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202 Meter tief ist Dean's Blue Hole auf den Bahamas. Apnoetaucher stiegen hier schon über 100 Meter hinab.

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Würde nicht in der Mitte von Dean's Blue Hole ein weißes, kranartiges Gebilde schwimmen, an dem jene Schnur hängt, die den Tauchern als Orientierung hilft, wüsste man als Außenstehender gar nicht, was für ein Geheimnis dieser Strand birgt.

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William Trubridge, ein neuseeländischer Apnoetaucher, beim Apnoetauchen in Dean’s Blue Hole.

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Dean's Blue Hole auf den Bahamas in voller Pracht.

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Nassau kann man sich getrost sparen: Die Hauptstadt der Bahamas ist meist von Kreuzfahrttouristen überlaufen.

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Dawn Simmons ist die Ruhe in Person: "Ihr habt sicher Hunger, ein üppiges bahamaisches Frühstück ist jetzt genau das Richtige." Als Touristenführerin auf Long Island weiß die gemütliche Mittvierzigerin, dass ihre Neuankömmlinge früh aufgebrochen sind, um mit einer kleinen Propellermaschine aus der Hauptstadt Nassau anzureisen. Außerdem gibt es auf der verschlafenen Insel nicht viel zu besichtigen. Wen es in diese entlegene Ecke der Bahamas verschlägt, der hat mit touristischem Trubel wenig am Hut.

Die Inselgruppe Exuma hingegen ist schicker, dort haben die Reichen und Schönen der Welt ein eigenes Eiland erstanden, und die im Meer schwimmenden Schweine sind ein Besuchermagnet. Auf Harbour Island wiederum lockt ein rosafarbener Strand, und auf den Abacos finden sich malerisch-bunte Holzhäuser im Kolonialstil.

Ideal für Aussteiger

700 sogenannte Family Islands zählen die Bahamas, türkisblaues Meer gibt es fast überall, aber ansonsten ist jede ein wenig anders. Billig sind die Bahamas, eine der Lieblingsdestinationen des kosmopolitischen Filmhelden James Bond, nicht. Zwar wird das Einkommen auf den Bahamas nicht besteuert, dafür ist das Leben teuer, ein Großteil der Produkte muss importiert werden.

Long Island ist ein idealer Ort für Aussteiger. An die 3.000 Leute leben hier, jeder kennt jeden. Auf der einen Seite ist das Meer rau und wild, auf der anderen liegen Sandstrände. Verkehrsstau hat es noch keinen gegeben, zumindest kann sich Simmons, die hier geboren wurde, nicht daran erinnern. Wer nach Long Island kommt, schaltet automatisch einen Gang runter. Die Bahamas sind überall entspannt, aber auf Long Island laufen die Uhren noch eine Spur langsamer.

Mit einem Atemzug

Das von Simmons empfohlene Restaurant Swamp Thing hat geschlossen – kein Problem, sie ruft eine Bekannte an, und schon stehen wir in einer improvisierten Mischung aus Diner und Baumarkt, der mit praktischen Dingen vollgeräumt ist. Die wenigen Shops, die es hier gibt, führen einfach alles im Sortiment, von Schokolade bis zum Kühlschrank, vom Faxgerät bis zu Nippes. Die Köchin lässt sich Zeit, bis das Pulled-Pork-Sandwich serviert wird. Dafür schmeckt es fantastisch.

Wir sind bereit für ein Abenteuer, das Long Island berühmt gemacht hat: Dort liegt in einer Bucht das Blue Hole – eine runde unterseeische Doline, die bis vor kurzem als tiefste der Erde galt. 202 Meter tief ist Dean's Blue Hole, und es verfügt über ideale Bedingungen für das Apnoetauchen. Dabei versucht man mit nur einem Atemzug, möglichst tief hinabzugleiten. Vor einem Jahr wurde in China ein noch profunderes Loch entdeckt, das Dragon Hole. Es misst 300 Meter, ist aber schwer zugänglich, weil es auf offener See liegt. Dean's Blue Hole bleibt das Mekka der Freediver, wie die Extremsportart im Englischen heißt. Umso erstaunlicher ist, wie versteckt dieser legendäre Ort liegt, an dem zahlreiche Tauchrekorde gebrochen wurden: ein handgemaltes Schild am Straßenrand, dann eine Sandpiste und schon ist ein einsamer Strand zu sehen. Kein Kiosk, kein Bademeister, keine Tauchschule. Paradiesische Ruhe, an diesem Vormittag sonnt sich lediglich ein Pärchen aus Frankreich.

Braungebrannt, beeindruckend fit

"Sobald sechs Personen in Dean's Hole sind, empfinden wir es als überfüllt", sagt der amerikanische Freediver Charles Beede, der bei Wettkämpfen als Lifeguard arbeitet und auch bei Dreharbeiten – seien es Naturdokus oder Hollywoodfilme – für die Sicherheit der Taucherteams sorgt. Er war Big-Wave-Surfer auf Hawaii, bevor es ihn wegen seiner bahamaischen Frau auf diese Insel verschlagen hat. Dort lernte er den neuseeländischen Freedive-Champion William Trubridge kennen, der ihn mit dem Apnoe-Virus ansteckte. 63 Jahre ist Beede alt, braungebrannt und beeindruckend fit.

"Pff, pff, pff", kurze, schnell Züge – Beede macht vor, wie man die schlechte Luft aus seinem Körper entfernt, um die Lungen dann mit frischer zu füllen. "Das Geheimnis ist, sich total zu entspannen, man muss sich fast in einen tranceartigen Zustand bringen." Würde nicht in der Mitte von Dean's Blue Hole ein weißes, kranartiges Gebilde schwimmen, an dem jene Schnur hängt, die den Tauchern als Orientierung hilft, wüsste man als Außenstehender gar nicht, was für ein Geheimnis dieser Strand birgt.

Das Licht über dir

Beim ersten Schritt ins Wasser ist sofort der Grund unter den Füßen weg. Ein Sandtrichter geht steil nach unten, erst nach rund 20 Metern beginnt die eigentliche Höhle. Der Kraterrand sieht näher aus, für Ungeübte ist es unmöglich, allein so weit hinabzutauchen. Das Wasser treibt einen immer wieder nach oben. "Ab 20 Metern muss man sich nicht mehr anstrengen, man beginnt zu fallen", erklärt Beede. "Man schließt die Augen, es wird ohnehin dunkel, je weiter man hinunterkommt. Es fühlt sich an, als schwebe man im Weltall." Wenn er erzählt, klingt das Apnoetauchen wie ein religiöses Erlebnis. "Wenn du wieder nach oben musst, siehst du das Licht über dir. Es ist überirdisch schön."

Über dem Krater zu schwimmen fühlt sich komisch an. Man weiß nicht, ob es Höhen- oder Tiefenangst ist, auf jeden Fall ist die Vorstellung, kopfüber 100 Meter in die Dunkelheit hinabzugleiten, faszinierend und bedrohlich zugleich. "Man wusste früher nicht, dass Menschen überhaupt dazu fähig sind", schwärmt der Amerikaner. "Die Lunge schrumpft auf die Größe einer Orange, das Blut zieht sich aus den Extremitäten zurück und sammelt sich im Bauchraum – sonst würde der Druck die Rippen zertrümmern." Er ist überzeugt, dass in Zukunft mehr Leute aus aller Welt kommen werden, um zumindest erste Schritte im Apnoetauchen zu machen. Schließlich geht es nicht um Rekorde. "Die Fischer aus dieser Gegend sind schon immer ohne Atemgas getaucht. Es ist wunderschön, man fühlt sich wie eine Meereskreatur."

Ansteckender Rausch der Tiefe

Fremdenführerin Dawn Simmons ist da skeptischer. Sie geht, wie die meisten Einheimischen, lieber bloß baden. Aber sie erzählt, dass der Sport auch bei den Bahamaern beliebter würde. Der lokale Apnoemeister heißt Luke Maillis, und es wäre nicht Long Island, wenn sie nicht nach ein paar Anrufen seine Telefonnummer hätte. Luke lässt grüßen, aber er ist gerade im Ausland. Er hätte uns gerne ein paar Übungen gezeigt, auch Anfänger kämen nach ein paar Stunden auf 20 bis 30 Meter.

So verrückt es klingt – der Rausch der Tiefe wirkt ansteckend. Beim nächsten Besuch von Dean's Blue Hole haben wir unsere Ängste überwunden und sind dabei. Aber an diesem Tag entspannen wir erst einmal an einem menschenleeren Strand mit türkisblauem Wasser – wie man es auf den Bahamas eben so tut. (Karin Cerny, RONDO, 16.2.2018)