.

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Das Konzept: Man tippt auf eine Schaltfläche, und die App beginnt zu zählen, wie lange man schon auf soziale Medien verzichtet hat. Kein einziges Programm wird gesperrt, nutzt ein Student trotzdem ein soziales Medium, wird er dafür bewusst auch nicht bestraft. "Unser Ziel ist es, einen bewussten Umgang mit dem Smartphone zu fördern", erklärt Florian Winder, einer der Gründer von Hold und gebürtiger Österreicher, dem STANDARD. Die Idee für die App entstand während der eigenen Studienzeit der Erfinder, die merkten, wie sehr das Smartphone die Aufmerksamkeitsspanne senkte.

Reale Belohnungen

Hält man durch und verzichtet auf soziale Medien, gibt es bei Hold alle 20 Minuten einen Punkt. Diese kann man nutzen, um reale Belohnungen zu erwerben, etwa Essen, Getränke, aber auch Stipendien. Hierfür werden Sponsoren engagiert, die sich erhoffen, eine Markentreue bei der jungen Zielgruppe zu erzielen. "Durch das Zusammenbringen von Studenten und Unternehmen auf unserer Plattform schaffen wir eine Win-win-Situation für beide Seiten. Die Studenten konzentrieren sich wieder mehr auf die wichtigen Dinge und werden dafür belohnt. Unternehmen haben im Austausch Zugang zu einem einzigartigen Sprachrohr", sagt Winder.

Zusätzlich wird trotzdem auch eine soziale Komponente instrumentalisiert: Nutzer können ihre Zeiten mit denen ihrer Freunde abgleichen und sich mit ihnen messen. So wird ein zusätzlicher Anreiz geschaffen, um das Smartphone beiseitezulegen.

Alternative: Forest

Eine Alternative, die auch in Österreich verfügbar ist, ist die App Forest: Stay Focused. Nutzer können eine bestimmte Zeit einstellen, in der sie produktiv bleiben wollen. Eine reale Belohnung gibt es zwar nicht, allerdings dafür eine virtuelle: Für Nutzer, die es schaffen, auf ihr Smartphone zu verzichten, wächst ein Baum. Hält man nicht durch, stirbt er.

Wie lange?

Nun bleibt, vor allem für Eltern, die Frage: Wie viel Smartphone ist zu viel Smartphone? Genau festlegen ließe sich das nicht, wie Barbara Buchegger, Mitarbeiterin von Saferinternet, dem STANDARD erzählt. "Wenn ein Jugendlicher sich gerade in der großen Orientierungsphase, was Freundschaft und Liebe betrifft, befindet, dann wird er wahrscheinlich permanent online sein, weil er da einfach den Kontakt mit seinen Freunden hält", so Buchegger. Von Sucht könne man in solchen Fällen erst sprechen, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind – etwa wenn man eigentlich aufhören möchte, aber nicht kann. "Die Wahrscheinlichkeit, dass das eigene Kind wirklich smartphonesüchtig ist, ist sehr gering, das liege so in etwa bei fünf Prozent."

Vermeintliche Sucht

Gefährlich werden könnte es erst, wenn das Kind beginnt sich zurückzuziehen, Freunde nicht mehr trifft, nicht mehr hinausgeht und die Schule vernachlässigt. Sehr oft würden Eltern glauben, dass ihr Kind süchtig ist, obwohl dies nicht der Fall ist. Besteht also der Verdacht, empfiehlt sie, sich erst bei Stellen wie Rat auf Draht zu melden und den konkreten Fall mit Experten zu besprechen.

Soziale Isolation

Social-Media-Verbot oder das Nichtkaufen eines Smartphones für ein jüngeres Kind könnte sogar negative Folgen haben, so Buchegger. "Ein Beispiel: Ein Kind, das sich in der Umorientierungsphase befindet und sich für andere Themen interessiert als Gleichaltrige im unmittelbaren Umfeld, etwa für Mangas. Womöglich hat es online sogar andere Menschen gefunden, welche sich ebenfalls mit dem Thema beschäftigen. Wenn ich diesem Kind Social Media verbiete, dann kappe ich ihm die Möglichkeit des Ausdrucks und vielleicht auch die Freunde ab – sehr zielführend würde das nicht sein." Bei jüngeren Kindern empfiehlt sich ebenfalls, das Smartphone nicht zu verwehren, wenn bereits ein Großteil der Klasse eines besitzt und das Kind sich ausgeschlossen fühlt. Das reine Verbieten sei allgemein keine Lösung, eher empfehle es sich, nach einer Alternative zu suchen.

Kein Ausgleich

Volksschulkinder seien oft sogar dazu fähig, negative Symptome zu benennen – etwa dass sie wütend, hungrig oder durstig werden oder Augenschmerzen bekommen. Aufgrund eines fehlenden Ausgleichs würden sie dann aber oft von dem einen digitalen Gerät zum nächsten wechseln und beispielsweise statt des Smartphones die Spielkonsole nutzen. "Da können Eltern sehr wohl viel tun und Alternativen mit ihren Kindern einüben. Wir haben die Situation, dass ganz viele Kinder nicht allein hinausgehen dürfen, weil Eltern Angst haben, dass ihnen was passiert", sagt Buchegger. "Ich höre das sehr oft, auch von den Kindern selbst, dass sie etwa Hausarrest haben oder nicht ohne Mama oder den großen Bruder gehen dürfen." Verbote wie diese seien es erst, die junge Menschen dazu bringen würden, soziale Medien exzessiv zu nutzen. (Muzayen Al-Youssef, Sarah Emler, 20.2.2018)