In der EU finden praktisch immer irgendwo Wahlen und Wahlkämpfe statt, irgendwo ist die Regierung eines EU-Landes nicht voll handlungsfähig, weil die Macht neu verteilt wird. Bei der stattlichen Anzahl von inzwischen 28 Mitgliedstaaten ist das auch kein Wunder. "Die Karawane zieht weiter" – das politische und wirtschaftliche Leben der Gemeinschaft geht trotzdem weiter. So lautet eine beliebte Beruhigungsformel, wenn es bei dem einen oder anderen Beschluss auf EU-Ebene klemmt, weil ein "Familienmitglied" nicht entscheidungsfähig ist.

Sie ist nicht ganz falsch, wenn es sich um Staaten wie Luxemburg oder Zypern handelt. Oder auch um mittelgroße Länder wie Ungarn, wenn dort zwar keine Wahl stattfindet, aber eine EU-skeptische Regierung am Werken ist. Selbst wenn es nicht weniger als 542 Tage dauert, bis eine neue Regierung gebildet wird – wie zuletzt in Belgien -, muss das für das gemeinsame Europa kein Beinbruch sein.

Nun gibt es aber mit Deutschland aktuell einen echten Sonderfall, der die EU seit Herbst empfindlich lähmt – und der das Potenzial hat, auf EU-Ebene gröberen Schaden anzurichten, wenn das noch länger so weiterginge. Die Wahlen im größten und wirtschaftlich stärksten EU-Land sind seit fast fünf Monaten vorbei, aber noch immer gibt es in Berlin "nur" eine Übergangsregierung. Diese wäre formell zwar voll handlungsfähig, könnte also mit den Partnern dringend anstehende Reformen beschließen, die seit gut einem Jahr überfällig sind: Vollendung der Bankenunion und Vertiefung der Eurozone zur Krisenprävention; Reformen bei Asyl-, Flüchtlings- und Migrationspolitik, beim EU-Außengrenzenschutz, um nur die wichtigsten zu nennen.

Aber die Übergangsregierung von Angela Merkel tut das nicht. Der Auftritt von Nochaußenminister Sigmar Gabriel beim EU-Treffen in Sofia wirkte wie die traurige Abschiedssinfonie eines Gefesselten mit verstimmtem Instrument. Nächste Woche reist sein Kollege Peter Altmaier mit gebundenen Händen zum EU-Finanzminister-Treffen.

Das gab es noch nie, dass eines der beiden großen EU-Gründungsländer aus der deutsch-französischen Achse so lange ohne geklärte Machtverhältnisse ist. Nun wartet das gemeinsame Europa mit Bangen darauf, dass in Berlin endlich wieder voll regiert wird. Krisen schlafen nicht. Sollte nach der FDP von Jamaika auch die SPD von Groko abspringen, dann hätte die EU ein Riesenproblem. Große Reformen gingen sich bis zur EU-Wahl 2019 kaum mehr aus. (Thomas Mayer, 15.2.2018)