Bild nicht mehr verfügbar.

Echte Erkrankungen oder Boykott? Darüber wird nun in Österreich nach den Medienberichten über den Fall in Oberösterreich gestritten.

Getty, Standard

Wien – Beinahe 13 Jahre hat Heinrich H. für die oberösterreichische Technosert gearbeitet. Es war für ihn nicht einfach irgendein Job, erzählt er. Die meiste Zeit habe ihm die Arbeit Spaß gemacht. "Das war meine Firma", sagt der gelernte Elektriker. In den vergangenen Jahren wurde das Verhältnis zu seinem Arbeitgeber schlechter. Die Streitereien häuften sich, H. wurde frustriert.

Am 25. Oktober 2017 kam der endgültige Bruch: H. erhielt einen eingeschriebenen Brief von Technosert mit seiner Kündigung. Er war zuvor mehrere Wochen im Krankenstand gewesen, hatte über Schlaflosigkeit und Erschöpfungszustände geklagt. Er habe seine Arbeit nicht verrichten können, erzählt er. Der Hausarzt schrieb ihn krank, eine Chefärztin der Gebietskrankenkasse in Freistadt verlängerte den Krankenstand. Der STANDARD nahm Einsicht in die Krankschreibungen.

Nachdem er den Brief erhalten hatte, ging H. zur Arbeiterkammer. Die riet ihm zu klagen. Kündigungen während eines Krankenstandes sind in Österreich erlaubt. H., der auf die 60 zugeht, wurde geraten, sich wegen Altersdiskriminierung zur Wehr zu setzen. Er winkte ab. Er hatte da mit Technosert schon gebrochen. Warum sollte er die Kündigung anfechten, wenn das letztlich bedeuten könnte, dass er wieder in jene Firma zurückmuss, in der er ausgeblutet ist?

Die Entfremdung

Die Entfremdung zwischen dem Elektriker und Technosert: Das ist inzwischen nicht nur die Geschichte eines Konfliktes aus der oberösterreichischen Provinz. Der Fall schlägt landesweit Wellen. Am Montag teilte die oberösterreichische Wirtschaftskammer per Aussendung mit, dass bei einem Mühlviertler Betrieb zwölf Mitarbeiter zeitgleich in Krankenstand gegangen sind. Zehn wurden vom Unternehmer gekündigt, zwei sind freiwillig gegangen. Rasch stand fest, dass es sich beim Betrieb um Technosert handelt. H. ist überzeugt, dass er einer der zwölf ist, um die es da geht.

Debatte über Krankenstände

In Österreich entbrannte eine Debatte darüber, ob Arbeitnehmer zu oft oder in Wahrheit nicht viel zu selten in Krankenstand gehen. Der STANDARD hat mit zahlreichen Ex-Mitarbeitern von Technosert gesprochen, mit gekündigten Personen wie H., und bei Angestellten der Firma nachgefragt. Fast alle, die reden wollten, taten dies nur anonym.

Die Erzählungen handeln von einem mittelständischen Unternehmen, bei dem die Angestellten lange zufrieden waren. Dann kam ein neuer Geschäftsführer, es folgten Umstrukturierungen. Das Klima verschlechterte sich. Ehemalige Angestellte kreiden dem Management an, ein Klima der Angst geschaffen zu haben.

Der Ton sei rau geworden, erzählt einer. Mitarbeiter sollen "beleidigt" worden sein, auch von Drohungen ist die Rede. Einmal sei ein leitender Angestellter ausgerastet, als er einen Fehler bemerkte. Er soll "Ich bringe euch alle um" gerufen haben.

Der STANDARD konfrontierte die Unternehmensführung von Technosert mehrmals mit den Vorwürfen. "Kein Kommentar", lautete die telefonische Auskunft. Mehrere schriftliche Anfragen blieben zunächst unbeantwortet. Dann kam schließlich eine Replik per Mail: Einer der beiden Geschäftsführer teilte mit, dass sein Partner "verhindert ist" und man deshalb kein Statement zur aktuellen Berichterstattung abgeben werde. Man werde sich spätestens Ende nächster Woche mit einer Stellungnahme zu Wort melden.

Der Anfang in der Spinnerei

Den Grundstein für Technosert legte der Firmengründer und langjährige Alleineigentümer Johann Gschwandtner Ende der 1980er-Jahre. In einer ehemaligen Spinnerei wurden die ersten Betriebsräume adaptiert, heißt es auf der Homepage. Angefangen hat man mit einer Handvoll Mitarbeiter.

Technosert konzipiert und baut in Wartberg ob der Aist heute diverse Elektronikgeräte. Die Bauteile finden sich in Fingerscannern ebenso wie in Geräten automatischer Steuerung im Haushalt, man arbeitet der Biotech-Industrie zu. Unter der Leitung des Unternehmensgründers Gschwandtner wird das Betriebsklima als ganz gut bezeichnet. Der Elektriker H. erzählt, dass "eigene Ideen" gefragt waren.

Die Entlohnung war, typisch für einen Industriebetrieb, gut. Ein Ex-Mitarbeiter berichtet, dass besonders viele Frauen zum Unternehmen wollten, weil sie sonst in der Region nur in schlecht bezahlten Dienstleistungsjobs unterkommen konnten. Die Unternehmensleitung habe darauf geachtet, dass Männer und Frauen gleich entlohnt werden. Es habe zwar immer wieder mal Reibereien im Betrieb gegeben, aber nichts Außergewöhnliches.

Ein neuer Partner

Mehrere Ex-Mitarbeiter berichten, dass die Probleme begannen, als Firmengründer Gschwandtner einen Partner an Bord holte: Hermann Schübl. Der Unternehmensberater hilft Firmen bei Neuausrichtungen und Umstrukturierungen, "wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen". So steht es auf der Website von Schübls Beratungsunternehmen Astera.

Laut Firmenbuch hatte Technosert nach Ausbruch der Wirtschaftskrise tatsächlich eine schwierige Zeit. Im Geschäftsjahr 2010 ist zum Beispiel ein Bilanzverlust im kleinen einstelligen Millionenbereich ausgewiesen. Berater Schübl soll als Consultant geholt worden sein. Ab 2012 wurde er Co-Geschäftsführer und Hälfteeigentümer.

Er strukturierte um, straffte die Produktionsprozesse, Mitarbeiter aus seinem Beratungsunternehmen spielten bei Technosert eine immer wichtigere Rolle. Die Zahlen verbesserten sich. Doch es kam zu Spannungen mit dem Stammpersonal. Als die wirtschaftliche Erholung einsetzte war die Auftragslage plötzlich gut.

Die Zahlen werden besser

Technosert machte jüngst satte Gewinne, beschäftigte zuletzt 120 Personen. Oberösterreichs Industrie geht es gut, viele Hightech-Betriebe expandierten über die vergangenen Jahre kräftig – als Zulieferer profitierte Technosert davon. Der Elektrokonzern suchte daher immer wieder neue Mitarbeiter, um die Aufträge bewältigen zu können. Die Auswahl im Mühlviertel ist allerdings begrenzt.

Ein Teil der Region kämpft mit Abwanderung, viele Arbeitnehmer kommen traditionell in Linz unter. Bei Technosert herrschte Mangel, wird erzählt. Hinzu kam, dass man im Management nur zögerlich aufstockte, wie ein Ex-Angestellter sagt. Im Zuge der Krise soll sich Technosert von einigen Mitarbeitern getrennt haben – man wollte nicht, dass sich das wiederholt.

Jede Menge Überstunden

Immer öfter wurden nun Überstunden angeordnet. Im Jahr 2017 soll monatelang 50 Stunden pro Woche gearbeitet worden sein. In der Produktion war der Schichtbetrieb lange flexibel, Teilzeitkräfte und Mütter mit Betreuungspflichten konnten ihre Arbeitszeit einteilen. Zuletzt wurde ein fixer Schichtbetrieb eingeführt, auf Mitarbeiter soll Druck ausgeübt worden sein, sich an die Zeiten zu halten, so eine Schilderung "Angestellten wurde immer wieder mit Jobverlust gedroht", erzählt Elektriker H.

Wie andere spricht er von Sticheleien seitens führender Angestellter gegen Mitarbeiter die sich nicht motiviert genug zeigten. "Es wurde viel geweint", sagt ein anderer Ex-Angestellter. Auch er spricht von Sticheleien gegen Kollegen, die Schwäche zeigten.

Eine andere Ex-Mitarbeiterin spricht davon, dass sich in diesem Klima Arbeitnehmer gegenseitig zu mobben begannen. Wer krank war oder wegen kranker Kinder zu Hause blieb, wurde schief angesehen weil man seine Arbeit zusätzlich erledigen musste. "Keiner sprach mit dem anderen", sagt H. Maßnahmen zur Verbesserung der angespannten Lage habe es nicht gegeben.

Sozialpartner im Clinch

Dass sich Mitarbeiter abgesprochen haben und sich akkordiert krankmeldeten, um gegen die Bedingungen zu protestieren, glaubt trotz dieser Schilderungen keiner der vom STANDARD befragten Personen. Einer meint, dass die Krankmeldungen verschiedene Abteilungen in der Produktion betroffen hätten, was gegen ein akkordiertes Vorgehen spreche. Eine Darstellung lautet: Alle Seiten seien stur geblieben, die Situation habe sich so immer mehr aufgeschaukelt.

Warum ist niemand gegangen, wenn das Klima so schlecht war? Die Antworten lauten immer ähnlich: Technosert habe gut bezahlt, auch die Überstunden abgerechnet. Die Alternativen im Mühlviertel sind rar. Wer einen guten Job will und nicht bei Technosert arbeiten mag müsse nach Linz pendeln. Das bedeutet Distanzen von 60 Kilometern und Stau in der Früh. Für Arbeitnehmer, die Kinder betreuen müssen, ist das zusätzlich schwer.

"Ein Arbeitskampf"

Bei der Wirtschaftskammer in Oberösterreich sieht man das wie berichtet anders. Die zwölf Mitarbeiter seien zwischen zwei und fünf Monaten krank gemeldet gewesen.

Aus der Tatsache, dass alle zeitnah ausgefallen sind, nachdem es interne Diskussionen gegeben hat, wäre ersichtlich, dass da eine Art "Arbeitskampf" geführt wurde. Krankenstände seien kein geeignetes Mittel dafür.

Inzwischen hat sich die Arbeiterkammer eingeschaltet: Der Präsident der oberösterreichischen Kammer, Johann Kalliauer, sagt, man werde Anfang der kommenden Woche Gespräche mit Betroffenen und Ex-Mitarbeitern führen, um sich ein klares Bild zu machen. Die Zeichen sprechen dafür, dass die schlechten Bedingungen zur Eskalation geführt haben. (András Szigetvari, 18.2.2018)