Wenn der Magen heftig knurrt, hat das auch eine gute Seite: Echter Hunger ist die Voraussetzung dafür, dass die Autophagie, der zelluläre Reinigungsprozess im Körper, in Gang gesetzt wird. "Dadurch leben Zellen länger", ist Molekularbiologe Stekovic überzeugt.

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Etwa drei Tage pro Woche ohne Essen: Seit 2009 fastet Stekovic im Dienst der Wissenschaft.

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Der Molekularbiologe hat auch ein Buch geschrieben. Ab 17. Februar ist es im Buchhandel erhältlich.
Slaven Stekovic: Der Jungzelleneffekt. Wei wir die Regenerationskraft unseres Organismus aktivieren.
Edition a 2017, 224 Seiten, 19,95 Euro.

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Graz – Slaven Stekovic ist Molekularbiologe an der Karl-Franzens-Universität Graz. Ein Beruf, der sich nicht mit ein paar saloppen Sprüchen beim Smalltalk erklären lässt. Zumindest hat der 28-Jährige diese Erfahrung gemacht. Mit einem Satz weckt der Wissenschafter aber problemlos Interesse: "Das Beste, was der Mensch für sich tun kann, ist: nichts."

Das klingt zunächst wie ein Freibrief für ein hedonistisches Leben in Sachen Ernährung. "Es gibt tatsächlich kein Lebensmittel, das per se ungesund ist. Es kommt nur auf die Häufigkeit an, mit der etwas in unserem Körper landet", ist der Molekularbiologe überzeugt. Mit diesem "nichts" meint er aber vielmehr: null Kalorien zuführen, nur Wasser, schwarzen, ungesüßten Kaffee und Tee trinken. Nicht 40 Tage am Stück, sondern an zwei, drei Tagen pro Woche, das ganze Jahr über.

Weniger essen, länger leben

Auf die Idee, dass Essen, Fasten und die zelluläre Alterung in Zusammenhang stehen, kam Stekovic durch seine Urgroßmutter. "Die Matusa ist schuld", pflegt der Forscher zu sagen. Sie ist mit 110 Jahren friedlich eingeschlafen – und war nicht die einzige Frau in der Familie seiner Mutter, die dermaßen alt geworden ist. Im Gegensatz zu den Männern.

Die Familie stammt aus dem kroatischen Hinterland von Split. Eine raue Gegend, das Land nicht besonders ertragreich, harte Arbeit bestimmte den Alltag. Fleisch gab es nur sonntags, ansonsten landeten Teigwaren und Gemüse auf dem Teller. In kargen Zeiten mussten zuerst die Männer satt werden, erst dann bekamen die Frauen zu essen. So kam es immer wieder vor, dass sie sich in Nahrungsabstinenz üben mussten.

Müll entsorgen

Während seines Studiums in Graz traf Stekovic auf den zweiten Grund, warum er eines der größten Schreckgespenster der Menschheit, das Altwerden, erforschen will: seinen Mentor, den Biochemiker Frank Madeo. Gemeinsam untersuchen sie im Labor, wie eine Zelle funktioniert und was sie länger am Leben hält. Sie konnten an Tier und Mensch beobachten, dass die Autophagie, das körpereigene Zellrecycling, ein Jungbrunnen ist.

"Bei diesem Vorgang werden Moleküle abgebaut, die nicht mehr gebraucht werden, um daraus Energie herzustellen. Die Zellen können sich dadurch besser regenerieren und leben länger", erklärt Stekovic. Dieser Prozess wird aber nur dann in Gang gesetzt, wenn regelmäßig für längere Zeit nichts gegessen wird.

"Mit dem berühmten Entschlacken hat das aber nichts zu tun. Bislang gibt es keinen Beweis für die Existenz solcher Schlacken", ergänzt der Experte. Dennoch handelt es sich um einen Reinigungsprozess: "In der Zelle wird tatsächlich Müll entsorgt und entgiftet." Die Autophagie konnten er und seine Kollegen in einer großangelegten Studie beobachten. Hungern für die Wissenschaft bedeutete in diesem Fall nicht, mehrere Wochen am Stück zu fasten, sondern in Intervallen.

Steinzeitliches Erbe

Das heißt: Einen Tag wurde nichts gegessen, am nächsten war alles erlaubt, danach folgte wieder eine hungrige Episode und so weiter. Diesem Experiment lag folgende Hypothese zugrunde: Evolutionsbiologisch gesehen ist Fasten ein Erbe aus der Steinzeit. Das Essen hatte vier Beine und musste erst erlegt werden, um auf dem Speiseplan und damit im Magen zu landen. Das konnte dauern.

"Nach diesem Muster funktioniert unser Körper noch heute, daran ändern auch ein paar Jahrzehnte im Nahrungsmittelüberfluss nichts. Deshalb ist es absurd, dass uns Ernährungsexperten zu fünf schön über den Tag verteilten kleinen Mahlzeiten raten", kritisiert der Molekularbiologe.

Stekovic plädiert dafür, die Autophagie regelmäßig in Gang zu setzen. Er vergleicht das mit dem Putzen der Wohnung: "Wer jede Woche mehrmals sauber macht, kann relativ rasch wieder Ordnung ins System bringen. Wer es nur einmal im Jahr tut, braucht für das Ausmisten deutlich länger."

Einfluss der Gene

Für Neulinge liegt die größte Hürde häufig im Anfang. Den knurrenden Magen zu ignorieren, selbst wenn er aufs Gemüt schlägt. Ein Tipp: "Wer sich nicht vorstellen kann, 24 Stunden nichts zu essen, sollte es zunächst mit einer Mahlzeit pro Tag probieren und quasi ins Intervallfasten hinübergleiten." Besser so als gar nicht, lautet das Credo.

Denn: "Der Lebensstil hat den größten Einfluss darauf, wie gesund wir altern und wie lange wir leben. Auf die Gene sollte man sich nicht verlassen. Die sind nur zu etwa 25 Prozent dafür ausschlaggebend, wie viel Lebenszeit wir erwarten dürfen." Ein weiteres Argument: Fasten verbrennt Fett und damit überschüssige Kilos. (Günther Brandstetter, 17.2.2018)