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Branchen-Experten haben gemerkt: Mit der wachsenden Präsenz von Bio-Produkten in Supermärkten und den Discountern droht womöglich eine Entzauberung des verzerrten Bio-Images – mit schwer absehbaren Folgen für das Geschäft.

Foto: dpa/Armin Weigel

Nürnberg – Glückliche Kühe auf grünen Weiden, Bergkäse direkt vom Almbauern – noch immer verbinden Millionen Konsumenten mit dem Begriff "Bio" Landidylle – höchste Zeit für die Naturkostbranche, reinen Wein einzuschenken, finden Experten.

Ein Bauernhaus inmitten sattgrüner Hügellandschaft mit Mohnblumen und sich im Wind wiegenden Grashalmen – selbst für die Werbeanzeige für "Bami Goreng nach indonesischer Art" muss inzwischen das Bild von der heilen heimischen Biowelt herhalten. Der Bioproduktvertrieb Ökoland, der das Fertiggericht aktuell im Sortiment hat, ist nicht das einzige Unternehmen, das mit Naturidylle seine Bioprodukte bewirbt. Auch auf der am Mittwoch beginnenden Naturkostmesse Biofach vermitteln Werbebroschüren gerne das Klischee.

Wirklichkeit sieht anders aus

Kein Wunder, dass viele Kunden mit dem Begriff "Bio" romantisierende Vorstellungen von kleinbäuerlicher Landwirtschaft mit glücklichen Kühen auf grünen Weiden verbinden – ein Bild, so schrieb unlängst das Branchenblatt "Biohandel", das inzwischen mit der Wirklichkeit kaum noch etwas zu tun habe. Trotzdem würden laut einer Umfrage des Blattes Bioladenbetreiber immer wieder damit in Kundengesprächen konfrontiert – ein Problem für die Branche.

Denn Branchenexperten haben inzwischen gemerkt: Mit der wachsenden Präsenz von Bioprodukten in Supermärkten und den Discountern droht womöglich eine Entzauberung des verzerrten Bio-Images – mit schwer absehbaren Folgen für das Geschäft. Zu denen, die sich dafür aussprechen, bei Verbrauchern beim Begriff "Bio" für mehr Transparenz zu sorgen, gehört etwa der Agraringenieur Stephan Illi aus Prien am Chiemsee. Illi, der heute als freiberuflicher Berater und Projektentwickler arbeitet, war sieben Jahre lang geschäftsführender Vorstand beim Bioerzeugerverband Demeter.

Geschäftsgrundlage

"Bio ist eine gute Grundlage. Es schafft bei Lebensmitteln Sicherheit durch hohe Standards. Und es steht ein strenges Kontrollsystem dahinter", sagt Illi. Ob aber die Produkte aus der eigenen Region stammen oder aus China, sie zu fairen wirtschaftlichen Bedingen produziert werden und der Erzeuger für landwirtschaftliche Vielfalt statt für Einfalt steht, darüber sage das Label überhaupt nichts aus. "Bio ist viel besser als die konventionelle Landwirtschaft, aber es ist nicht die heile Welt."

Selbst bei Vertretern des Naturkosthandels wirkt es daher gelegentlich desillusionierend, wenn Illi bei Fachhandelstreffen über die Situation auf den Biohöfen berichtet. Bisher bekommt der Kunde nach seiner Einschätzung die Entwicklungen, denen auch der ökologische Landbau infolge des Preisdrucks unterliegt, durch die verbreiteten Heile-Welt-Bilder kaum mit. So gingen viele Konsumenten davon aus, dass Biokühe 150 Tage im Jahr auf der Weide stehen. Tatsächlich aber haben nach Illis Schätzung bis zu 50 Prozent des Biomilchviehs gar keinen Weidegang. Immerhin bekommen sie Grünfutter statt Silage in den Trögen und haben Auslauf auf befestigtem Boden im Freien.

Druck wächst

Der auf vielen Biolandwirten lastende Druck, immer größer zu werden und immer wirtschaftlicher zu produzieren, hängt nach Einschätzung von Branchenexperten auch mit der wachsenden Bionachfrage von Supermärkten zusammen. "Wenn ich bei einem Discounter ein billiges Biobrötchen kaufen kann, dann müssen auch die Rohstoffe günstig gewesen sein. Und die bekomme ich nur, wenn ich keinen Wert darauf lege, die Herkunft der Biorohstoffe exakt zurückverfolgen zu können", sagt der Fachjournalist Leo Frühschütz aus Sulzberg im Allgäu.

Für Bernd Nagel-Held, der im ostwestfälischen Lemgo seit 30 Jahren eine Biomühle betreibt, sieht zudem in den immer komplexeren Lieferketten etwa von Getreide ein Problem. Denn die Fälle, in denen ein Bäcker sein Mehl aus dem Nachbarort bezog, seien selten geworden. Die auch von Supermärkten ausgelöste große Nachfrage nach Biogetreide führe inzwischen etwa zu Weizenimporten aus Osteuropa und Kasachstan. "Die Ware wird damit anonymer, und die Anonymität ist der Freund des Betrugs", sagt Nagel-Held, der selbst 1999 einen großen Betrug mit angeblichem Biogetreide aus Thüringen aufdeckte.

Um solche Betrüger aufzuspüren, die konventionell erzeugtes Getreide auf verschlungenen Wegen zu teurem Biogetreide umdeklarieren, fordert er regelmäßige Stichproben. Dabei soll nicht nur die Rückstandsfreiheit des Korns, sondern der Erzeugungsprozesse zur Gänze auf biologische Bewirtschaftung untersucht werden.

Einschätzungen von Branchenexperten, dass deutsche Kontrollbehörden Verdacht auf Biobetrug nicht konsequent nachgehen, weist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung zurück. Staatlich zertifizierte private Biokontrollstellen würden die Einhaltung der EU-Rechtsvorschriften für den Ökolandbau überwachen. Importierte Bioerzeugnisse gelangten nur nach strengen Zollkontrollen in die EU. Die dabei überprüften Kontrollbescheinigungen erlaubten seit Herbst 2017 eine Rückverfolgbarkeit der Lieferung. Für Bio-Importe aus Osteuropa, Kasachstan und Russland sei das Kontrollsystem zu Jahresbeginn sogar noch einmal verschärft worden. (Klaus Tscharnke, dpa, 13.2.2018)