Eine Stadt, die in internationalen Rankings regelmäßig auf Platz eins bei der Lebensqualität, zuletzt sogar im Economist aber auch bei der Unfreundlichkeit ihrer Bewohner landet, wirft Fragen auf.

In diesem Blog beschreibt Colette M. Schmidt ihre Suche nach dem "Wiener Charme" und dem "goldenen Wiener Herz" sowie andere Wiener Phänomene.

Foto: Standard/Köck

Colette M. Schmidt wurde in Kanada geboren, wuchs in Graz auf, wo sie 23 Jahre für den STANDARD schrieb. Seit Juli 2017 lebt sie in Wien und arbeitet als Redakteurin für das Chronikressort des STANDARD.

Foto: Matthias Cremer

Er sieht wirklich nicht mehr gut aus. Vertrocknet, traurig, am Ende. Es ist Zeit Abschied zu nehmen. Von unserem Weihnachtsbaum. "Bei Euch ist das ganze Jahr Weihnachten", kommentierte neulich ein Freund, der aus Graz auf Besuch kam, den erbarmungswürdigen Baum. Es stimmt, ein – mittlerweile schmuckloser – Nadelbaum wirkt Mitte Februar in jedem Wohnzimmer, wurscht welcher Religion man sich zugehörig fühlt oder nicht, einfach nur seltsam.

Aber ihn loszuwerden – also den Baum –, erwies sich für mich als Neuwienerin als Problem. Es ist nämlich so, dass die Christbaumsammelstellen in Graz wesentlich länger geöffnet haben als ihn Wien. Ich übersah also den letzten Tag, da ich die saisonale Deko, die immerhin gleich hoch ist wie ich, zu einem solchen schleifen konnte.

Keinen Vogel zerlegt

"Zerschneide ihn halt? Hast keine Geflügelschere?", meinte ein Wiener Freund. Hab ich nicht, hab noch nie irgendeinen Vogel zerlegt.

"Wir würden ihn dann einheizen, wenn Du ihn zerkleinerst", meinte eine andere Freundin.

Biomülltonne gibt es nämlich weit und breit keine. Genau wie ich für Plastik, Alu und Glas weit gehen muss, und das als brave Mülltrennerin auch tue. In Graz hatte man das alles im Haus oder zumindest im Nebenhaus. Wenigstens Papier wird überall getrennt – man kommt sich ja vor wie in den 1980ern.

Überhaupt das Plastik! Was tun die Wiener damit?

Jetzt werden alle "First World Problems" rufen, aber damit kann ich leben. Denn ich weiß mittlerweile, dass viele in Wien lebende Grazer, und da gibt es eine ganze Menge, solche Probleme haben. Irgendwer muss das doch mal thematisieren.

Probleme aus Plastik

Nachdem ich die ersten seltsamen Blicke von Kollegen bemerkt hatte, als ich einen leeren Joghurtbecher mit der ins Großraumbüro gerufenen Frage "Wo soll ich den hinschmeißen?" in die Luft hielt, merkte ich, dass nicht das Plastik, sondern ich hier das Problem war.

Ich war schockiert ob der Erkenntnis: Die hauen das meiste Plastik einfach in den Restmüll!

"Das ist gut für die Müllverbrennungsanlagen", meinte eine Kollegin.

Das mag sein, aber als eine ein Leben lang auf Mülltrennung konditionierte Frau konnte ich mich damit nicht anfreunden. Es schmerzte weiter jedes Mal, wenn ich im Büro einen Joghurtbecher in den Restmüll schmiss. Zu Hause sammelte ich weiter heimlich mein Plastik und stopfte es mit den Plastikflaschen, für die es wenigstens gelbe Container gibt, in einer Nebengasse in die runden Öffnungen. Irgendwas sagte mir, dass das auch nicht ganz richtig war. Ich kam mir immer vor wie mit einem Fuß im Kriminal.

Das Dilemma mit dem Weihnachtsbaum ermunterte mich, endlich professionelle Hilfe zu suchen.

Mist und Schnee

Ich rief beim "Mist- und Schneetelefon" der MA 48 an, obwohl mich der Name "Mist und Schnee" stutzig machte. Wie kann man so etwas Herrliches wie Schnee mit Mist zusammentun? Aber gut. Mit dem Trennen haben sie es hier nicht so.

Eine wirklich nette und – vorerst auch geduldige – Dame meldete sich.

Ich: "Also ich habe ein Problem mit meinem Weihnachtsbaum."

Sie: "Ja?"

"Also er steht noch immer bei mir, und ich weiß nicht, wohin mit ihm. Weil die Sammelstellen sind ja zu."

Sie räusperte sich: "Ja, schon länger. Aber wo wohnen Sie denn? Weil es gibt in fast jedem Bezirk Mistplätze, da können Sie ihn auch nach dem Schließen der Sammelstellen hintragen."

"Ich weiß, aber genau in meinem Bezirk gibt es keinen", stoppte ich sie.

Sie suchte die nächstgelegenen Mistplätze heraus, und wir beschlossen beide, dass das ohne Auto eine doch zu weite Strecke sei.

Sie studierte weiter ihren Plan.

Zu groß für den Biomüll

"Aber ich sehe, eine Biomülltonne gibt es bei Ihnen in der Nähe. Also halbwegs in der Nähe."

"Der Baum ist so groß wie ich. Ich passe sicher in keine Biotonne", stoppte ich sie wieder.

"Schneidn S' eam zam", meinte sie schon leicht angespannt, aber immer noch freundlich.

Sie wollte sich schon verabschieden, da rief ich: "Wenn ich Sie schon in der Leitung habe, ich komme nämlich aus der Steiermark …"

Ich hörte sie tief einatmen. Und dann wieder ausatmen.

"Ich weiß echt nicht, wo ich hier mit dem Plastik hinsoll, ich mein, wenn man das alles in den Restmüll schmeißt, das geht ja nicht. Von Tetrapack red ich jetzt gar nicht …"

Diesmal stoppte sie mich: "Also das ist seit 1. Jänner 2018 alles neu!"

"Echt?"

Dreh- und Klappverschlüsse

"Ja, Sie können jetzt auch alle Shampooflascherln in die gelben Container zu den großen Plastikflaschen geben."

Ich konnte mein Glück noch nicht fassen: "Duschgelflaschen auch?"

"Sicher, alle Kosmetikflascherl mit Drehverschluss."

"Und wenn mein Shampoo einen Klappverschluss hat?"

Die Frau war bis zu diesem Zeitpunkt wirklich nett gewesen, aber als sie nun etwas lauter "Schmeißn S' es bitte anfoch eini!" sagte, merkte ich, dass es Zeit war, das nette Gespräch zu beenden.

Gern hätte ich sie noch gefragt, wofür es ein Schneetelefon braucht, wenn hier doch den ganzen Winter kein Schnee liegenbleibt. Aber ich traute mich nicht.

Dafür habe ich mir gestern eine Geflügelschere ausgeborgt. Heute Abend nach der Arbeit wird der Baum zerlegt.

Dann ist Weihnachten wirklich vorbei. (Colette M. Schmidt, 13.2.2018)