Wien – Für die Vereinigung Europäischer Journalisten ("Association of European Journalists", AEJ) zeigt die Verurteilung von fünf türkischen Journalisten zu lebenslanger Haft, dass die türkische Justiz nicht frei entscheiden könne. Die Freilassung des "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel sehe sie nicht als Beweis für das Funktionieren der Justiz in der Türkei, heißt in einem der APA am Samstag übermittelten Schreiben.

Am Tag der Freilassung Yücels seien sechs Angeklagte, fünf von ihnen Journalisten, wegen des "Versuchs, die türkische Verfassung abzuschaffen" und Begünstigung terroristischer Handlungen zu lebenslanger Haft verurteilt worden, so Othmar Lahodynsky, Präsident der AEJ. Die Beweise dafür seien fadenscheinig: Dem Schriftsteller und politischen Kolumnisten Mehmet Altan zum Beispiel wird laut AEJ vorgeworfen, er habe "unterschwellige Botschaften" über den bevorstehenden Militärputsch vom 15. Juli 2016 im Fernsehen abgegeben.

Einem Anwalt zufolge beruhe diese Beschuldigung auf seiner einen Tag vor dem Putschversuch gemachten Aussage in einem TV-Sender, dass Erdogan nicht ewig regieren werde, berichtete Lahodynsky. Dies solle ein Beweis für Insiderwissen in die Putsch-Vorbereitungen sein. Zudem sei die Aussage Altans von den Anklägern verfälscht worden.

Als weiterer Beweis für die Verstrickung von Altan mit der Gülen-Bewegung gelte eine gefundene Ein-Dollar-Banknote in der Handtasche seiner Gattin. Der Dollar-Schein gelte wegen seiner geheimnisvollen Symbole als Zeichen der Zugehörigkeit zum Prediger Fetullah Gülen, der den Militärputsch angeordnet haben soll, so Lahodynsky.

Disput

Wie sehr die türkische Justiz am Gängelband der Politik hänge, zeige seiner Ansicht nach auch ein Disput zwischen verschiedenen Gerichten. Im Jänner 2018 soll der türkische Verfassungsgerichtshof die Freilassung von Altan mit dem Hinweis angeordnet haben, dass dessen verfassungsgemäße Rechte verletzt worden seien.

Ein Istanbuler Hoher Strafgerichtshof habe sich darauf geweigert, Altan freizulassen, weil der Verfassungsgerichtshof seine Kompetenzen überschritten habe. Dass Urteile des Verfassungsgerichtshofs von niedriger stehenden Gerichten nicht mehr anerkannt werden, zeige, dass sich die Türkei weit von einem Rechtsstaat entfernt habe, so Lahodynsky.

Über 150 türkische Journalisten sitzen im Gefängnis, die meisten warten noch auf eine Anklageschrift. Medienanwälten zufolge sollen in manchen Anklageschriften Passagen aus anderen Verfahren identisch übernommen worden sein – Ein "Copy-paste"-Verfahren nennt der AEJ-Präsident dies, das Zeit sparen soll.

Lahodynsky appellierte daher an den Europarat in Straßburg, dem die Türkei als Mitglied angehört, aktiv zu werden. Der Menschenrechtsgerichtshof habe erst wenige Klagen von türkischen Journalisten angenommen, oft mit dem Hinweis, dass zunächst der Instanzenzug in der Türkei abgewartet werden müsse. "Doch wie nun klar wird, entscheidet die türkische Justiz längst nicht mehr frei und unparteiisch", so Lahodynsky. (APA, 18.2.2018)